‘Abdu’l-Bahá | ‘Abdu’l-Bahá in London
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1.1:10
In alten Zeiten entwickelte sich im Kampf mit wilden Tieren der Instinkt für das Kriegerische. Man braucht ihn nicht länger; nein, man erkennt vielmehr, dass Zusammenarbeit und gegenseitiges Verständnis der Menschheit den größten Segen bringen. Feindschaft ist jetzt nur noch die Folge von Vorurteilen.
1.1:11
In den Verborgenen Worten sagt Bahá’u’lláh: ›Von allem das Meistgeliebte ist mir die Gerechtigkeit.‹ Gott sei gepriesen, in diesem Land wurde das Banner der Gerechtigkeit gehisst; große Anstrengungen werden gemacht, um allen Menschen einen angemessenen und rechten Platz zu geben. Dies ist der Wunsch aller edlen Naturen; dies ist heute das Gebot für Ost und West; daher werden der Osten den Westen und der Westen den Osten verstehen und schätzen, sie werden einander umarmen wie Liebende, die sich nach langer Trennung gefunden haben.
1.1:12
Es gibt nur einen Gott, nur eine Menschheit; die Grundlagen der Religion sind eins. Wir wollen Ihn anbeten und preisen für Seine großen Propheten und Sendboten, die Seine Lichtfülle und Seine Herrlichkeit offenbart haben.
1.1:13
Der Segen des Ewigen sei mit euch in all seiner Fülle, damit jede Seele entsprechend ihrer Fähigkeit, so viel sie kann, aus diesem Reichtum schöpfen mag. Amen.«Diese Ansprache erschien am 13. September 1911 in The Christian Commonwealth und wurde hier mit freundlicher Genehmigung des Verlags abgedruckt. ‘Abdu’l-Bahá sprach von der Kanzel des City Temple auf Persisch. Die Übersetzung ins Englische wurde der Gemeinde dann von Mr. W. Tudor-Pole vorgelesen.A
St. John’s, Westminster: Einführung
1.2:1
Am 17. September sprach ‘Abdu’l-Bahá auf Einladung seiner Hochwürden Erzdiakon von Westminster nach der Abendmesse zur Gemeinde von Saint John the Divined.i. der Apostel Johannes (Anm. d. Übers.).A. Mit kurzen, herzlichen, seine ganze Haltung kennzeichnenden Worten stellte Erzdiakon Wilberforce den geehrten Botschafter aus dem Osten vor, der für seine Mission des Friedens und der Einheit vierzig Jahre Gefangenschaft und Verfolgung erlitten und nun Meere und Länder durchquert hatte. Der Erzdiakon hatte für seinen Gast den Ehrensitz des Bischofs auf die Stufen vor der Kanzel stellen lassen. Er selbst stand daneben und verlas persönlich die Übersetzung der Ansprache ‘Abdu’l-Bahás. Die Gemeinde war tief bewegt. Sie folgte dem Beispiel des Erzdiakons und kniete nieder, um den Segen des Dieners Gottes zu empfangen, der mit ausgebreiteten Armen dastand, während sich in der Stille seine wundervolle Stimme melodisch hob und senkte. Als der Erzdiakon die Worte: »Wahrlich, der Osten und der Westen sind einander heute Abend an diesem heiligen Ort begegnet«, gesprochen hatte, sang die ganze Versammlung im Stehen die Hymne O God our help in ages past (O Gott, Du uns’re Hilfe in vergang’nen Zeiten), während ‘Abdu’l-Bahá und der Erzdiakon Hand in Hand durch das Seitenschiff zur Sakristei schritten.
1.2:2
Draußen vor der Kirche hielten die Mitglieder der Heilsarmee ihre Versammlung ab. ‘Abdu’l-Bahá war tief beeindruckt und berührt, als Er die Männer, Frauen und Kinder sah, die da nachts an der Straßenecke zu Gebet und Gesang zusammenkamen.
Ansprache ‘Abdu’l-Bahás in der Kirche St. John’s, Westminster
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17. September 1911
1.2:3
»O edle Freunde! O ihr Sucher nach dem Königreich Gottes! Der Mensch sucht überall auf der Welt nach Gott. Nur Gott existiert wirklich; doch die Wirklichkeit des Göttlichen ist über alles Verstehen geheiligt.
