‘Abdu’l-Bahá | ‘Abdu’l-Bahá in London
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Frage: Ist darunter das Zweite Kommen Christi zu verstehen?
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Antwort: »In Christus bringt sich die Göttliche Wirklichkeit, die Eine und Himmlische Wesenheit, die weder Anfang noch Ende hat, zum Ausdruck. In jedem Zyklus tritt sie in Erscheinung, erstrahlt, offenbart sich und geht unter.«
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Wer mit ‘Abdu’l-Bahá beisammen war, bemerkte, dass Er sich öfters nach einem ernsten Gespräch mit Menschen plötzlich umwandte und wegging, um allein zu sein, und dass Ihm in solchen Augenblicken niemand folgte. Als Er diesmal seine Rede beendet hatte und durch das Gartentor ins Dorf ging, beeindruckte alle Seine gelöste, wunderbare Art zu gehen, von der ein amerikanischer Freund meinte, sie gleiche der eines Hirten oder eines Königs.
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Als Er an den zerlumpten Kindern vorbeiging, die Ihn zu Dutzenden umringten, salutierten die Buben so, wie sie es in der Schule gelernt hatten und zeigten damit, wie instinktiv sie die hohe Bedeutung Seiner Anwesenheit spürten. Am bemerkenswertesten war das Verstummen selbst der derbsten Männer, wenn ‘Abdu’l-Bahá erschien. Ein armer Landstreicher rief: »Er ist ein guter Mann!« und fügte hinzu »Er hat sicher viel gelitten!«
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Ganz besonders interessierte Er sich für die kranken, behinderten und unterernährten Kinder. Mütter mit ihren Kleinen auf dem Arm gingen Ihm nach, und ein Freund machte ihnen verständlich, dass dieser hohe Besucher über die Meere aus dem Heiligen Land gekommen sei, von dort, wo Christus geboren worden war.
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Den ganzen Tag über kamen Menschen aus allen Schichten zum Gartentor in der Hoffnung, Ihn zu sehen. Mehr als sechzig kamen mit dem Auto oder Rad nach Vanners, um Ihn dort zu treffen. Viele wollten Ihm zu bestimmten Themen Fragen stellen. Darunter waren Geistliche verschiedener Bekenntnisse, der Direktor einer staatlichen Jungenschule, ein Mitglied des Parlaments, ein Arzt, ein prominenter politischer Essayist, der Vizerektor einer Universität, mehrere Journalisten, ein bekannter Dichter und ein Richter aus London.
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Lange wird man daran denken, wie Er in der Nachmittagssonne im Erker saß und Seinen Arm um einen völlig zerlumpten, aber überglücklichen kleinen Jungen gelegt hatte, der gekommen war, um ‘Abdu’l-Bahá um eine Six-Pence-Münze für seine Spardose und für seine kranke Mutter zu bitten – und gleichzeitig unterhielten sich im Zimmer um Ihn herum Männer und Frauen über Erziehung, Sozialismus, das erste Reformgesetz und die Bedeutung von U-Booten und drahtloser Telegraphie für das neue Zeitalter, in das der Mensch nun eintritt.
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Irgendwann am Abend bat ein junges verlobtes Paar aus dem Dorf, das einige Bahá’í-Bücher gelesen hatte, um die Erlaubnis, Ihn zu besuchen. Scheu betraten sie den Raum, der Mann vom Mädchen geführt. ‘Abdu’l-Bahá erhob sich, um sie zu begrüßen und hieß sie im Kreise Platz nehmen. Er sprach sehr ernst mit ihnen über die Heiligkeit der Ehe, die Schönheit einer wahren Vereinigung und die große Bedeutung von kleinen Kindern und deren Erziehung. Bevor sie gingen segnete Er sie und benetzte ihnen Stirn und Haare mit einem persischen Duftstoff.
Erziehung
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‘Abdu’l-Bahá legte großen Wert auf Erziehung. Er sagte:
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»Die Erziehung der Mädchen ist heute wichtiger als die der Jungen, denn sie sind die Mütter der kommenden Generation. Alle haben die Pflicht, sich um die Kinder zu kümmern. Wer keine Kinder hat, sollte möglichst die Verantwortung für die Erziehung eines Kindes übernehmen.«
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Die Lebensbedingungen der Mittellosen in den Dörfern wie auch in London haben ‘Abdu’l-Bahá zutiefst berührt. In einem ernsten Gespräch mit dem Leiter einer Pfarrgemeinde sagte ‘Abdu’l-Bahá:
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»Ich stelle fest, dass England wohl darum weiß; man ist geistig rege. Aber Ihre Armen sind so schrecklich arm! Das sollte nicht sein. Zum einen leben Sie in Wohlstand und großem Luxus, zum anderen leben Männer und Frauen in allergrößter Not und hungern. Dieser enorme Gegensatz ist einer der Schandflecken für die Zivilisation dieses erleuchteten Zeitalters.
