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46:8Diese Angelegenheit ist offensichtlich und diese Argumente sind schlüssig. Was aber die europäischen Philosophen vorgebracht haben, ist bloße Vermutung und nicht wirklich schlüssig.Kapitel 47Der Ursprung des Universums und die Entwicklung des Menschen47:1Wisse, dass es eine der verwirrendsten Fragen des Göttlichen ist, dass die Welt des Daseins – das heißt, dieses unendliche Universum – keinen Anfang hat.47:2Wir haben bereits erklärt, dass die Namen und Attribute des Göttlichen die Existenz des Erschaffenen voraussetzen. Obwohl dieses Thema bereits ausführlich erklärt wurde,Siehe zum Beispiel Kapitel 2 und 80A soll es hier noch einmal kurz angesprochen werden. Wisse, dass ein Fürst ohne seine Vasallen nicht vorstellbar ist; dass es einen Herrscher ohne Untergebene nicht geben kann; dass kein Lehrer ohne Schüler eingesetzt werden kann; dass ein Schöpfer ohne Schöpfung unmöglich ist; dass ein Versorger ohne jemanden, der zu versorgen wäre, undenkbar ist – denn alle göttlichen Namen und Eigenschaften erfordern die Existenz der Schöpfung. Wenn wir uns eine Zeit vorstellen wollten, in der es keine Schöpfung gab, käme das dem Negieren der Göttlichkeit Gottes gleich.47:3Abgesehen davon kann völliges Nichtsein nicht zu Dasein werden. Wäre das Universum ein bloßes Nichts, hätte ein Dasein nicht entstehen können. Da also jenes Wesen der Einheit, das göttliche Sein, ewig und unvergänglich ist, das heißt, da es weder Anfang noch Ende hat, so folgt daraus, dass die Welt des Daseins, dieses unendliche Universum, ebenfalls ohne Anfang ist. Natürlich könnte ein Teil der Schöpfung – etwa einer der Himmelskörper – neu entstehen oder vergehen, aber die unzähligen anderen Himmelskörper blieben weiterhin bestehen und die Welt des Daseins selbst würde nicht beeinträchtigt oder zerstört werden. Im Gegenteil, sie existiert unverändert immer weiter. Da nun jeder Himmelskörper einen Anfang hat, muss er auch zwangsläufig ein Ende haben, denn alles, was zusammengesetzt ist, ob ganz oder teilweise, muss notwendigerweise zerfallen. Manches mag schnell und anderes wiederum langsam zerfallen, aber es ist unmöglich, dass etwas Zusammengesetztes letztlich nicht zerfällt.47:4Wir müssen daher wissen, was ein jedes der großen existierenden Dinge zu Beginn war. Ohne Zweifel gab es anfangs nur einen einzigen Ursprung: Es kann keine zwei Ursprünge gegeben haben. Weil der Ursprung aller Zahlen eins und nicht zwei ist, bedarf die Zahl zwei selbst eines Ursprungs. Damit wird deutlich, dass es ursprünglich nur einen Grundstoff gab, und dass dieser eine Grundstoff in jedem Element in einer anderen Form auftrat. So entstanden verschiedene Formen, und dabei nahmen sie jeweils eine eigenständige Form an und wurden zu einem bestimmten Element. Aber diese Differenzierung erreichte erst nach sehr langer Zeit ihre Vollendung und ihre Verwirklichung. Diese Elemente wurden zu unendlich vielen Formen zusammengefügt, angeordnet und verbunden; mit anderen Worten, aus der Zusammensetzung und Verbindung dieser Elemente erschienen unzählige Wesen.47:5Diese Zusammensetzung und Anordnung entstand durch die Weisheit Gottes und Seine urewige Macht aus einer einzigen natürlichen Ordnung. Da diese Zusammensetzung und Verbindung vollkommen robust aus einer natürlichen Ordnung entstand, einer vollendeten Weisheit folgt und einem universellen Gesetz unterliegt, ist offenkundig, dass es eine göttliche Schöpfung und keine zufällige Zusammensetzung und Anordnung ist. Schöpfung bedeutet, dass aus jeder natürlichen Zusammensetzung ein Lebewesen entsteht, aber aus einer zufälligen Zusammensetzung wird kein Lebewesen entstehen. Wenn beispielsweise der Mensch, mit all seiner Scharfsinnigkeit und Intelligenz, bestimmte Elemente zusammenstellen und verbinden sollte, würde dadurch kein Lebewesen entstehen, weil es nicht der natürlichen Ordnung entspräche. Das beantwortet auch die implizite Frage, die sich stellen könnte, ob wir nicht auch – da diese Wesen durch Zusammensetzung und Verbindung der Elemente entstehen – genau die gleichen Elemente zusammenstellen und verbinden könnten um so ein Lebewesen zu erschaffen? Diese Vorstellung ist falsch, denn die ursprüngliche Zusammensetzung ist eine göttliche Zusammensetzung, die Verbindung wird entsprechend der natürlichen Ordnung von Gott hervorgebracht, und aus diesem Grund wird aus dieser Zusammensetzung ein Lebewesen geschaffen und ins Dasein gebracht. Aber eine von Menschen gemachte Zusammensetzung bringt nichts hervor, weil der Mensch kein Leben erschaffen kann.47:6Kurz gesagt, wir haben darüber gesprochen, dass aus der Zusammensetzung von Elementen, aus ihrer Verbindung, ihrer Art und ihren Mengenverhältnissen und durch Wechselwirkungen mit anderen Wesen zahllose Formen und Wirklichkeiten und unzählige Wesen ins Dasein getreten sind. Aber natürlich ist diese Erdkugel in ihrer jetzigen Gestalt nicht auf einmal entstanden, vielmehr durchlief das allgemeine Dasein nach und nach verschiedene Stufen, bis es in seiner heutigen Vollendung erschien. Das allgemeine Dasein kann mit dem konkreten verglichen werden, denn beides untersteht einer einzigen natürlichen Ordnung, einem allgemein gültigen Gesetz und einer göttlichen Anordnung. Wir sehen zum Beispiel, wie die kleinsten Atome in ihrer allgemeinen Struktur den größten Gebilden im Universum gleichen, und es ist offensichtlich, dass sie aus einem einzigen Labor der Macht gemäß einer natürlichen Ordnung und einem universellen Gesetz hervorgegangen sind und daher miteinander verglichen werden können.47:7Zum Beispiel wächst und entwickelt sich der menschliche Embryo allmählich im Schoß seiner Mutter und durchlebt verschiedene Formen und Zustände, bis er in äußerster Schönheit zur Reife gelangt und in vollendeter Form mit größtem Liebreiz erscheint. Genauso war der Same dieser Blume, die du vor dir siehst, am Anfang klein und unbedeutend, aber er wuchs und entwickelte sich im Schoß der Erde und nahm verschiedene Formen an, bis er diesen Zustand vollkommener Lebenskraft und Eleganz erreichte. Es ist genauso offensichtlich, dass diese Erdkugel im Gefüge des Universums ins Dasein trat, wuchs, sich entwickelte und verschiedene Formen und Zustände annahm, bis sie allmählich zu ihrer gegenwärtigen Vollständigkeit gelangte und mit unzähligen Geschöpfen geschmückt in solch vollendeter Form erschien.47:8Somit ist offensichtlich, dass die Ursubstanz, die dem Embryo entspricht, zunächst zusammengesetzte, miteinander verbundene Elemente bildete und diese Zusammensetzung allmählich über unzählige Zeitalter und Jahrhunderte wuchs und sich von einer Gestalt und Form zur nächsten entwickelte, bis sie durch die vollendete Weisheit Gottes in solcher Vollständigkeit, Ordnung, Zusammensetzung und Tauglichkeit erschien.47:9Lass uns zu unserem Thema zurückkehren. Seit Beginn seines Daseins im Schoße der Erdkugel wuchs und entwickelte sich der Mensch allmählich wie ein Embryo im Mutterleib und ging von einer Gestalt und Form zur anderen über, bis er in dieser Schönheit und Vollkommenheit, dieser Kraft und Beschaffenheit erschien. Gewiss besaß er anfangs nicht solch eine Lieblichkeit, Anmut und Feinheit, und erst allmählich erlangte er eine solche Gestalt, Beschaffenheit, Schönheit und Anmut. Zweifellos erschien der Embryo der Menschheit, genau wie der Embryo im Mutterleib, nicht unmittelbar in dieser Ausprägung und verkörperte noch nicht die Worte: »Geheiligt sei der Herr, der vortrefflichste aller Schöpfer!