‘Abdu’l-Bahá | Ansprachen in Paris
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16:1
Die Bibel enthält Prophezeiungen über das Kommen Christi. Die Juden erwarten noch immer das Kommen des Messias und beten Tag und Nacht zu Gott, dass Er sein Kommen beschleunigen möge.
16:2
Als Christus kam, verrieten und töteten sie Ihn mit den Worten: »Dies ist nicht der von uns Erwartete. Siehe, wenn der Messias kommt, werden Zeichen und Wunder bezeugen, dass Er in der Tat der Christus ist. Wir kennen die Zeichen und Gegebenheiten, und sie sind nicht erschienen. Der Messias wird aus einer unbekannten Stadt hervorgehen. Er wird auf dem Throne Davids sitzen und siehe, Er wird kommen mit einem Schwert von Stahl und mit einem eisernen Stabe herrschen! Er wird das Gesetz der Propheten erfüllen. Er wird den Osten und den Westen erobern und Sein erwähltes Volk, die Juden, erheben. Er wird ein Reich des Friedens mit Sich bringen, während welchem selbst die Tiere aufhören werden, mit dem Menschen feind zu sein. Denn siehe, Wolf und Lamm werden aus einer Quelle trinken, und Löwe und Reh auf gleicher Weide lagern. Schlange und Maus werden das Nest miteinander teilen und alle Geschöpfe Gottes in Ruhe leben.«.
16:3
Nach Meinung der Juden erfüllte Jesus Christus keine dieser Gegebenheiten, denn ihre Augen waren gehalten, und sie vermochten nicht zu erkennen.
16:4
Er kam aus Nazareth, einem Orte, der nicht unbekannt war. Er trug kein Schwert, nicht einmal einen Stock in der Hand. Er saß nicht auf dem Throne Davids und war arm. Er gestaltete das Gesetz Mose um und brach den Sabbat. Er eroberte weder den Osten noch den Westen, sondern war Selber den römischen Gesetzen Untertan. Er erhob nicht die Juden, sondern lehrte Gleichheit und Brüderlichkeit und tadelte die Schriftgelehrten und Pharisäer. Er führte kein Reich des Friedens ein, denn zu Seinen Lebzeiten wuchsen Ungerechtigkeit und Grausamkeit derartig an, dass Er ihnen selbst zum Opfer fiel und einen schimpflichen Tod am Kreuz starb.
16:5
So dachten und sprachen die Juden, denn sie begriffen weder die Schriften noch die in ihnen enthaltene herrliche Wahrheit. Sie hatten die Buchstaben auswendig gelernt, verstanden aber kein einziges Wort vom lebenspendenden Geiste.
16:6
Hört zu, und ich will euch den Sinn davon zeigen. Obwohl Er aus Nazareth, einem bekannten Ort, kam, kam Er doch auch vom Himmel, Sein Körper wurde durch Maria geboren, aber Sein Geist kam vom Himmel. Das Schwert, das Er führte, war das Schwert Seiner Zunge, mit dem Er den Guten vom Bösen, das Echte vom Falschen, den Gläubigen vom Ungläubigen und das Licht von der Finsternis schied. Sein Wort war in der Tat ein scharfgeschliffenes Schwert! Der Thron, auf dem Er saß, war der ewige Thron, von dem aus Christus auf immer herrscht, ein himmlischer und kein irdischer Thron, denn das Irdische vergeht, Himmlisches aber wird nicht vergehen. Er gab dem Gesetze Mose eine erneuerte Deutung, vollendete es und erfüllte das Gesetz der Propheten. Sein Wort eroberte den Osten und den Westen, Sein Reich ist ewig. Er erhob die Juden, die Ihn anerkannten. Es waren Männer und Frauen von schlichter Herkunft, aber die Verbindung mit Ihm machte sie groß und verlieh ihnen unvergängliche Würde. Die Tiere, die beisammen leben sollten, bedeuteten die verschiedenen Sekten und Völker, die einst gegeneinander im Kampfe standen, jetzt aber in Liebe und Güte wohnen und miteinander das Wasser des Lebens aus Christus, der ewigen Quelle, trinken sollten.
