‘Abdu’l-Bahá | Beantwortete Fragen
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14:4
Dann kommt der unerbittliche Herbst, wenn sich unheilvolle Stürme erheben, heftige Winde wehen und die karge, entbehrungsreiche Jahreszeit beginnt. Alles verdorrt, die angenehme Luft wird rau und kühl, die Frühlingsbrisen verwandeln sich in Herbstwinde, Bäume, die zuvor grün und fruchtbar waren, verkümmern und werden kahl, Blumen und Kräuter welken dahin und köstliche Gärten werden zu trostlosen Staubhaufen.
14:5
Es folgt der Winter, wenn eisige Winde wehen und Stürme aufkommen. Es schneit und stürmt, es hagelt und regnet, es donnert und blitzt; alles friert und erstarrt. Pflanzen sterben und Tiere siechen dahin und verkümmern.
14:6
Wenn dieses Stadium erreicht ist, kehrt die lebensspendende Frühlingszeit wieder zurück und ein neuer Zyklus beginnt. Der Frühling mit seiner grenzenlosen Energie und Anmut und in der Fülle seiner Größe und Majestät, schlägt sein Zelt auf Bergen und Ebenen auf. Und erneut wird die Gestalt erschaffener Dinge wiederbelebt und die Schöpfung bedingter Wesen erneuert. Lebendige Körper wachsen und entwickeln sich, Felder und Ebenen werden grün und fruchtbar, Bäume bringen Blüten hervor, und der Frühling des letzten Jahres kehrt in größter Majestät und Pracht zurück. Die bloße Existenz des Erschaffenen wird immer von diesen Zyklen und Abfolgen abhängen und durch sie aufrechterhalten werden. Das sind die Zyklen und Umwälzungen in der materiellen Welt.
14:7
Die geistigen Zyklen, die mit den Propheten Gottes verbunden sind, verlaufen in gleicher Weise. Das heißt, der Tag des Erscheinens der Heiligen Manifestationen ist der geistige Frühling. Er ist göttlicher Glanz und himmlische Gnade; er ist der Odem des Lebens und die Morgendämmerung der Sonne der Wahrheit. Der Geist wird belebt, das Herz erfrischt, die Seele veredelt, alles Sein wird in Bewegung versetzt, der Menschen Wirklichkeit frohlockt und Fertigkeiten und Vollendung nehmen zu. Allgemeiner Fortschritt wird erzielt, die Seelen werden versammelt und die Toten zum Leben erweckt, denn es ist der Tag der Auferstehung, die Zeit der Unruhe und Gärung, die Stunde der Freude und des Glücks, die Zeit der Verzückung und der Hingabe.
14:8
Dieser lebensspendende Frühling bringt dann einen Sommer voller Früchte hervor. Das Wort Gottes wird verkündet, Sein Gesetz verbreitet, und alles Dasein erreicht einen Zustand der Vollkommenheit. Die himmlische Tafel wird ausgebreitet, die duftenden Brisen der Heiligkeit dringen nach Ost und West, die Lehren Gottes erobern die ganze Erde, Seelen werden erzogen, lobenswerte Ergebnisse werden erzielt, allgemeiner Fortschritt wird im Menschenreich erlangt, die göttlichen Gaben umfassen alles Dasein, und die Sonne der Wahrheit scheint über dem Horizont des himmlischen Königreichs in ihrer vollen Macht und Stärke.
14:9
Wenn diese Sonne ihren Zenit erreicht, beginnt sie zu sinken, und auf diese Sommerzeit des Geistes folgt der Herbst. Wachstum und Entwicklung kommen zum Stillstand, sanfte Brisen verwandeln sich in verheerende Winde und die karge, entbehrungsreiche Jahreszeit lässt die Lebenskraft und Schönheit der Gärten, Felder und Lauben schwinden. Das heißt, geistige Anziehungskräfte schwinden, göttliche Eigenschaften vergehen, das Strahlen der Herzens verblasst, die Geistigkeit der Seelen wird getrübt, Tugenden werden zu Lastern, Heiligkeit und Reinheit sind nicht mehr zu finden. Vom Gesetz Gottes verbleibt nichts als ein Name und von den göttlichen Lehren nichts als eine äußere Form. Die Grundfesten der Religion Gottes werden zerstört und vernichtet, Bräuche und Traditionen treten an ihre Stelle, es kommt zu Spaltungen und Standhaftigkeit verwandelt sich in Bestürzung. Der Geist verkümmert, das Herz ermattet und die Seele erstarrt.
14:10
Der Winter bricht herein; das heißt, die Kälte der Torheit und Unwissenheit umhüllt die Welt und es herrscht die Dunkelheit eigensinniger und selbstsüchtiger Wünsche. Darauf folgt Gleichgültigkeit und Widerspenstigkeit, Trägheit und Torheit, Niedertracht und tierische Merkmale, Kälte und Versteinerung, genau wie zur Winterzeit, wenn der Erdball ohne den Einfluss der Sonnenstrahlen wüst und leer wird. Wenn das Reich von Geist und Verstand dieses Stadium erreicht, verbleibt nichts als der unabänderliche Tod und endloses Nichtsein.
14:11
Wenn jedoch die Winterzeit zu Ende geht, kehrt der geistige Frühling wieder zurück und ein neuer Zyklus offenbart seinen Glanz. Die Brisen des Geistes wehen, der strahlende Morgen bricht an, die Wolken des Barmherzigen regnen herab, die Strahlen der Sonne der Wahrheit leuchten, und die Welt des Seins wird mit neuem Leben erfüllt und in ein wundersames Gewand gekleidet. In dieser neuen Jahreszeit erscheinen alle Zeichen und Gaben des vorangegangenen Frühlings wieder, vielleicht sogar in noch größerem Maße.
14:12
Die geistigen Zyklen der Sonne der Wahrheit befinden sich wie die Zyklen der physischen Sonne in einem Zustand ständiger Bewegung und Erneuerung. Die Sonne der Wahrheit kann mit der materiellen Sonne verglichen werden, die an vielen verschiedenen Orten aufgeht. Einmal erhebt sie sich im Zeichen des Krebses und einmal im Zeichen der Waage; einmal erstrahlt sie im Zeichen des Wassermanns und ein andermal im Zeichen des Widders. Doch die Sonne ist nur eine Sonne und eine einzige Wirklichkeit. Die wahres Wissen besitzen, lieben die Sonne und sind nicht ihren Aufgangsorten verhaftet. Wer mit Einsicht begabt ist, sucht die Wahrheit selbst, nicht ihre Stellvertreter oder ihre Verkörperungen. So beugen sie sich in Anbetung vor der Sonne, in welchem Zeichen und über welchem Horizont sie auch immer aufgehen mag, und suchen die Wahrheit bei jeder geheiligten Seele, die sie offenbaren könnte. Solche Menschen entdecken unweigerlich die Wahrheit und sind nicht durch Schleier vom Licht der Sonne des göttlichen Himmels getrennt. Wer die Strahlen liebt und das Licht sucht, wird sich stets der Sonne zuwenden, ob sie nun im Zeichen des Widders scheint, ob sie ihre Gunst im Zeichen des Krebses gewährt oder ihre Strahlen im Zeichen des Zwillings aussendet.
14:13
Aber die Törichten und Unwissenden sind nur von den Tierkreiszeichen angetan und von den Aufgangsorten verzaubert, nicht von der Sonne selbst. Als sie im Krebs stand, wandten sie sich ihr zu, aber als sie in die Waage überging, fuhren sie – an das frühere Zeichen gefesselt – fort ihren Blick auf dieses Zeichen zu richten und daran festzuhalten. So beraubten sie sich der Strahlen der Sonne, sobald sie sich bewegt hatte. So erstrahlte einst die Sonne der Wahrheit im Zeichen Abrahams, später erhob sie sich im Zeichen Mose und erleuchtete den Horizont und noch später schien sie mit größter Kraft, Wärme und Ausstrahlung im Zeichen Christi. Die nach der Wahrheit suchten, beteten sie an, wo immer sie sie sahen, aber sobald die Sonne ihre Strahlen auf den Sinai warf und die Wirklichkeit Mose erleuchtete, wurden diejenigen, die sich weiter an Abraham hielten, ihrer beraubt. Und die sich an Mose klammerten, waren ebenso wie durch Schleier von Gott getrennt, als die Sonne der Wahrheit die Strahlenfülle ihres himmlischen Glanzes vom Aufgangsort Christi aus verbreitet hatte und so setzte es sich immer weiter fort.
14:14
Deshalb muss man nach der Wahrheit suchen, sich von jeder geheiligten Seele, in der man sie findet, verzücken und verzaubern lassen und sich ganz und gar von den Gnadengaben Gottes anziehen lassen. Wie ein Nachtfalter muss man das Licht lieben, in welcher Lampe es auch immer leuchtet; und wie eine Nachtigall muss man von der Rose bezaubert sein, in welcher Laube sie auch immer blüht.
14:15
Würde die Sonne im Westen aufgehen, so wäre es immer noch die Sonne. Ja, wo auch immer die Sonne aufgehen mag, es ist stets dieselbe Sonne. Man darf nicht annehmen, dass ihr Aufgang sich auf einen einzigen Ort beschränkt und dass die anderen Orte daran keinen Anteil haben. Man darf sich nicht von ihrem Aufgang im Osten täuschen lassen und den Westen als Ort ihres Untergangs betrachten. Man muss nach der mannigfachen Gunst Gottes suchen, nach dem göttlichen Strahlenglanz Ausschau halten und sich von jeder Wirklichkeit, in der sie klar und deutlich zu finden sind, verzücken und verzaubern lassen. Bedenke: Hätten sich die Juden nicht an den Horizont Mose geklammert, sondern ihren Blick auf die Sonne der Wahrheit gerichtet, dann hätten sie gewiss die Sonne in ihrer göttlichen Strahlenfülle in diesem wahren Aufgangsort, in Christus, wahrgenommen. Aber ach, tausendmal ach! Sie klammerten sich an den Namen Mose und beraubten sich dieser himmlischen Gnade und dieses göttlichen Glanzes.
Kapitel 15Wahres Glück
15:1
Ehre und Erhabenheit alles Existierenden hängt von bestimmten Ursachen und Bedingungen ab.
15:2
Die Vortrefflichkeit, Zierde und Vollkommenheit der Erde liegen darin, dass sie durch die Frühlingsschauer grün und fruchtbar wird, Pflanzen aus ihr hervorsprießen, Blumen und Kräuter wachsen, blühende Bäume reichen Ertrag und frische und saftige Früchte hervorbringen, Gärten entstehen, Wiesen erblühen, Ebenen und Berge in smaragdgrünem Gewand erscheinen und Felder, Lauben, Dörfer und Städte geschmückt sind. Das ist das GlückDas Wort ›Sa‘ádat‹, das hier als ›Glück‹ wiedergegeben wird, hat weitere Bedeutungen wie Wohlstand, Freude und Wohlbefinden.A des Mineralreichs.
15:3
Der Gipfel der Erhabenheit und Vollkommenheit für die Pflanzenwelt liegt darin, dass ein Baum an einem Fluss frischen Wassers steht, eine sanfte Brise weht und die Sonne ihm ihre Wärme spendet, ein Gärtner ihn pflegt und er von Tag zu Tag wächst und Früchte trägt. Aber ihr wahres Glück liegt darin, in die Welt der Tiere und Menschen überzugehen und zu ersetzen, was in den Körpern der Tiere und Menschen verbraucht wurde.
15:4
Die Erhabenheit der Tierwelt liegt darin, vollkommene Glieder, Organe und Kräfte zu besitzen und alle Bedürfnisse decken zu können. Das ist der Gipfel ihrer Herrlichkeit, Ehre und Erhabenheit. So liegt das größte Glück für ein Tier in einer grünen fruchtbaren Wiese, in einem Fluss mit kristallklarem Wasser oder in einem belebten Wald. Wenn all diese Dinge bereit stehen, kann man sich kein größeres Glück für das Tier vorstellen. Sollte zum Beispiel ein Vogel sein Nest in einem grünen fruchtbaren Wald, in angenehmer Höhe, auf einem mächtigen Baum, in den höchsten Zweigen bauen, und sollte er so viel Körner und Wasser haben wie er braucht, dann wäre das sein vollkommenes Glück.
15:5
Aber wahres Glück liegt für das Tier darin, aus der Tierwelt ins Menschenreich zu gelangen, wie die mikroskopisch kleinen Lebewesen, die durch Luft und Wasser in den Körper des Menschen gelangen, aufgenommen werden und ersetzen, was von ihm verbraucht wurde. Das ist die größte Ehre und das größte Glück für die Tierwelt, und keine größere Ehre ist für sie vorstellbar.
15:6
Solch materielle Unbeschwertheit, Bequemlichkeit und Fülle stellt also offensichtlich das höchste Glück für Mineralien, Pflanzen und Tiere dar. Kein Reichtum, kein Wohlstand, keine Behaglichkeit und keine Unbeschwertheit in unserer materiellen Welt kann dem Reichtum eines Vogels gleichkommen, denn er hat die ganze Weite der Felder und Berge als Heimstatt; alle Samenkörner und Ernten sind sein Reichtum und seine Nahrung; und alle Ländereien, Dörfer, Wiesen, Weiden, Wälder und jede Wildnis sein Besitz. Wer ist nun reicher – dieser Vogel oder der Reichste unter den Menschen? Ganz gleich, wie viele Körner der Vogel auch sammeln oder verschenken mag, sein Reichtum wird nicht geschmälert.
15:7
Somit ist klar, dass Ehre und Erhabenheit des Menschen nicht nur in materiellen Freuden und irdischen Vorteilen liegen kann. Das materielle Glück ist zweitrangig, während die Erhabenheit des Menschen in erster Linie in solchen Tugenden und Errungenschaften liegt, die die menschliche Wirklichkeit schmücken. Diese bestehen in göttlichen Segnungen, himmlischen Gaben, aufrichtigen Gefühlen, Liebe und Erkenntnis Gottes, Bildung, Verstandeswahrnehmungen und wissenschaftlichen Entdeckungen. Sie bestehen in Gerechtigkeit und Unparteilichkeit, Wahrhaftigkeit und Güte, innerem Mut und natürlicher Menschlichkeit, dem Schutz der Rechte anderer und der Wahrung der Unantastbarkeit von Verträgen und Vereinbarungen. Sie bedeuten rechtschaffenes Verhalten unter allen Umständen, bedingungslose Liebe zur Wahrheit, Aufopferung für das Wohl aller Menschen, Güte und Mitgefühl für alle Völker, Gehorsam gegenüber den Lehren Gottes, Dienst für das himmlische Königreich, Führung für die gesamte Menschheit und Bildung für alle Völker und Nationen. Das ist das Glück der Menschenwelt! Das ist die Erhabenheit des Menschen in der bedingten Welt! Das ist ewiges Leben und himmlische Ehre!
15:8
Diese Gaben erscheinen jedoch in der Wirklichkeit des Menschen allein durch eine heilige und göttliche Macht, und durch die himmlischen Lehren, denn sie bedürfen einer übernatürlichen Macht. Ansatzweise mag diese Vollkommenheit zwar in der Natur auftauchen, aber sie ist so flüchtig und kurzlebig wie Sonnenstrahlen auf einer Wand.
15:9
Da der barmherzige Herr das Haupt des Menschen mit einem solch strahlenden Diadem gekrönt hat, müssen wir danach streben, dass seine leuchtenden Edelsteine ihr Licht auf die ganze Welt werfen.
Teil 2 – Einige christliche ThemenKapitel 16Intelligible Wirklichkeiten und ihr mit den Sinnen wahrnehmbarer Ausdruck
16:1
Es gibt einen Gesichtspunkt, der ausschlaggebend für das tiefere Verständnis der Fragen ist, die wir bereits erörtert haben und noch erörtern werden, dass nämlich menschliche Erkenntnis auf zweierlei Wegen erfolgt.
16:2
Ein Weg ist die Erkenntnis über die Sinne. Was das Auge, das Ohr, der Geruchs-, Geschmacks- oder Tastsinn erfassen kann, nennt man ›mit den Sinnen wahrnehmbar‹. Zum Beispiel ist die Sonne wahrnehmbar, da man sie sehen kann. Ebenso sind Töne wahrnehmbar, da das Ohr sie hören kann; Gerüche, da sie eingeatmet und durch den Geruchssinn wahrgenommen werden können; Speisen, da der Gaumen ihren süßen, sauren, bitteren oder salzigen Geschmack wahrnehmen kann; Hitze und Kälte, da sie durch den Tastsinn wahrgenommen werden können. Dies nennen wir mit den Sinnen wahrnehmbare Wirklichkeiten.
16:3
Der andere Weg zur Erkenntnis geht über das verstandesmäßig Fassbare; das sind die intelligiblen Wirklichkeiten, die nicht an Form und Raum gebunden und nicht mit den Sinnen wahrnehmbar sind. Beispielsweise ist weder die Kraft des Verstandes noch irgendeine menschliche Eigenschaft mit den Sinnen wahrnehmbar: Es sind intelligible Wirklichkeiten. Auch Liebe ist eine intelligible und keine mit den Sinnen wahrnehmbare Wirklichkeit. Denn das Ohr hört diese Wirklichkeiten nicht, das Auge sieht sie nicht, der Geruchssinn kann sie nicht wahrnehmen, der Geschmacksinn sie nicht feststellen, der Tastsinn sie nicht spüren. Selbst der Äther, dessen Kräfte in der Naturphilosophie mit Wärme, Licht, Elektrizität und Magnetismus beschrieben werden, ist eine intelligible und keine mit den Sinnen wahrnehmbare Wirklichkeit. Auch das Wesen der Natur ist eine intelligible und keine mit den Sinnen wahrnehmbare Wirklichkeit; der menschliche Geist ist eine intelligible und keine mit den Sinnen wahrnehmbare Wirklichkeit.
16:4
Wenn du aber versuchst, diese intelligiblen Wirklichkeiten zu erklären, dann bist zu gezwungen, sie in eine mit den Sinnen wahrnehmbare Form zu gießen, da es in der Außenwelt nichts gibt, das über die Sinneswahrnehmung hinaus geht. Wenn du also die Wirklichkeit des Geistes, seinen Zustand und seine Stufen darstellen möchtest, musst du sie zwangsläufig wie etwas beschreiben, das mit den Sinnen wahrnehmbar ist, denn in der Außenwelt gibt es nur das mit den Sinnen Wahrnehmbare. Kummer und Freude sind zum Beispiel intelligible Zustände. Wenn man diese geistigen Befindlichkeiten jedoch beschreiben möchte, sagt man: »Mir wurde schwer ums Herz« oder »Mir wurde leicht ums Herz«, obwohl das Herz nicht wirklich schwerer oder leichter wird. Vielmehr handelt es sich um einen geistigen, intelligiblen Zustand, der nur mit Analogien aus der Sinneswahrnehmung beschrieben werden kann. Ein anderes Beispiel wäre die Aussage: »Ein gewisser Soundso ist weit voran gekommen«, obgleich er an Ort und Stelle geblieben ist, oder: »Soundso hat eine hohe Stellung«, obwohl er, wie jeder andere auch, weiterhin auf der Erde einhergeht. Aufstieg und Fortschritt bezeichnen geistige Zustände und intelligible Wirklichkeiten; um sie jedoch darzustellen, muss man sie mit Begriffen der Sinneswelt beschreiben, da es in der Außenwelt nichts gibt, das über die Sinneswahrnehmung hinaus geht.
16:5
Um ein weiteres Beispiel zu nennen: Wissen wird bildhaft als Licht und Unwissen als Dunkelheit beschrieben. Aber denke darüber nach: Ist Wissen wahrnehmbares Licht oder Unwissen wahrnehmbare Dunkelheit? Natürlich nicht. Es sind nur intelligible Zustände. Wenn man sie jedoch anschaulich beschreiben möchte, bezeichnet man Wissen als Licht und Unwissen als Dunkelheit und sagt: »Mein Herz war finster und es wurde erleuchtet.« Da das Licht des Wissens und die Dunkelheit des Unwissens intelligible und keine sinnlich wahrnehmbaren Wirklichkeiten sind, müssen wir sie als Sinneswahrnehmung beschreiben, um sie in der Außenwelt zum Ausdruck bringen zu können.
16:6
Desgleichen ist offensichtlich, dass die Taube, die auf Christus herniederkam,Vergleiche: Matthäus 3:16–17, Markus 1:10–11, Lukas 3:22A keine leibhaftige Taube war, sondern ein Geisteszustand, der für ein besseres Verständnis so versinnbildlicht wurde. Beispielsweise heißt es im Alten Testament, dass Gott als Feuersäule erschienVergleiche: Exodus 13:21–22A. Gemeint ist hier kein mit den Sinnen wahrnehmbares Phänomen, sondern eine intelligible Wirklichkeit, die auf diese Weise veranschaulicht wird.
16:7
Christus sagt: »Wisst, dass der Vater in mir ist und ich im Vater.«Vergleiche: Johannes 10:38A Ist denn nun Christus in Gott oder Gott in Christus? Nein, bei Gott! Dies ist ein intelligibler Zustand, der in einer mit den Sinnen fassbaren Weise ausgedrückt wurde.
16:8
Wir kommen nun zur Erklärung der Worte Bahá’u’lláhs: »O König! Ich war nur ein Mensch wie andere und lag schlafend auf Meinem Lager. Siehe, da wehten die Lüfte des Allherrlichen über Mich hin und lehrten Mich die Erkenntnis all dessen, was war. Dies ist nicht von Mir, sondern von Einem, der allmächtig und allwissend ist.«Aus Bahá’u’lláhs Sendschreiben an Náṣiri’d-Dín Sháh, in Súriy-i-Haykal, in: Brief an den Sohn des Wolfes 12A Das ist die Stufe göttlicher Offenbarung. Es ist keine mit den Sinnen wahrnehmbare, sondern eine intelligible Wirklichkeit. Sie ist geheiligt über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und transzendiert diese. Es handelt sich um einen Vergleich, eine Analogie, eine Metapher und nicht um die Wahrheit im wortwörtlichen Sinn. Wenn hier davon die Rede ist, dass jemand schlief und dann erwachte, so ist damit nicht das gängige Verständnis gemeint, sondern es bezeichnet den Übergang eines Zustands in einen anderen. Schlafen ist zum Beispiel der Zustand der Ruhe und Wachsein der Zustand der Bewegung. Schlafen ist der Zustand der Stille und Wachsein der Zustand der Äußerung. Schlafen ist der Zustand der Verborgenseins und Wachsein der Zustand Sichtbarwerdens.
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So heißt es etwa im Persischen und Arabischen, dass die Erde schlief, dann der Frühling kam und die Erde erwachte, oder dass die Erde tot war, der Frühling kam und sie wieder lebendig wurde. Diese Ausdrucksweisen sind Vergleiche, Analogien und bildhafte Auslegungen und beziehen sich auf die innere Bedeutung.
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Kurz gesagt, die Manifestationen Gottes waren immer leuchtende Wirklichkeiten und werden es immer sein, und in ihrem Wesen gibt es weder Wandel noch Veränderung. Sie sind allenfalls vor Ihrer Offenbarung ruhig und schweigsam, wie jemand, der schläft, und nach Ihrer Offenbarung sind sie beredt und strahlend, wie jemand, der wach ist.
Kapitel 17Die Geburt Christi
17:1
Frage: Wie wurde Christus aus dem Heiligen Geist geboren?
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Antwort: In dieser Frage widersprechen sich die geistig gesinnten und die materialistischen Philosophen. Die einen glauben, Christus sei aus dem Heiligen Geist geboren, während die anderen so etwas für unmöglich und unhaltbar erachten und der Auffassung sind, Er habe notwendigerweise einen menschlichen Vater gehabt.
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