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Sie müssen sich wesentlich ernsthafter um die Besserung der Lebensbedingungen der Armen kümmern. Ruhen Sie nicht, bis jeder einzelne, mit dem Sie zu tun haben, für Sie wie ein eigenes Familienmitglied ist. Betrachten Sie jeden entweder als Vater oder Bruder oder Schwester oder Mutter oder als Kind. Wenn Sie das erreichen, werden sich Ihre Probleme lösen und Sie werden wissen, was zu tun ist. Dies besagt die Lehre Bahá’u’lláhs«.
Der Wandel des Herzens
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Jemand sprach über den Wunsch des Volkes, das Land zu besitzen, und die latente Bereitschaft zur Rebellion in der Arbeiterklasse. ‘Abdu’l-Bahá antwortete:
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»Kampf und Gewaltanwendung werden keine guten Ergebnisse zeitigen, selbst wenn sie einer gerechten Sache dienen. Die Unterdrückten, die das Recht auf ihrer Seite haben, sollten dieses Recht nicht mit Gewalt an sich reißen, sonst bleibt das Übel bestehen. Die Herzen müssen verwandelt werden. Der Reiche muss den Wunsch haben zu geben! Die Lebenskraft im Menschen sollte wie eine Flamme sein, die jeden erwärmt, der mit ihr in Berührung kommt. Die geistig Erweckten sind in den Augen Gottes wie helle Fackeln, die ihren Mitmenschen Licht und Erquickung spenden.«
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Auf die Frage, ob Er die Umgangsformen der Engländer im Vergleich mit denen im Osten nicht als rüde und unangenehm erfahren habe, sagte ‘Abdu’l-Bahá, Er habe nichts dergleichen wahrgenommen. Wenn die Geistigkeit in einem Volk zunehme, werde das Betragen sich verändern.
Christus und Bahá’u’lláh
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Ein Freund fragte, inwiefern die Lehren Bahá’u’lláhs zu den Lehren Jesu Christi im Gegensatz stehen. »Die Lehren sind gleich«, erklärte ‘Abdu’l-Bahá, »sie haben die gleiche Grundlage und entstammen dem gleichen Tempel. Es gibt nur eine ungeteilte Wahrheit. Die Lehren Jesu sind sehr konzentriert. Bis heute sind die Menschen sich über die Bedeutung vieler Seiner Aussagen gar nicht einig. Seine Lehren sind wie eine in der Knospe verborgene Blüte. Heute entfaltet sich die Knospe zur Blüte! Bahá’u’lláh hat die Lehren erfüllt, sie erweitert und Punkt für Punkt auf die ganze Welt angewandt.
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Unter den Bahá’í gibt es keine Einzelgänger, keine Einsiedler. Der Mensch muss mit seinen Mitmenschen zusammenarbeiten. Jeder, ob reich oder arm, sollte ein Gewerbe, eine Kunst oder einen erlernten Beruf ausüben, und damit muss er der Menschheit dienen. Ein solcher Dienst wird als höchste Form der Anbetung angenommen.«
Kunst
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Eine Malerin fragte: »Ist Kunst eine achtbare Beschäftigung?« ‘Abdu’l-Bahá wandte sich ihr in beeindruckender Weise zu und sagte: »Kunst ist Anbetung.«
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Ein Schauspieler erwähnte das Schauspiel und dessen Einfluss. »Das dramatische Schauspiel ist höchst bedeutsam«, sagte ‘Abdu’l-Bahá. »Früher hatte es große erzieherische Kraft, und diese wird es wieder erlangen.« Er schilderte, wie Er als kleiner Junge das Mysterienspiel vom Verrat an ‘Alí und dessen Leidensweg gesehen habe und Ihn dieses Spiel so tief ergriffen habe, dass Er weinte und nächtelang nicht schlafen konnte.
Bekenntnissymbole
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Jemand wollte wissen, ob das Tragen von Bekenntnissymbolen, z.B. eines Kreuzes, eine gute Gewohnheit sei. Er sagte: »Sie tragen das Kreuz zum Gedenken, es konzentriert Ihre Gedanken. Es hat keine magische Kraft. Die Bahá’í tragen oft einen Stein, in den der Größte Name eingraviert ist. Der Stein übt keinen magischen Einfluss aus. Er dient als Mahner und Begleiter.
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Wenn Sie im Begriff sind, etwas Selbstsüchtiges oder Vorschnelles zu tun und Ihr Blick dann auf den Ring an Ihrer Hand fällt, werden Sie sich besinnen und Ihre Absicht ändern.«
Esperanto
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Ein Freund sprach Bahá’u’lláhs Prophezeiung in den Worten des Paradieses an, es werde eine Weltsprache geschaffen werden,Deutlicher angesprochen ist dies in den Sendschreiben Bishárát und Lawḥ-i-Maqṣúd (Botschaften aus ‘Akká 3:4; 11:8) (Anm. d. Übers.).A und wollte gerne wissen, ob Esperanto einmal die dafür auserwählte Sprache sein werde. Er antwortete:
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»Die für Esperanto aufgewendete Liebe und Mühe wird nicht verloren sein, aber eine Einzelperson kann nicht eine universale Sprache ausarbeiten. Sie muss von einem Rat, der alle Länder vertritt, geschaffen werden und Wörter aus verschiedenen Sprachen beinhalten. Die einfachsten Regeln sollen gelten und es wird keine Ausnahmen geben, auch keine Geschlechtswörter oder besondere und stumme Laute. Jede Sache wird nur eine Bezeichnung haben. Im Arabischen gibt es hunderte Worte für das Kamel! In den Schulen aller Länder wird die Muttersprache und gleichzeitig die überarbeitete Weltsprache gelehrt werden.«
Tolstoi
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Der gleiche Fragesteller sagte: »Ich habe vieles von Tolstoi gelesen und sehe eine Parallele zwischen seinen Lehren und den Ihrigen. In einem seiner Bücher spricht er vom Rätsel des Lebens und beschreibt, wie wir bei unserem Streben, den Schlüssel zu finden, unser Leben vergeuden. Aber Tolstoi fährt fort:›Es gibt in Persien einen Mann, der das Geheimnis kennt.‹«
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»Ja«, sagte ‘Abdu’l-Bahá, »Ich bekam von Tolstoi einen Brief und darin schrieb er, dass er ein Buch über Bahá’u’lláh schreiben wolle.«
Heilung
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Ein an der Heilkunst interessierter Freund zitierte die Worte Bahá’u’lláhs: »Wenn jemand krank ist, soll er zum besten Arzt gehen.«Bahá’u’lláh, Kitáb-i-Aqdas 113: »Bei Krankheit wendet euch an fähige Ärzte.« (Anm. d. Übers.).Q
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‘Abdu’l-Bahá sagte: »Es gibt nur eine heilende Kraft – das ist Gott. Die Verfassung oder die Vorbedingung, unter der sich die Heilung vollzieht, ist die Zuversicht des Herzens. Bei manchen wird dieser Zustand durch Pillen, Pulver und Ärzte erreicht, bei anderen durch Hygiene, Fasten und Beten, bei wieder anderen durch unmittelbares Empfinden.«
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Bei einer anderen Gelegenheit sagte ‘Abdu’l-Bahá zu eben diesem Thema: »Wir sehen um uns herum nichts als das Wirken des Geistes. Der Geist in den Kräutern und im Mineral wirkt auf den menschlichen Körper und verändert seinen Zustand.« Die Ansprache entwickelte sich zu einer wissenschaftlichen Erörterung der Philosophie von Aristoteles.
Tod
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Ein Freund fragte: »Wie soll man dem Tod entgegensehen?«
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‘Abdu’l-Bahá antwortete: »Wie sieht man dem Ende einer Reise entgegen? Mit Hoffnung und Erwartung. So ist es auch mit dem Ende dieser Erdenreise. In der nächsten Welt wird der Mensch sich von vielen Unzulänglichkeiten, unter denen er jetzt leidet, befreit fühlen. Wer durch den Tod gegangen ist, lebt in einer eigenen Sphäre. Sie ist der unsrigen nicht entrückt: ihr Wirken im Königreich ist das unsrige. Aber sie ist geheiligt von dem, was wir Raum und Zeit nennen. Unsere Zeit wird nach der Sonne gemessen. Wenn es keinen Sonnenaufgang und keinen Sonnenuntergang mehr gibt, so gibt es für den Menschen auch nicht mehr diese Art von Zeit. Die Aufgestiegenen haben Merkmale, die sich von den Eigenschaften derer unterscheiden, die noch auf Erden sind. Doch besteht keine wirkliche Trennung zwischen ihnen.
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