1.2:4
Die Bilder des Göttlichen, die uns in den Sinn kommen, sind das Erzeugnis unserer Phantasie; sie existieren im Reich unserer Vorstellung. Sie werden der Wahrheit nicht gerecht. Das Wesen der Wahrheit lässt sich nicht in Worte fassen.
1.2:5
Das göttliche Wesen lässt sich nicht erfassen, da es umfassend ist.
1.2:6
Auch der Mensch existiert wirklich, wird aber von Gott umfasst. Daher ist das Göttliche, das der Mensch verstehen kann, nur ein Teil; es ist nicht das Ganze. Das Göttliche ist die eigentliche Wahrheit und das wirkliche Sein, nicht irgendeine Darstellung davon. Das Göttliche birgt das All; es ist selbst nicht Inhalt eines anderen.
1.2:7
Obwohl dem Mineral, der Pflanze, dem Tier und dem Menschen, jedem für sich, wirkliches Sein zukommt, hat das Mineral dennoch kein Wissen von der Pflanze. Es kann die Pflanze nicht wahrnehmen. Es kann sich weder ein Bild von ihr machen noch sie begreifen.
1.2:8
Dasselbe gilt für die Pflanze. Sie mag noch so weit fortschreiten und sich entwickeln, nie wird sie je einen Begriff vom Tier haben oder es verstehen. Sie hat von ihm sozusagen keine Ahnung. Sie hat keine Ohren, kein Seh- und kein Begriffsvermögen.
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Ebenso verhält es sich mit dem Tier. Welch große Fortschritte es innerhalb seines Schöpfungsreiches auch machen mag, wie ausgeprägt seine Empfindungen auch werden mögen, es wird keinen wirklichen Begriff von der Welt des Menschen oder dessen besonderen intellektuellen Fähigkeiten haben.
1.2:10
Das Tier kann weder verstehen, dass die Erde rund ist, noch dass sie sich im All bewegt. Es begreift weder den zentralen Standort der Sonne, noch kann es sich etwas wie den alldurchdringenden Äther vorstellen.
1.2:11
Mineral, Pflanze, Tier und der Mensch selbst sind real existierende Wesen. Aber der Unterschied zwischen ihren Schöpfungsreichen hindert die der niedrigeren Stufe Angehörenden daran, Wesen und Seinsweise der auf der höheren Stufe Stehenden zu begreifen. Da dem so ist, wie kann dann das Zeitbedingte, Irdische den Herrn der Heerscharen erfassen?
1.2:12
Das ist offensichtlich unmöglich!
1.2:13
Aber das Wesen des Göttlichen, die Sonne der Wahrheit, scheint von allen Horizonten und ergießt ihre Strahlen über alle Dinge. Jedes Geschöpf ist Empfänger eines gewissen Anteils dieser Kraft, und der Mensch, der in sich die Vollkommenheiten des Minerals, der Pflanze und des Tieres zusammen mit den ihn allein auszeichnenden Merkmalen vereint, ist zum edelsten aller erschaffenen Wesen geworden. Es steht geschrieben, dass er nach dem Bilde Gottes geschaffen ist. Er entdeckt verborgene Mysterien und bringt versteckte Geheimnisse ans Licht. Durch Wissenschaft und Kunst lässt er verborgene Kräfte ins Reich der sichtbaren Welt treten. Der Mensch erkennt die in den erschaffenen Dingen verborgenen Gesetze und arbeitet mit ihnen.
1.2:14
Der vollkommene Mensch, der Prophet, ist am Ende jener, der verklärt wurde, der die Reinheit und Klarheit eines vollkommenen Spiegels besitzt und die Sonne der Wahrheit widerspiegelt. Von einem solchen vollkommenen Menschen, einem solchen Propheten oder Sendboten, können wir sagen, in ihm wohnt das Licht des göttlichen Wesens mit seinen himmlischen Vollkommenheiten.
1.2:15
Wenn wir behaupten, die Sonne sei im Spiegel sichtbar, dann meinen wir nicht, dass die Sonne selbst aus den heiligen Höhen ihres Himmels herabgestiegen und in den Spiegel eingetreten sei! Das ist unmöglich. Die Göttliche Natur wird in ihren Manifestationen sichtbar, und ihr Licht und Glanz zeigen sich in höchstem Ruhm.
