Shoghi Effendi | Gott geht vorüber
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Kapitel 5Das Attentat auf den Sháh und seine Folgen
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Der Glaube, der ein ganzes Volk zutiefst aufwühlte, um dessentwillen tausende kostbare und heldenhafte Seelen niedergemetzelt worden waren und auf dessen Altar sein Stifter Sein Leben geopfert hatte, wurde nun einer weiteren Krise von extremer Gewalt und mit weitreichenden Folgen unterworfen. Es war eine jener wiederkehrenden Krisen, die ein volles Jahrhundert lang immer wieder den Strahlenglanz des Glaubens vorübergehend verdunkelten und das Gefüge seiner gewachsenen Institutionen beinahe zerbrachen. Immer plötzlich, oft unvermutet, scheinbar verhängnisvoll für ihren Geist und ihr Leben, wurden diese unvermeidbaren Anzeichen der geheimnisvollen Entwicklung einer höchst lebendigen Weltreligion mit revolutionären Lehren, einem herausfordernden Anspruch und gegen alle Widrigkeiten kämpfend, entweder von außen durch die Gehässigkeit ihrer erklärten Feinde herbeigeführt oder von innen durch die Torheit ihrer Freunde, den Abfall ihrer Verfechter oder den Treuebruch einiger sehr hochrangiger Freunde und Verwandten ihrer Stifter hervorgerufen. Wie verwirrend diese Krisen auch auf die große Menge der treuen Gläubigen wirkten, wie laut auch die Feinde sie als Zeichen des Niedergangs und nahen Zerfalls ausposaunten – im Rückblick haben doch all diese tatsächlichen Rückschläge, unter denen der Glaube immer wieder schlimm zu leiden hatte, seinen Fortschritt nicht aufhalten und seine Einheit nicht schmälern können. Hoch aber war der Tribut, den sie forderten, unaussprechlich das Leid, das sie schufen, umfassend und zeitweise lähmend die Bestürzung, die sie verursachten. Doch im rechten Licht besehen kann dies alles als versteckter Segen betrachtet werden, mit dem die Vorsehung Mittel zur Freisetzung eines neuen Stromes himmlischer Kraft bereitstellte, als wundersame Bewahrung vor noch viel schrecklicherem Unheil, als Werkzeug zur Erfüllung uralter Verheißungen, als Mittel zur Reinigung und Belebung der Gemeinde, als Triebkraft für ihre Ausbreitung und die Ausdehnung ihres Einflusses und als zwingender Beweis für die Unzerstörbarkeit ihrer einigenden Kräfte. Manchmal sahen die Menschen den Sinn solcher Prüfungen schon auf dem Höhepunkt der Krise ganz klar, häufiger noch wenn sie vorbei war – und dass alle diese Erfahrungen notwendig waren, wurde für Freund und Feind ohne den Schatten eines Zweifels deutlich. Selten, wenn überhaupt, blieb das Geheimnis dieses von Gott gesandten unheilvollen Aufruhrs und der tiefe Sinn und Zweck dieses Geschehens dem Verständnis der Menschen verborgen.
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Eine derartige Zerreißprobe sollte der Glaube des Báb, noch ganz in seinen Anfängen, nun zu bestehen haben. Verleumdet und verfolgt seit seiner Geburt, schon früh der stärkenden Kraft der meisten seiner führenden Verfechter beraubt, betäubt von der gewaltsamen und plötzlichen Beseitigung seines Stifters und wankend unter den grausamen Schlägen, die er nacheinander in Mázindarán, Ṭihrán, Nayríz und Zanján auszuhalten hatte, sollte der schwer verfolgte Glaube jetzt durch die unverantwortliche Schandtat eines fanatischen, unzurechnungsfähigen Anhänger des Báb eine nie gekannte Demütigung erfahren. Zu all den Prüfungen trat nun die erdrückende Last eines neuen Unheils, schwer wie nie zuvor, schmachvoll in seiner Art und verheerend in seinen unmittelbaren Folgen.
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Geknickt von der bitteren Tragödie des Martyriums seines geliebten Meisters, getrieben vom verzweifelten Wahn, diese abscheuliche Tat zu rächen, und in dem Glauben, dass der Urheber und Anstifter dieses Verbrechens niemand anderes als der Sháh selbst sei, ging ein gewisser Ṣádiq-i-Tabrízí, eine Hilfskraft in einer Konditorei in Ṭihrán, an einem Augusttag15. August 1852.A gemeinsam mit seinem Komplizen, einem ebenso verwirrten jungen Mann namens Fatḥu’lláh-i-Qumí, nach Níyávarán, wo das kaiserliche Heer lagerte und der Herrscher sich aufhielt. Dort wartete er wie ein harmloser Zuschauer am Straßenrand und als der Sháh auf seinem Morgenritt zu Pferd vom Palast kam, feuerte er seine Pistole auf ihn ab. Die Waffe, die der Attentäter einsetzte, bewies zweifelsfrei die Torheit dieses halb verrückten jungen Mannes und zeigte deutlich, dass kein vernünftiger Mensch jemals eine so sinnlose Tat hätte begehen können.
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Ganz Níyávarán, wo der kaiserliche Hof und die Truppen versammelt waren, geriet durch das Attentat in unvorstellbaren Aufruhr. Die Staatsminister, an der Spitze Mírzá Áqá Khán-i-Núrí, der I‘timádu’d-Dawlih und Nachfolger des Amír Niẓám, eilten aufgeschreckt ihrem verletzten Herrscher zu Hilfe. Trompetengeschmetter, Trommelwirbel und schrilles Pfeifen rief die Heerscharen Seiner Kaiserlichen Majestät von überallher zusammen. Die Begleiter des Sháhs strömten teils zu Pferd, teils zu Fuß auf das Palastgelände. Die Hölle war los, jeder gab Befehle, die niemand hörte, niemand befolgte oder überhaupt verstand. Der Gouverneur von Ṭihrán, Ardishír Mírzá, der seinen Truppen inzwischen den Befehl gegeben hatte, auf den verlassenen Straßen der Hauptstadt zu patrouillieren, ließ die Tore der Festung und der Stadt absperren und die Geschütze laden. Aufgeregt schickte er einen Boten aus, um den Wahrheitsgehalt der wilden Gerüchte, die in der Bevölkerung kursierten, zu überprüfen und um besondere Weisungen einzuholen.
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Kaum war die Untat geschehen, da warf sie auch schon ihren Schatten auf die ganze Bábí-Gemeinde. Geschürt durch den unversöhnlichen Hass der Mutter des jungen Herrschers erfasste ein Sturm öffentlicher Entrüstung, des Abscheus und des Grolls das Volk und vereitelte jede Möglichkeit selbst der einfachsten Untersuchung der Ursachen und Anstifter des Attentats. Ein Wink, ein Tuscheln genügte, um einen Unschuldigen zu verdächtigen und schreckliches Leid über ihn zu bringen. Ein Heer von Feinden – Geistliche, Beamte und andere Leute, die einmütig in unbarmherzigem Hass schon lange auf die Gelegenheit warteten, den gefürchteten Gegner in Verruf zu bringen und zu vernichten – fand endlich den langersehnten Vorwand. Nun konnten sie ihren niederträchtigen Vorsatz verwirklichen. Obgleich der Glaube von Anfang an jede Absicht weit von sich wies, sich Rechte und Ansprüche des Staates anmaßen zu wollen, und obwohl seine Wortführer und führenden Gläubigen gewissenhaft alles vermieden, was auch nur den leisesten Anschein erwecken könnte, heiligen Krieg führen oder eine aggressive Haltung einnehmen zu wollen, waren die Feinde – die all die vielen Beweise betonter Zurückhaltung seitens der Gläubigen der verfolgten Religion absichtlich übersahen – doch imstande, ihn mit genauso barbarischen Gräueln zu überziehen wie in den blutigen Episoden von Mázindarán, