‘Abdu’l-Bahá | Beantwortete Fragen
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61:6
Wir haben bereits erklärt, dass der Geist des Menschen nicht im Körper enthalten ist, denn er ist befreit und geheiligt über Eintritt und Austritt, die zu den Kennzeichen des physischen Körpers gehören. Die Verbindung des Geistes mit dem Körper ist vielmehr wie die der Sonne mit dem Spiegel. Kurz gesagt, der menschliche Geist bleibt immer im selben Zustand. Er erkrankt weder an der Krankheit des Körpers, noch gesundet er durch seine Gesundheit; er wird nicht schwach und unfähig, elend oder niedergeschlagen, gemindert oder eingeschränkt – das bedeutet, er erleidet keinen Schaden und keine Krankheit aufgrund der Gebrechen des Körpers, selbst wenn der Körper verkümmert, wenn Hände, Füße und Zunge abgetrennt wären oder wenn das Seh- und Hörvermögen beeinträchtigt wäre. So ist klar und erwiesen, dass der Geist sich vom Körper unterscheidet und dass seine Unsterblichkeit nicht von der Unsterblichkeit des Körpers abhängt, sondern dass der Geist in der Welt des Körpers die Oberherrschaft hat und seine Kraft und sein Einfluss so deutlich sichtbar sind wie die Freigebigkeit der Sonne in einem Spiegel. Doch wenn der Spiegel mit Staub bedeckt oder zerbrochen ist, bleiben ihm die Sonnenstrahlen vorenthalten.
Kapitel 62Die grenzenlose Vervollkommnung des Daseins und der Fortschritt der Seele in der nächsten Welt
62:1
Wisse, dass die Stufen des Daseins beschränkt sind auf die Stufe des Dienstes, des Prophetentums und des Göttlichen. Aber die Vollkommenheit Gottes und die Vervollkommnung der Schöpfung sind grenzenlos. Wenn du den Sachverhalt sorgfältig untersuchst wirst du feststellen, dass es für das Dasein selbst in seiner rein äußerlichen Form keine Grenze der Vervollkommnung gibt; denn es ist unmöglich etwas Erschaffenes zu finden, das man sich nicht noch vollkommener vorstellen könnte. So wird man im Mineralreich keinen Rubin, im Pflanzenreich keine Rose und im Tierreich keine Nachtigall finden, von denen man sich nicht noch bessere Exemplare vorstellen könnte.
62:2
Ebenso wie die Gnade Gottes grenzenlos ist, sind auch die Möglichkeiten zur Vervollkommnung des Menschen grenzenlos. Wenn es möglich wäre, dass irgendetwas in seiner Wirklichkeit den Gipfel der Vollkommenheit erreichte, dann würde es von Gott unabhängig werden und die Wirklichkeit des bedingten Seins würde die Stufe der Wirklichkeit des notwendigen Seins erreichen. Aber jedem erschaffenen Ding wurde eine Stufe zugewiesen, die es nicht überschreiten kann. Wer also die Stufe des Dienens einnimmt, kann niemals die Stufe der göttlichen Herrschaft erreichen, wie weit er auch fortschreiten und welche unendliche Vollkommenheit er auch erwerben mag. Dasselbe gilt für alle anderen erschaffenen Dinge. Wie weit ein Mineral auch fortschreiten mag, kann es im Mineralreich doch niemals die Kraft des Wachstums erlangen. Wie weit diese Blume auch fortschreiten mag, kann sich im Pflanzenreich an ihr doch niemals die Kraft der Sinne zeigen. So kann dieses Stück Silber niemals Seh- oder Hörvermögen erlangen; es kann höchstens auf seiner eigenen Stufe fortschreiten und ein vollkommenes Mineral werden, aber es kann weder Wachstums- noch Sinneskraft erlangen und niemals lebendig werden: es kann nur auf seiner eigenen Stufe fortschreiten.
62:3
Zum Beispiel kann Petrus nicht Christus werden. Er kann allenfalls auf der Stufe der Dienstbarkeit unendliche Vollkommenheit erreichen, denn jede existierende Wirklichkeit ist zum Fortschritt fähig. Da der Geist des Menschen ewig weiterlebt, nachdem er diese ursprüngliche Hülle abgelegt hat, ist er wie alles Erschaffene zweifellos in der Lage, Fortschritte zu machen. Und deshalb kann man für den Fortschritt einer dahingeschiedenen Seele beten, dass ihr vergeben werde und sie die Gunst, die Gaben und die Gnade Gottes empfangen möge. Deshalb wird in den Gebeten Bahá’u’lláhs die Vergebung und Verzeihung Gottes für jene erfleht, die in die nächste Welt aufgestiegen sind. Mehr noch, so wie die Menschen Gott in dieser Welt brauchen, brauchen sie Ihn auch in der nächsten Welt. Die Geschöpfe sind immer bedürftig und Gott ist immer unabhängig von ihnen, ob in dieser oder in der künftigen Welt.
62:4
Der Reichtum in der nächsten Welt besteht in der Nähe zu Gott. Es ist daher gewiss, dass diejenigen, die der göttlichen Schwelle nahe sind, Fürbitte einlegen dürfen, und dass diese Fürbitte von Gott angenommen wird. Die Fürbitte in der nächsten Welt hat jedoch keine Ähnlichkeit mit der Fürbitte in dieser Welt. Es ist ein völlig anderer Zustand und eine andere Wirklichkeit, die sich nicht in Worte fassen lassen.
62:5
Sollte sich ein reicher Mann dazu entschließen, einen Teil seines Vermögens nach seinem Tod an die Armen und Bedürftigen zu vererben, wird diese Tat vielleicht göttliche Vergebung und Verzeihung bewirken und zu seinem Fortschritt im Königreich des Allbarmherzigen führen.
62:6
In gleicher Weise ertragen Eltern für ihre Kinder größte Mühen und Schwierigkeiten, und oft gehen die Eltern in die jenseitige Welt ein, wenn die Kinder herangewachsen sind. Nur selten erfreuen sich Mutter und Vater in dieser Welt des Lohns für all die Mühen und Schwierigkeiten, die sie für ihre Kinder auf sich genommen haben. Die Kinder müssen daher als Dank für diese Mühen und Schwierigkeiten Spenden für wohltätige Zwecke leisten und gute Werke in ihrem Namen vollbringen und um Verzeihung und Vergebung für ihre Seelen bitten. Du solltest daher als Dank für die Liebe und Güte Deines Vaters in seinem Namen freigebig zu den Armen sein und mit äußerster Demut und aus tiefster Seele um Gottes Verzeihung und Vergebung und um Seine unendliche Barmherzigkeit beten.‘Abdu’l-Bahá wendet sich hier direkt an Laura Clifford Barney, deren Vater 1902 verstorben war.A
62:7
Es ist sogar möglich, dass diejenigen, die in Sünde und Unglauben gestorben sind, verwandelt werden, das heißt, zum Gegenstand göttlicher Vergebung werden. Das geschieht durch die Gnade Gottes und nicht durch Seine Gerechtigkeit, denn es ist Gnade, jemanden zu beschenken, der es nicht verdient hat, und es ist Gerechtigkeit, nach Verdienst zu geben. So wie wir hier die Kraft haben, für diese Seelen zu beten, werden wir auch in der nächsten Welt, der Welt des Königreichs, die gleiche Kraft besitzen. Sind nicht alle Geschöpfe jener Welt von Gott erschaffen? Daher müssen sie auch in jener Welt Fortschritte machen können. Und so wie sie hier durch ernsthaftes Flehen Erleuchtung suchen können, können sie auch dort um Vergebung bitten und durch demütiges Gebet nach Erleuchtung suchen. So wie die Seelen in dieser Welt durch ihr eigenes Bitten und Flehen und durch die Gebete heiliger Seelen voranschreiten können, so können sie auch nach dem Tod durch ihre eigenen Gebete und inständiges Flehen voranschreiten, insbesondere wenn sie Gegenstand der Fürbitte der heiligen Manifestationen werden.
Kapitel 63Der Fortschritt aller Dinge auf ihrer eigenen Stufe
63:1
Wisse, dass nichts, was existiert, in einem Zustand der Ruhe verharrt – das heißt, alle Dinge bleiben in Bewegung. Sie wachsen oder verfallen, kommen entweder vom Nichtsein ins Dasein oder gehen vom Dasein ins Nichtsein. So ist diese Blume, diese Hyazinthe, für eine gewisse Zeit vom Nichtsein ins Dasein getreten und geht jetzt wieder vom Dasein ins Nichtsein. Dies nennt man notwendige oder naturgegebene Bewegung, die nicht von den erschaffenen Dingen getrennt werden kann, denn sie ist ein unverzichtbares Wesensmerkmal, genau wie es ein unverzichtbares Wesensmerkmal des Feuers ist zu brennen.
63:2
Daher ist erwiesen, dass Bewegung, sei es als Fortschritt oder Rückschritt, für das Dasein unerlässlich ist. Da nun der menschliche Geist nach dem Tod weiterlebt, muss er entweder Fortschritte oder Rückschritte machen, und in der nächsten Welt ist das Fehlen von Fortschritt dasselbe wie Rückschritt. Aber der menschliche Geist verlässt niemals seine eigene Stufe: Er schreitet nur auf seiner Stufe voran. Zum Beispiel werden der Geist und die Wirklichkeit Petri, soweit sie auch voranschreiten mögen, niemals die Stufe der Wirklichkeit Christi erreichen, sondern werden nur innerhalb ihrer eigenen Grenzen voranschreiten.
63:3
So siehst du, dass dieses Mineral, wie sehr es sich auch fortentwickeln mag, nur auf seiner eigenen Stufe fortschreitet; du kannst zum Beispiel das Kristall unmöglich in einen Zustand bringen, in dem es Sehkraft erlangt. Oder der Mond: Wie auch immer er sich entwickeln mag, kann er doch niemals zur strahlenden Sonne werden, seine Erdferne und seine Erdnähe werden immer innerhalb der Grenzen seiner eigenen Stufe bleiben. Und wie weit die Apostel fortgeschritten sein mögen, sie können doch nie Christus werden. Es ist wahr, dass Kohle zu einem Diamant werden kann, aber beide stehen auf der Stufe des Minerals und ihre Bestandteile sind gleich.
Kapitel 64Stufe und Fortschritt des Menschen nach dem Tod
64:1
Wenn wir alle Dinge mit einem wachen Auge untersuchen, stellen wir fest, dass sie insgesamt nur drei Kategorien zuzuordnen sind: dem Mineralischen, dem Pflanzlichen, dem Tierischen. So gibt es drei Kategorien von Geschöpfen und jede hat ihre eigenen Spezies. Der Mensch ist die vornehmste Spezies, da er die Vollkommenheit jeder der drei Kategorien in sich vereint – das heißt, er besitzt einen materiellen Körper, die Wachstumskraft und die Sinneskraft. Über die Vollkommenheit des Mineralischen, Pflanzlichen und Tierischen hinaus besitzt er jedoch noch eine besondere Vollkommenheit, die anderen erschaffenen Dingen fehlt, nämlich die Vollkommenheit des Verstandes. Somit ist der Mensch das Edelste von allen Lebewesen.
64:2
Der Mensch bekleidet den höchsten Rang des Stofflichen und steht am Anfang der Geistigkeit; das heißt, er befindet sich am Ende der Unvollkommenheit und am Anfang der Vollkommenheit. Er befindet sich am Ende der Finsternis und am Anfang des Lichts. Deshalb wird über die Stufe des Menschen gesagt, sie sei das Ende der Nacht und der Anbruch des Tages, was bedeutet, dass er jegliche Unvollkommenheit umfasst und potenziell jede Vollkommenheit besitzt. Er hat sowohl eine tierische als auch eine engelhafte Seite, und die Rolle des Erziehers besteht darin, die menschlichen Seelen so auszubilden, dass die engelhafte Seite die tierische überwinden kann. Wenn also die göttlichen Kräfte, die mit Vollkommenheit identisch sind, die satanischen Kräfte im Menschen, die völliger Unvollkommenheit entsprechen, überwinden, wird er das edelste aller Geschöpfe, im umgekehrten Fall wird er jedoch das schändlichste aller Wesen. Deshalb ist er das Ende der Unvollkommenheit und der Beginn der Vollkommenheit.
64:3
Man sieht bei keiner anderen Spezies in der Welt des Daseins solche Unterschiede, Gegensätze, Kontraste und Widersprüche wie beim Menschen. So ist es auch der Mensch, auf den das strahlende Licht des Göttlichen fiel, so wie es bei Christus geschah – sieh, wie herrlich und edel der Mensch ist! Zugleich betet er Steine, Bäume und Lehmklumpen an – sieh, wie erbärmlich er ist, dass der Gegenstand seiner Verehrung die niedrigste Daseinsstufe ist, das heißt leblose Steine, Erdklumpen, Berge, Wälder und Bäume! Was kann es für den Menschen Erbärmlicheres geben, als die niedrigste Daseinsstufe anzubeten?
64:4
Darüber hinaus ist Wissen eine menschliche Eigenschaft, aber auch Unwissenheit; Wahrhaftigkeit ist eine menschliche Eigenschaft, aber auch Lüge; und das Gleiche gilt für Vertrauenswürdigkeit und Verrat, Gerechtigkeit und Tyrannei und so weiter. Kurz gesagt, jede Vollkommenheit und Tugend ist wie jedes Laster eine Eigenschaft des Menschen. Man muss auch die Unterschiede berücksichtigen, die zwischen den Menschen bestehen. Christus hatte die Gestalt eines Menschen ebenso wie Kephas. Mose war ein Mensch und ebenso der Pharao; Abel war ein Mensch und Kain ebenso; Bahá’u’lláh war ein Mensch und YaḥyáMírzá Yaḥyá, Halbbruder und eingeschworener Feind Bahá’u’lláhsA ebenso. Deshalb gilt der Mensch als das größte Zeichen Gottes – das heißt, er ist das Buch der Schöpfung – denn alle Geheimnisse des Universums sind in ihm zu finden. Sollte er in die Obhut des wahren Erziehers gelangen und richtig ausgebildet werden, wird er zum Edelstein aller Edelsteine, zum Licht allen Lichtes, zum Inbegriff des Geistes. Er wird zum Mittelpunkt göttlichen Segens, zur Quelle geistiger Attribute, zum Dämmerungsort himmlischen Lichtes und zum Empfänger göttlicher Inspiration. Sollte ihm diese Ausbildung jedoch vorenthalten bleiben, wird er zur Verkörperung satanischer Attribute, zum Inbegriff tierischer Laster und zur Quelle all dessen, was bedrückend und finster ist.
64:5
Dies ist die Weisheit des Auftretens der Propheten: Die Menschheit zu erziehen, auf dass der Klumpen Kohle zu einem Diamanten werde und der unfruchtbare Baum veredelt werde und Früchte von größter Süße und Zartheit hervorbringe. Und nachdem die edelste Stufe der Menschenwelt erreicht wurde, kann ein weiterer Fortschritt nur im Grad der Vollkommenheit erzielt werden, aber nicht in der Stufe, denn die Stufen sind endlich, aber für die göttliche Vollkommenheit gibt es keine Grenze.
64:6
Sowohl vor als auch nach dem Ablegen dieser stofflichen Hülle schreitet die menschliche Seele in ihrer Vollkommenheit voran, jedoch nicht in der Stufe. Alles Erschaffene entwickelt sich bis zu seinem Gipfel, dem vollendeten Menschen, und es gibt kein höheres Geschöpf als ihn. Der Mensch kann, nachdem er die menschliche Stufe erreicht hat, nur in der Vollkommenheit voranschreiten, aber nicht in der Stufe, denn es gibt keine höhere Stufe, zu der er gelangen kann, als die eines vollendeten Menschen. Er kann sich nur auf der menschlichen Stufe weiterentwickeln, da die Vervollkommnung des Menschen unendlich ist. So gelehrt ein Mensch auch sein mag, es ist immer möglich, sich einen noch gelehrteren vorzustellen.
64:7
Weil es nun für die Vollkommenheit des Menschen keine Grenze gibt, kann er auch nach seinem Aufstieg aus dieser Welt Fortschritte in seiner Vervollkommnung machen.
Kapitel 65Glaube und Taten
65:1
Frage: Im Kitáb-i-Aqdas heißt es: »… wer dessen beraubt ist, geht in die Irre, hätte er auch alle gerechten Werke vollbracht.«»Die erste Pflicht, die Gott Seinen Dienern auferlegt, ist die Anerkennung Dessen, der der Tagesanbruch Seiner Offenbarung, der Urquell Seiner Gesetze ist und Gott im Reiche Seiner Sache und in der Welt der Schöpfung vertritt. Wer diese Pflicht erfüllt, hat alles Gute erreicht, und wer dessen beraubt ist, geht in die Irre, hätte er auch alle gerechten Werke vollbracht.«(Kitáb-i-Aqdas – Das Heiligste Buch 1)A Was bedeutet dieser Vers?
65:2
Antwort: Die Bedeutung dieses gesegneten Verses ist, dass es die Grundlage von Erfolg und Erlösung ist, Gott anzuerkennen, und dass gute Taten, die Frucht des Glaubens sind, aus dieser Anerkennung erwachsen.
65:3
Wenn diese Anerkennung nicht erfolgt, bleibt der Mensch wie durch Schleier von Gott getrennt, und wegen dieses Schleiers erreichen seine guten Werke nicht ihre volle und gewünschte Wirkung. Dieser Vers bedeutet nicht, dass die durch Schleier von Gott Getrennten alle gleich sind, ob sie nun Gutes oder Böses tun. Es bedeutet nur, dass Gott anzuerkennen, die Grundlage ist und gute Taten aus dieser Erkenntnis hervorgehen. Dennoch ist sicher, dass unter denen, die wie durch Schleier von Gott getrennt sind, ein Unterschied besteht zwischen dem, der gute Taten vollbringt, und dem Sünder und Übeltäter. Denn die wie durch Schleier von Gott getrennte Seele, die mit gutem Charakter und Verhalten ausgestattet ist, verdient die Vergebung Gottes. Dem wie durch Schleier von Gott getrennten Sünder, der schlechte Charakterzüge und Verhaltensweisen aufweist, bleiben jedoch die Wohltaten und Gaben Gottes versagt. Hierin liegt der Unterschied.
65:4
Dieser gesegnete Vers bedeutet daher, dass ohne Gott anzuerkennen, gute Taten allein nicht zu ewiger Erlösung, dauerhaftem Erfolg und Heil und zur Aufnahme in das Reich Gottes führen können.Siehe Kapitel 84 für eine ausführlichere Erörterung dieses Themas.A
Kapitel 66Der Fortbestand der vernunftbegabten Seele nach dem körperlichen Tod
66:1
Frage: Wodurch wird die vernunftbegabte Seele weiterleben, nachdem sie den Körper abgelegt hat und der Geist emporgestiegen ist? Nehmen wir an, dass die Seelen, die durch die Gnadengaben des Heiligen Geist unterstützt werden, wahres Sein und ewiges Leben erlangen. Aber was wird aus den vernunftbegabten Seelen, die wie durch Schleier von Gott getrennt sind?
66:2
Antwort: Manche meinen, der Körper sei das Substanzielle und bestehe durch sich selbst, und der Geist sei unwesentlich und bestehe nur durch das Substanzielle des Körpers. Die Wahrheit ist jedoch, dass die vernunftbegabte Seele das Substanzielle ist, durch das der Körper besteht. Wenn das Nicht-Wesentliche – der Körper – zerstört wird, bleibt das Substanzielle – der Geist – übrig.
66:3
Zweitens besteht die vernunftbegabte Seele, mit anderen Worten der menschliche Geist, nicht dadurch, dass sie dem Körper innewohnt, das heißt, sie tritt nicht in ihn ein; denn Innewohnen und Eintreten sind Merkmale von Körpern. Die vernunftbegabte Seele ist darüber erhaben. Sie ist von Anfang an niemals in den Körper eingetreten, andernfalls wäre eine andere Wohnstatt für sie erforderlich, sobald sie den Körper wieder verlässt. Nein, die Verbindung des Geistes mit dem Körper ist so wie die Verbindung dieser Lampe mit einem Spiegel. Wenn der Spiegel rein und makellos ist, erscheint das Licht der Lampe darin, aber wenn der Spiegel zerbrochen oder mit Staub bedeckt ist, bleibt das Licht verborgen.
66:4
Die vernunftbegabte Seele – der menschliche Geist – ist von Anfang an nicht in diesen Körper herabgestiegen, noch besteht sie durch ihn, denn sonst wäre sie auch auf etwas Substanzielles angewiesen, nachdem sich die Bestandteile des Körpers aufgelöst haben. Im Gegenteil, die vernunftbegabte Seele ist das Substanzielle, auf das der Körper angewiesen ist. Die vernunftbegabte Seele besitzt von Anfang an ihre Individualität; sie erwirbt sie nicht mittels des Körpers. Was sich höchstens sagen lässt, ist, dass die Individualität und Identität der vernunftbegabten Seele in dieser Welt gestärkt werden kann, und dass die Seele entweder fortschreiten und sich vervollkommnen kann oder dass sie im tiefsten Abgrund der Unwissenheit verbleibt und wie durch Schleier von den Zeichen Gottes getrennt und ihrer Sicht beraubt bleibt.
66:5
Frage: Wodurch kann der Geist des Menschen – die vernunftbegabte Seele – Fortschritte machen, nachdem er von dieser sterblichen Welt gegangen ist?
66:6
Antwort: Nachdem der Geist vom Körper getrennt ist, macht der menschliche Geist in der göttlichen Welt entweder allein durch die Gunst und Gnade des Herrn Fortschritte, oder durch die Fürsprache und die Gebete anderer menschlicher Seelen oder durch großzügige Spenden und wohltätige Werke, die in seinem Namen dargebracht werden.
66:7
Frage: Was geschieht mit Kindern, die vor Erreichen des Reifealters sterben oder gar vor dem Geburtstermin?
66:8
Antwort: Diese Kinder weilen unter der Obhut der göttlichen Vorsehung, und da sie keine Sünde begangen haben und unbefleckt vom Schmutz der Welt der Natur sind, werden sie zu Offenbarungen der göttlichen Gnade und die Augen göttlicher Barmherzigkeit werden auf sie gerichtet sein.
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