1.2:16
Darum sind die Menschen zu allen Zeiten von den Propheten Gottes gelehrt und geführt worden. Die Propheten Gottes sind die Mittler Gottes. Alle Propheten und Boten sind von dem Einen Heiligen Geist gekommen und tragen die Botschaft Gottes, die jeweils dem Zeitalter angepasst ist, in dem sie erscheinen. Das Eine Licht ist in ihnen, und sie sind eins untereinander. Aber das Ewige wird nicht zur Erscheinung, noch kann die bloße Erscheinung zum Ewigen werden.
1.2:17
Der große Apostel Paulus hat gesagt: ›Wenn wir mit offenem Angesicht wie in einem Spiegel die Herrlichkeit Gottes schauen, werden wir alle in dieses selbe Bild verwandelt, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, durch den Geist des Herrn.‹vgl. 2 Kor. 3:18 – Anm. d. Hrsg.Q
1.2:18
O Gott, o Vergeber! O Himmlischer Erzieher! Diese Versammlung ist mit der Erwähnung Deines heiligen Namens geschmückt. Deine Kinder wenden ihr Antlitz Deinem Königreiche zu, die Herzen werden beglückt und die Seelen erquickt.
1.2:19
Gnädiger Gott! Gib, dass wir unsere Verfehlungen bereuen! Nimm uns an in Deinem himmlischen Königreich und weise uns eine Stätte zu, wo es kein Irren gibt. Gib uns Frieden, gib uns Wissen und öffne vor uns die Tore Deines Himmels.
1.2:20
Du bist der Geber aller Gaben! Du bist der Vergebende! Du bist der Gnädige. Amen.«
Theosophische Gesellschaft: Einführung
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Auf ausdrücklichen Wunsch der Vorsitzenden, Mrs. Annie Besant, besuchte ‘Abdu’l-Bahá am 30. September die Theosophische Gesellschaft in ihrem neuen Zentrum. Nachdem Mr. A. P. Sinnett kurz die Geschichte der Gesellschaft vorgetragen und freundliche Willkommensworte gesprochen hatte, erhob sich ‘Abdu’l-Bahá und hielt vor der zahlreichen Zuhörerschaft eine Rede über die unterscheidenden Merkmale der Bahá’í-Lehren, wobei Er die eifrige Suche der Gesellschaft nach Wahrheit mit herzlichen Worten würdigte.
Rede ‘Abdu’l-Bahás im Theosophischen Zentrum
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30. September 1911
1.3:2
»Verehrte Versammlung, o Freunde der Wahrheit! Das natürliche Wesen des Feuers ist, zu brennen, das natürliche Wesen der Elektrizität, Licht zu spenden, das natürliche Wesen der Sonne, zu scheinen, und das natürliche Wesen der organischen Erde die Kraft, etwas wachsen zu lassen.
1.3:3
Eine Sache lässt sich nicht von ihren natürlichen, ihr Wesen ausmachenden Eigenschaften abtrennen.
1.3:4
Es liegt im natürlichen Wesen der Dinge auf dieser Erde, sich zu verändern. Deshalb beobachten wir um uns herum den Wechsel der Jahreszeiten. Jedem Frühling folgt ein Sommer und jedem Herbst ein Winter, jedem Tag eine Nacht und jedem Abend ein Morgen. Alle Ereignisse geschehen folgerichtig der Reihe nach.
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So kam es, dass, als Hass und Feindschaft, Kampf, Gemetzel und große Herzenskälte diese Welt regierten und Finsternis über die Nationen hereinbrach, am Horizont Persiens Bahá’u’lláh wie ein heller Stern erschien und mit dem machtvollen Licht der Führung leuchtete, himmlischen Strahlenglanz spendete und die neue Lehre stiftete.
1.3:6
Er sprach von den höchsten Tugenden des Menschen. Er machte die Kräfte des Geistes offenbar und zeigte, wie sie sich in der Welt, die Er vorfand, in die Praxis umsetzen lassen.
1.3:7
Erstens: Er legt großen Nachdruck auf das Suchen nach Wahrheit. Dies ist von höchster Bedeutung, denn die Menschen lassen sich nur zu leicht von Traditionen leiten. Allein aus diesem Grund entstehen oft Feindschaft und Streit.
1.3:8
Das Offenbarwerden der Wahrheit jedoch macht das zuvor Dunkle plötzlich erkennbar und wird zur Ursache der Harmonie zwischen Glaubensrichtungen und Bekenntnissen, denn die Wahrheit kann nicht zweigeteilt sein! Das ist nicht möglich.
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