«Qur’án 23:14 und Bahá’u’lláh, Verborgene Worte, pers. 9A Vielmehr durchlief er nach und nach verschiedene Zustände und Ausprägungen, bis er diese Gestalt und Schönheit, diese Vollkommenheit, Feinheit und Zier erlangte. Es ist daher klar und deutlich, dass das Wachstum und die Entwicklung des Menschen auf diesem Planeten bis zu seiner gegenwärtigen Vollständigkeit, ähnlich wie das Wachstum und die Entwicklung des Embryos im Mutterleib, Stufe um Stufe und von einer Form zur nächsten erfolgt ist, denn dies entspricht den Erfordernissen der universellen Ordnung und des göttlichen Gesetzes.47:10Das bedeutet, der menschliche Embryo nimmt verschiedene Zustände an und durchläuft zahlreiche Stadien, bis er zu der Gestalt gelangt, in der er die Wirklichkeit der Worte »Geheiligt sei der Herr, der vortrefflichste aller Schöpfer!« verkörpert und die Zeichen der vollen Entwicklung und Reife aufweist. Ebenso muss seit den ersten Anfängen des Menschen auf diesem Planeten bis er seine jetzige Gestalt, Form und Beschaffenheit annahm, eine lange Zeit verstrichen sein, und er muss viele Stufen durchschritten haben, bevor er seinen gegenwärtigen Zustand erreichte. Aber seit dem Beginn seines Daseins war der Mensch eine eigene Art. Das ist vergleichbar mit dem Embryo des Menschen im Mutterleib: Er hat zunächst eine merkwürdige Gestalt. Dann nimmt sein Körper eine Gestalt und Form nach der anderen an, bis er in voller Schönheit und Vollkommenheit erscheint. Aber selbst wenn er im Mutterleib eine merkwürdige Gestalt besitzt – völlig anders als seine gegenwärtige Gestalt und Erscheinung – ist es der Embryo einer eigenen Art und nicht der eines Tieres: Das Wesen der Art und die angeborene Wirklichkeit erfahren keinerlei Veränderung.47:11Sollte nun jemand Spuren verkümmerter Organe finden, würde das die Unabhängigkeit und Ursprünglichkeit der Art nicht widerlegen. Es würde allenfalls beweisen, dass sich die Gestalt, das Aussehen und die Organe des Menschen im Laufe der Zeit entwickelt haben. Aber der Mensch war schon immer eine eigene Art – er war immer Mensch, nicht Tier. Überlege: Wenn der Embryo des Menschen im Mutterleib von einer Gestalt zu einer anderen übergeht, die in keiner Weise der früheren ähnelt, ist das ein Beweis für eine Veränderung der Art? Dass er zuerst ein Tier war und seine Organe sich immer weiter entwickelten, bis er ein Mensch wurde? Nein, bei Gott! Wie haltlos und unbegründet ist diese Annahme! Denn die Ursprünglichkeit der menschlichen Art und die Unabhängigkeit des menschlichen Wesens sind klar und offenkundig.Kapitel 48Der Unterschied zwischen Mensch und Tier48:1Wir hatten schon ein- oder zweimal über das Thema Geist gesprochen, aber ohne es mitzuschreiben.48:2Wisse, dass es zwei Arten von Menschen auf der Welt gibt, also Menschen, die zu zwei Gruppen gehören. Die eine Gruppe leugnet den Menschengeist und sagt, der Mensch sei eine Art Tier. Warum ist das so? Weil wir sehen, dass es Kräfte und Sinne gibt, über die Mensch und Tier gleichermaßen verfügen. Die einfachen, einzelnen Elemente, die den Raum um uns herum füllen, werden in unzähligen Variationen zusammengesetzt und eine jede davon ergibt ein anderes Wesen. Darunter sind fühlende Wesen, die mit bestimmten Kräften und Sinnen ausgestattet sind. Je vollständiger die Zusammensetzung, desto edler das Wesen. Die Verbindung der Elemente im Körper des Menschen ist vollständiger als in jedem anderen Wesen und seine Bestandteile sind völlig ausgewogen zusammengefügt; deshalb ist er edler und vollkommener. Der Mensch, so wird behauptet, verfüge keineswegs über eine besondere Kraft oder einen besonderen Geist, der anderen Tieren fehle. Auch Tiere besäßen Sinneswahrnehmungen, nur dass die Kräfte des Menschen in gewisser Hinsicht noch feiner seien – wenngleich das Tier hinsichtlich der äußeren Kräfte wie Hören, Sehen, Schmecken, Riechen und Fühlen, und selbst bei inneren Kräften wie etwa dem Gedächtnis, dem Menschen überlegen ist. Das Tier, sagen sie, besitze Verstandeskraft und Auffassungsvermögen. Sie gestehen lediglich ein, dass die Auffassungsgabe des Menschen größer sei.48:3So etwas wird von heutigen Philosophen behauptet. Das sind ihre Worte und ihre Behauptungen und das gibt ihnen ihre Einbildung vor. Und so stellen sie nach eingehenden Nachforschungen und mit schlagkräftigen Argumenten gerüstet den Menschen in eine Linie mit dem Tier, indem sie sagen, der Mensch sei einstmals ein Tier gewesen und diese Spezies habe sich allmählich verändert und entwickelt, bis sie die Stufe des Menschen erreichte.48:4Aber die geistig gesinnten Philosophen sagen, das sei so nicht. Obwohl Mensch und Tier die gleichen äußeren Kräfte und Sinne besitzen, gibt es im Menschen eine außergewöhnliche Kraft, die dem Tier fehlt. Sämtliche Wissenschaften, Künste und Erfindungen, jedes Handwerk und jede Entdeckung einer Wahrheit entspringen dieser einzigartigen Kraft. Es ist eine Kraft, die alle erschaffenen Dinge umfasst, ihre Wirklichkeit begreift, ihre verborgenen Geheimnisse enträtselt und sie kontrolliert. Sie begreift sogar Dinge, die kein äußeres Dasein haben, also intelligible, nicht fühlbare und unsichtbare Wirklichkeiten wie Verstand und Geist, menschliche Eigenschaften und Tugenden, Liebe und Trauer, die allesamt intelligible Wirklichkeiten sind. Darüber hinaus waren einst alle Wissenschaften und Handwerkskünste, alle großen Unternehmungen und unzähligen Entdeckungen des Menschen versteckte und verborgene Geheimnisse, und nur dank der allumfassenden menschlichen Kraft wurden sie entdeckt und aus dem Unsichtbaren ins Sichtbare gebracht. So waren Telegrafie, Fotografie, Grammofon – all diese großen Erfindungen und Handwerkskünste – einst verborgene Geheimnisse, die von dieser menschlichen Wirklichkeit entdeckt und aus dem Unsichtbaren ins Sichtbare gebracht wurden. Es gab sogar eine Zeit, da war dieses Stück Eisen vor dir, und in der Tat jedes Mineral, ein verborgenes Geheimnis. Die menschliche Wirklichkeit entdeckte dieses Mineral und schmiedete das Metall in diese Form. Das Gleiche gilt für alle anderen zahllosen Entdeckungen und Erfindungen des Menschen. Diese Tatsachen sind nicht zu widerlegen und es ist zwecklos, sie zu leugnen.48:5Würden wir behaupten, dass all dies den Kräften der tierischen Natur und den physischen Sinnen entspringt, dann könnten wir ganz deutlich erkennen, dass die Tiere im Hinblick auf diese Kräfte dem Menschen überlegen sind. Zum Beispiel ist das Sehvermögen von Tieren viel schärfer als das des Menschen, ihr Gehör viel feiner und Gleiches gilt auch für ihr Geruchsvermögen und ihren Geschmackssinn. Kurz, bei den Kräften, die Mensch und Tier gemeinsam haben, ist das Tier oft überlegen. Nimm das Gedächtnis: Wenn du eine Taube von hier aus in ein fernes Land bringst und dort freilässt, wird sie sich an den Weg erinnern und nach Hause zurückkehren. Bring einen Hund von hier bis ins Innere Asiens, lass ihn frei und er wird nach Hause zurückkehren, ohne auch nur vom Weg abzukommen. Und so ist es auch mit den anderen Kräften wie Hören, Sehen, Riechen, Schmecken und Fühlen. Somit ist klar: Hätte der Mensch keine Kräfte, die über die der Tiere hinausgehen, würde das Tier bei bedeutenden Entdeckungen und im Verständnis der Wirklichkeit den Menschen zwangsläufig übertreffen. Aus dieser Beweisführung folgt, dass der Mensch mit einer Gabe ausgestattet ist und eine Vollkommenheit aufweist, die es im Tier nicht gibt.48:6Ferner kann das Tier zwar das mit den Sinnen Wahrnehmbare erkennen, intelligible Wahrheiten kann es jedoch nicht erkennen. Was zum Beispiel im Sichtbereich des Tieres ist, kann es erkennen, aber was dahinter liegt, kann es nicht durchschauen oder nachvollziehen. So kann das Tier unmöglich begreifen, dass die Erde eine kugelförmige Gestalt hat. Aber der Mensch kann das Unbekannte aus dem Bekannten ableiten und unbekannte Wirklichkeiten entdecken. So kann der Mensch zum Beispiel auf die Krümmung der Erde schließen, wenn er die Neigungswinkel am Himmel beobachtet. Der Polarstern über ‘Akká steht zum Beispiel auf 33 Grad; seine Neigung über dem Horizont beträgt also 33 Grad. Geht man Richtung Nordpol, so erhebt sich der Polarstern für jeden Grad zurückgelegten Weges um ein weiteres Grad über dem Horizont; das heißt, der Neigungswinkel des Polarsterns erreicht 34 Grad, dann 40, 50, 60 und 70 Grad. Wenn man zum Nordpol gelangt, wird der Neigungswinkel des Polarsterns 90 Grad betragen und der Stern wird im Zenit zu sehen sein, das heißt er erhebt sich genau über dem Pol.48:7Der Polarstern ist mit den Sinnen erfassbar, ebenso wie sein Aufstieg, also die Tatsache, dass der Polarstern umso höher steigt, je näher man dem Pol kommt. Und mit Hilfe dieser beiden bekannten Tatsachen wird eine unbekannte Tatsache entdeckt, nämlich der Neigungswinkel am Himmel, was bedeutet, dass der Himmel über dem Horizont auf jedem Breitengrad anders ist als auf einem anderen Breitengrad. Der Mensch begreift diesen Zusammenhang und begründet damit ein bisher unbekanntes Phänomen, nämlich die Krümmung der Erde. Dem Tier ist es jedoch nicht möglich, dies zu verstehen. Ebenso wenig kann das Tier begreifen, dass die Sonne im Zentrum steht und die Erde sie umkreist. Das Tier ist ein Gefangener seiner Sinne und wird von ihnen begrenzt. Es kann nichts begreifen, was jenseits der Reichweite oder Kontrolle der Sinne liegt, obwohl es den Menschen hinsichtlich der äußeren Kräfte und Sinneswahrnehmungen übertrifft. Es ist also klar erwiesen, dass der Mensch mit einer Entdeckerkraft ausgestattet ist, die ihn vom Tier unterscheidet, und diese Kraft ist nichts anderes als der menschliche Geist.48:8Preis sei Gott! Der Mensch strebt immer nach größeren Höhen und erhabeneren Zielen. Stets strebt er nach einer Welt, die besser ist als die, in der er lebt, und zu einer Stufe aufzusteigen, die über die seine hinausgeht. Diese Liebe zur Transzendenz ist eines der Wesensmerkmale des Menschen. Ich bin erstaunt, dass manche Philosophen in Amerika und Europa sich selbst bereitwillig in das Tierreich erniedrigen und damit einen Rückschritt hinnehmen, wo doch alles Dasein immer aufwärts streben muss. Doch solltest du einen von ihnen als Tier bezeichnen, wäre er schwer verletzt und gekränkt.48:9Welch ein Unterschied besteht zwischen der Menschenwelt und dem Tierreich! Welch ein Unterschied besteht zwischen der Erhabenheit des Menschen und der Niedrigkeit des Tieres, zwischen der Vollkommenheit des Menschen und der Unwissenheit des Tieres, zwischen der Herrlichkeit des Menschen und der Herabstufung des Tieres! Ein zehnjähriges arabisches Kind kann zwei oder dreihundert Kamele in der Wüste bändigen und sie mit seiner bloßen Stimme führen. Ein schwacher Inder kann einen mächtigen Elefanten so zähmen, dass er sich völlig gehorsam verhält. Alles wird bezwungen durch die Hand des Menschen, der die Natur beherrscht.48:10Alle anderen Geschöpfe sind Gefangene der Natur und können sich nicht von ihren Zwängen befreien – allein der Mensch kann die Natur beherrschen. So zieht die Natur alle Körper zum Mittelpunkt der Erde, aber mit Hilfe der Mechanik entfernt sich der Mensch davon und erhebt sich in die Luft. Die Natur verhindert, dass der Mensch über das Meer gelangt, aber der Mensch baut Schiffe und überquert den größten Ozean, und dergleichen mehr – das Thema ist endlos. Zum Beispiel durchquert der Mensch Berge und Ebenen in Fahrzeugen und erfährt an einem beliebigen Ort von den Geschehnissen in Ost und West. So trotzt der Mensch der Natur. Das ganze weite Meer kann nicht ein Jota vom Gesetz der Natur abweichen; die Sonne in all ihrer Größe kann nicht einmal um die Spitze einer Nadel vom Gesetz der Natur abweichen, noch kann sie jemals den Zustand, die Beschaffenheit, die Eigenschaften, die Bewegungen und die Natur des Menschen begreifen. Welche Macht ist es nun, die der kümmerlichen Gestalt des Menschen innewohnt und all dies umfasst? Welch bezwingende Macht ist es, die alles unterwirft?48:11Noch ein weiterer Punkt bleibt. Moderne Philosophen sagen: »Wir sehen nirgendwo einen Geist im Menschen, und obwohl wir das Innerste des menschlichen Körpers bis ins kleinste Detail untersucht haben, finden wir nirgendwo eine geistige Kraft. Wie können wir uns dann eine Macht vorstellen, die nicht mit den Sinnen wahrnehmbar ist?« Die geistig gesinnten Philosophen erwidern: »Der Geist des Tieres ist auch nicht mit den Sinnen wahrnehmbar und durch unsere körperlichen Kräfte nicht erfassbar: Wie lässt sich auf seine Existenz schließen? Zweifellos wirst du von seinen Auswirkungen auf die Existenz einer Kraft im Tier schließen, die es in der Pflanze nicht gibt, und das ist die Kraft der Sinne, des Sehens, des Hörens und der anderen Kräfte. Daraus folgt, dass es einen Geist im Tier gibt. In gleicher Weise solltest du aus den erwähnten Zeichen und Argumenten auf die Existenz eines Menschengeistes schließen. Da es also im Tier Zeichen gibt, die man nicht in der Pflanze findet, kannst du sagen, dass diese Sinneskraft eines der Kennzeichen des Tiergeistes ist. Ebenso siehst du im Menschen Zeichen, Kräfte und eine Vollkommenheit, die das Tier nicht besitzt: Du kannst daraus schließen, dass er eine Kraft innehat, die dem Tier fehlt.«48:12Wenn wir alles bestreiten würden, was den Sinnen nicht zugänglich ist, dann wären wir gezwungen, zweifellos existierende Tatsachen zu leugnen. Zum Beispiel ist der Äther nicht mit den Sinnen wahrnehmbar, obwohl seine Wirklichkeit nachgewiesen werden kann. Die Anziehungskraft der Erde ist nicht mit den Sinnen wahrnehmbar, obwohl ihre Existenz ebenfalls unbestreitbar ist. Wie können wir feststellen, dass es sie gibt? Anhand ihrer Wirkung. Dieses Licht besteht beispielsweise aus den Schwingungen des Äthers, und von diesen Schwingungen schließen wir auf seine Existenz.Kapitel 49Die Evolution und die Existenz des Menschen49:1Frage: Was sagen Sie zu der von manchen europäischen Philosophen vertretenen Theorie von der Entwicklung der Lebewesen?49:2Antwort: Wir sind auf diese Frage bereits vor kurzem eingegangen, aber wir werden noch einmal darüber sprechen. Kurz gesagt, diese Frage bezieht sich auf die Ursprünglichkeit oder Nicht-Ursprünglichkeit der Arten, das heißt, ob das Wesen der menschlichen Art vom Ursprung her festgelegt war oder ob es sich aus dem Tierreich entwickelt hat.49:3Manche europäische Philosophen gehen davon aus, dass die Arten sich nicht nur entwickeln, sondern sich sogar ändern und in andere Arten umwandeln können. Zu den Beweisen, die sie für diese Behauptung vorbringen, gehört, dass durch sorgfältige geologische Forschungen und Untersuchungen klar und offenkundig geworden ist, dass die Existenz der Pflanzen derjenigen der Tiere vorausging, und dass die Existenz der Tiere der des Menschen vorausging. Außerdem gehen sie davon aus, dass es sowohl im Pflanzenreich als auch im Tierreich eine Veränderung gegeben hat; denn in bestimmten Schichten der Erde sind Pflanzen entdeckt worden, die in der Vergangenheit existierten, aber inzwischen verschwunden sind, was bedeutet, dass sie sich weiterentwickelt haben, widerstandsfähiger geworden sind und sich in Form und Aussehen verändert haben und somit auch eine Änderung der Art erfolgt sei. Ebenso gibt es in den Erdschichten bestimmte Tierarten, die sich verändert haben. Eine davon ist die Schlange, die verkümmerte Gliedmaßen hat, d. h. Zeichen deuten darauf hin, dass sie einst Füße hatte, die im Laufe der Zeit verschwunden sind und von denen nur ein Rest übrig geblieben ist. In der Wirbelsäule des Menschen befindet sich gleichfalls ein Überbleibsel, das darauf hinweist, dass er wie andere Tiere einst einen Schwanz hatte, von dem, so behaupten sie, Spuren noch vorhanden sind. Irgendwann war dieses Körperteil nützlich, aber als der Mensch sich entwickelte, verlor es seinen Nutzen und verschwand allmählich. Genauso brauchte die Schlange keine Füße mehr, als sie begann unterirdisch zu leben und zu einem kriechenden Tier zu werden, und so verschwanden die Füße und es blieb nur ein Relikt übrig. Ihr Hauptbeweis ist, dass diese verkümmerten Gliedmaßen Zeugnis von der Existenz früherer Gliedmaßen ablegen, die wegen fehlendem Nutzen allmählich verschwunden sind, und deren Fortbestand keinen Vorteil mehr bietet. So blieben die notwendigen Gliedmaßen erhalten, während die überflüssigen durch die Veränderung der Art allmählich verschwunden sind, jedoch ein Relikt zurückgelassen haben.49:4Die erste Antwort auf diese Beweisführung lautet, dass die Tiere, die vor dem Menschen lebten, kein Beweis dafür sind, dass es im Wesen der menschlichen Art eine Veränderung oder einen Wandel gegeben hat, oder dass der Mensch dem Tierreich entstammte. Denn solange man anerkennt, dass diese unterschiedlichen Lebewesen im Lauf der Zeit erschienen sind, ist es möglich, dass der Mensch einfach nach dem Tier ins Dasein trat. So stellen wir im Pflanzenreich fest, dass die Früchte verschiedener Bäume nicht alle zugleich erscheinen, im Gegenteil, einige erscheinen früher in der Jahreszeit und andere später. Diese Reihenfolge ist kein Beweis dafür, dass die spätere Frucht eines Baumes aus der früheren Frucht eines anderen gewonnen wurde.49:5Zweitens könnte diesen kleinen Spuren und verkümmerten Gliedmaßen eine besondere Weisheit zugrunde liegen, die der menschliche Geist bisher nicht zu erfassen vermochte. Wie viele Dinge gibt es auf dieser Welt, deren zugrunde liegende Weisheit bis heute nicht verstanden wurde! So heißt es in der Physiologie – der Lehre von der Funktion der Körperorgane –, dass die zugrunde liegende Weisheit und Ursache für die Unterschiede in der Färbung von Tieren und menschlichem Haar, der Röte der Lippen oder der Farbenvielfalt der Vögel noch unbekannt ist und verborgen bleibt. Aber es wurde entdeckt, dass die Schwärze der Pupille des Auges darauf zurückzuführen ist, dass sie die Sonnenstrahlen absorbiert, denn wenn sie eine andere Farbe hätte – sagen wir, gleichmäßig weiß – könnte sie diese Strahlen nicht absorbieren. Insofern die Weisheit der oben erwähnten Dinge unbekannt ist, kann man sich auch gut vorstellen, dass Ursache und Weisheit der verkümmerten Gliedmaßen, ob beim Tier oder beim Menschen, ebenfalls unbekannt sind. Solch eine Weisheit dahinter gibt es natürlich, auch wenn sie vielleicht noch nicht bekannt ist.49:6Drittens, selbst wenn wir annehmen würden, dass bestimmte Tiere oder sogar der Mensch einmal Gliedmaßen besaßen, die jetzt verschwunden sind, wäre dies kein ausreichender Beweis für die Veränderung der Art. Denn der Mensch nimmt von der Befruchtung des Embryos bis zur Erlangung der Reife unterschiedliche Gestalten und Erscheinungsformen an. Sein Aussehen, seine Gestalt, seine Merkmale und seine Farbe verändern sich, das heißt, er schreitet von Gestalt zu Gestalt und von Erscheinungsform zu Erscheinungsform. Und doch gehört er von der Entstehung des Embryos an zur menschlichen Art, ist also der Embryo eines Menschen und nicht der eines Tieres. Aber diese Tatsache ist zunächst nicht offensichtlich; erst später wird sie deutlich sichtbar.49:7Nehmen wir einmal an, dass der Mensch einst dem Tier ähnelte und dass er sich seitdem entwickelt und gewandelt hat. Dieser Aussage zuzustimmen beweist nicht die Veränderung der Art, sondern könnte mit der Veränderung und dem Wandel verglichen werden, die – wie bereits erwähnt – der menschliche Embryo durchläuft, bevor er seine volle Entwicklung und Reife erreicht hat. Um es noch deutlicher auszudrücken: Nehmen wir an, der Mensch wäre einmal auf allen Vieren gelaufen oder hätte einen Schwanz gehabt: Diese Veränderung und dieser Wandel ist vergleichbar mit der des Fötus im Mutterleib. Auch wenn sich der Fötus in jeder erdenklichen Weise entwickelt und entfaltet, bevor er seine volle Entwicklungsstufe erreicht, gehört er doch von Anfang an zu einer eigenen Art. Dasselbe gilt auch im Pflanzenreich, wo wir sehen, dass sich der ursprüngliche und unverwechselbare Charakter einer Art nicht verändert, während sich Gestalt, Farbe und Masse verändern, wandeln und entwickeln.49:8Zusammenfassend lässt sich sagen: So wie der Mensch im Mutterleib fortschreitet, sich entwickelt und von einer Gestalt und Erscheinung in eine andere umgestaltet wird, wobei er von Anfang an ein menschlicher Embryo war, so war auch der Mensch – das heißt, die menschliche Art – seit dem Beginn der Entstehung im Gefüge der Welt ein eigenes Wesen und hat allmählich eine Gestalt nach der anderen angenommen. Daraus folgt, dass diese Veränderung der äußeren Erscheinung, dieser Entwicklung der Organe, dieses Wachstum und diese Entwicklung die Ursprünglichkeit der Art nicht ausschließen. Doch auch wenn man die Existenz von Entwicklung und Fortschritt als gegeben annimmt, so hat der Mensch doch vom Augenblick seines Erscheinens an eine vollkommene Zusammensetzung besessen und hat die Fähigkeit und das Potential inne gehabt, sowohl materielle als auch geistige Vollkommenheit zu erlangen und die Verkörperung des Verses zu werden: »Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei.«Genesis 1:26A Kurz: er ist gefälliger, verfeinerter und anmutiger geworden, und durch die Kultur ist er aus seinem wilden Zustand herausgewachsen, so wie die wilden Früchte durch die Kultivierung des Gärtners immer feiner und süßer, immer köstlicher und frischer werden.49:9Die Gärtner für die Menschenwelt sind die Propheten Gottes.Kapitel 50
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