16:7
So wurden alle auf das Kommen Christi bezüglichen geistigen Prophezeiungen erfüllt, aber die Juden schlossen ihre Augen, um nicht zu sehen, und ihre Ohren, um nicht zu hören, und die göttliche Wirklichkeit Christi ging durch ihre Mitte, ohne gehört, geliebt und erkannt zu werden.
16:8
Es ist leicht, die Heiligen Schriften zu lesen, aber ihr wahrer Sinn lässt sich nur mit reinem Herzen und reiner Seele begreifen. Lasst uns Gottes Hilfe erbitten, dass sie uns fähig macht, die Heiligen Bücher zu verstehen. Lasst uns um Augen zu sehen und um Ohren zu hören beten und um Herzen, die sich nach Frieden sehnen.
16:9
Gottes ewige Gnade ist unermesslich. Er hat immer gewisse Seelen auserwählt, über die Er die göttliche Gnadenfülle Seines Herzens ausgoss, deren Geist Er mit himmlischem Licht erhellte, denen Er die heiligen Geheimnisse offenbarte und vor deren Augen er klar den Spiegel der Wahrheit hielt. Sie sind die Jünger Gottes, und Seine Güte hat keine Grenzen. Auch ihr, die ihr Diener des Höchsten seid, könnt Jünger werden. Die Schatzkammern Gottes sind unerschöpflich.
16:10
Der Geist, der durch die Heiligen Schriften weht, ist Nahrung für alle, die hungern. Gott, der Seinen Propheten die Offenbarung gab, wird gewiss aus Seiner Fülle heraus allen tägliches Brot gewähren, die Ihn ehrlich darum bitten.
Der Heilige Geist als die vermittelnde Kraft zwischen Gott und dem Menschen
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Avenue de Camoëns 4, 31. Oktober 1911
17:1
Die Göttliche Wirklichkeit ist unausdenkbar, grenzenlos, ewig, unvergänglich und unsichtbar.
17:2
Die Welt der Schöpfung ist durch Naturgesetze gebunden, endlich und vergänglich.
17:3
Von der unendlichen Wirklichkeit kann nicht gesagt werden, dass sie herauf- oder herabsteigt. Sie ist jenseits des menschlichen Begreifens und lässt sich nicht mit Ausdrücken beschreiben, die dem Erscheinungsbereich der erschaffenen Welt entsprechen.
17:4
Der Mensch bedarf darum dringend der einzigen Kraft, durch die er Hilfe aus der göttlichen Wirklichkeit zu empfangen vermag, der Kraft, die ihn allein mit der Quelle allen Lebens in Verbindung bringt.
17:5
Ein Mittel ist erforderlich, um zwei Extreme zueinander in Beziehung zu bringen. Reichtum und Armut, Fülle und Mangel: Ohne vermittelnde Macht wäre keine Beziehung zwischen diesen beiden Gegensatzpaaren möglich.
17:6
So können wir sagen, dass es einen Mittler zwischen Gott und den Menschen geben muss, und dieser ist kein anderer als der Heilige Geist, der die erschaffene Erde mit dem »Unausdenkbaren«, mit der göttlichen Wirklichkeit, in Beziehung bringt.
17:7
Wir mögen die göttliche Wirklichkeit mit der Sonne und den Heiligen Geist mit den Sonnenstrahlen vergleichen. Wie die Sonnenstrahlen das Licht und die Wärme der Sonne zur Erde bringen und damit allem Erschaffenen Leben geben, so bringen die »Manifestationen« Die Manifestationen Gottes. A die Kraft des Heiligen Geistes von der göttlichen Sonne der Wirklichkeit, damit sie den Menschenseelen Licht und Leben spenden.
17:8
Beachtet wohl: Es bedarf eines Mittlers zwischen der Sonne und der Erde. Die Sonne steigt weder zur Erde hernieder, noch steigt die Erde zur Sonne empor. Diese Verbindung wird durch die Sonnenstrahlen geschaffen, die Licht und Wärme und Hitze bringen.
17:9
Der Heilige Geist ist das Licht der Sonne der Wahrheit, das durch seine unendliche Kraft der gesamten Menschheit Leben und Erleuchtung bringt, alle Seelen mit göttlichem Glanz überflutet und der ganzen Welt die Segnungen der Gnade Gottes übermittelt. Die Erde vermöchte ohne das Mittel der Sonnenwärme und des Sonnenlichtes keine Segnungen von der Sonne zu empfangen.
17:10
So ist auch der Heilige Geist die eigentliche Ursache des Lebens im Menschen. Ohne den Heiligen Geist besäße er keine Erkenntnisfähigkeit, wäre er nicht im Stande, sich die wissenschaftlichen Kenntnisse anzueignen, durch die er seinen großen Einfluss über den übrigen Schöpfungskreis gewinnt. Die Erleuchtung durch den Heiligen Geist verleiht dem Menschen die Macht des Denkens und gibt ihm die Möglichkeit, Entdeckungen zu machen, durch die er die Naturgesetze seinem Willen beugt.
17:11
Es ist der Heilige Geist, der durch die Vermittlung der Propheten Gottes den Menschen geistige Tugenden lehrt und ihn befähigt, ewiges Leben zu erlangen.
17:12
Alle diese Segnungen werden dem Menschen durch den Heiligen Geist verliehen. Deshalb können wir verstehen, dass der Heilige Geist der Mittler zwischen dem Schöpfer und dem Erschaffenen ist. Sonnenlicht und Hitze lassen die Erde fruchtbar werden, sie erwecken alles, was Wachstum hat, zum Leben, und der Heilige Geist erquickt die Seelen der Menschen.
17:13
Die beiden großen Apostel, Petrus und der Evangelist Johannes, waren ursprünglich schlichte Arbeiter, die sich um ihr tägliches Brot bemühten. Durch die Kraft des Heiligen Geistes wurden ihre Seelen erleuchtet, und sie empfingen die ewigen Segnungen des Herrn Christus.
Die beiden Naturen im Menschen
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1. November 1911
18:1
Heute ist in Paris ein Tag der Freude. Man begeht das Fest ›Aller Heiligen‹. Weshalb wohl meint ihr, dass man diese Menschen ›Heilige‹ genannt hat? Das Wort hat eine sehr greifbare Bedeutung. Ein Heiliger ist jemand, der ein Leben der Reinheit führt, jemand, der sich von aller menschlichen Schwäche und Unvollkommenheit befreit hat.
18:2
Im Menschen sind zwei Naturen: seine geistige oder höhere und seine materielle oder niedere Natur. In der einen nähert er sich Gott, wogegen er in der anderen nur für die Welt lebt. Von beiden Naturen finden sich im Menschen Zeichen. In seiner materiellen Art bringt er Lüge, Grausamkeit und Ungerechtigkeit zum Ausdruck, die alle seiner niederen Natur entspringen. Die Eigenschaften seiner göttlichen Natur erscheinen als Liebe, Erbarmen, Güte, Wahrheit und Gerechtigkeit, und sie sind eine wie die andere Ausdruck seines höheren Wesens. Alles gute Gebaren, jeder edle Zug gehört der geistigen Natur des Menschen an, wogegen alle seine Unzulänglichkeiten und bösen Taten aus seiner materiellen Wesensart heraus geboren werden. Überwiegt bei einem Menschen die göttliche Natur gegenüber der menschlichen, so haben wir einen Heiligen.
18:3
Der Mensch hat die Kraft zum Guten wie auch zum Bösen. Wenn die Kraft zum Guten vorherrscht und seine Neigungen zum Unrechten überwunden werden, mag der Mensch mit Recht als Heiliger bezeichnet werden. Doch wenn er stattdessen das, was Gottes ist, verwirft und seine üblen Leidenschaften über sich siegen lässt, ist er nicht besser als die bloßen Tiere.
18:4
Heilige sind Menschen, die sich von der Welt des Stoffes freigemacht und die Sünde überwunden haben. Sie leben in der Welt, sind aber nicht von ihr, weil ihre Gedanken dauernd in der Welt des Geistes weilen. Sie verbringen ihr Leben in Heiligkeit, und ihre Taten zeigen Liebe, Gerechtigkeit und Frömmigkeit. Sie werden aus der Höhe erleuchtet und sind wie helle, scheinende Lampen in den dunklen Plätzen der Erde. Das sind die Heiligen Gottes. Die Apostel, die Jünger Christi, waren genau wie andere Menschen. Gleich den übrigen wurden sie durch die weltlichen Dinge angezogen, und jeder dachte nur an seinen eigenen Vorteil. Sie wussten nur wenig von Gerechtigkeit, und man fand bei ihnen keine göttlichen Vollkommenheiten. Als sie aber Christus anhingen und an Ihn glaubten, wich ihre Unwissenheit der Einsicht, die Härte wurde in Gerechtigkeit, die Unwahrheit in Wahrheit und die Dunkelheit in Licht verwandelt. Waren sie zuvor weltlich, wurden sie jetzt geistig und göttlich. Sie waren Kinder der Finsternis gewesen und wurden Gottessöhne, Heilige! Bemühet euch darum, ihren Fußstapfen zu folgen, indem ihr alles Weltliche zurücklasst und danach strebt, ins Geistige Reich zu gelangen.
18:5
Bittet Gott, dass Er euch in der göttlichen Tugend stärke, damit ihr in der Welt wie Engel und Flammenzeichen werdet und allen, die begreifenden Herzens sind, die Geheimnisse des Himmelreiches auftut.
18:6
Gott sandte Seine Propheten in die Welt, um den Menschen zu belehren und zu erleuchten, ihm das Geheimnis der Macht des Heiligen Geistes zu erklären und ihn zu befähigen, das Licht zu spiegeln, so dass er seinerseits zur Ursache der Rechtleitung für andere werde. Die Himmlischen Bücher, die Bibel, der Qur’án und die übrigen Heiligen Schriften wurden von Gott als Führer auf dem Pfad zu göttlicher Tugend, Liebe, Gerechtigkeit und Frieden dargeboten.
18:7
Darum sage ich euch: bemühet euch, die Ratschläge dieser gesegneten Bücher zu befolgen, und auf diese Weise euer Leben so zu ordnen, dass ihr getreu den gegebenen Beispielen zu Heiligen des Höchsten werdet!
Materieller und geistiger Fortschritt
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2. November 1911
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‘Abdu’l-Bahá sprach:
19:1
Wie schön ist doch das Wetter heute, der Himmel ist klar, die Sonne strahlt, und das menschliche Herz wird froh dabei!
19:2
Durch ein so helles und schönes Wetter wird der Mensch belebt und neu gestärkt, und wenn er krank war, fühlt er im Herzen wieder freudige Genesungshoffnung. Alle diese Gaben der Natur betreffen den physischen Teil des Menschen, denn nur sein Körper kann stoffliche Segnungen empfangen.
19:3
Wenn ein Mensch in seinem Geschäft, in der Kunst oder sonst im Beruf Erfolg hat, so wird er dadurch in die Lage versetzt, sein physisches Wohlergehen zu heben und seinem Körper ein Maß von Annehmlichkeit und Wohlbehagen zu geben, bei dem er sich wohlfühlt. Wir sehen heute rings um uns, wie sich der Mensch mit aller neuzeitlichen Bequemlichkeit und Pracht umgibt und seiner physischen, materiellen Seite nichts versagt. Doch seid auf der Hut, dass ihr über der allzu starken Beachtung der körperlichen Angelegenheiten nicht die Bedürfnisse der Seele hintenan stellt, denn der materielle Gewinn vermag den Geist des Menschen nicht zu heben. Vervollkommnung in weltlichen Dingen bringt dem menschlichen Körper Freude, gereicht aber keineswegs der Seele zur Ehre.
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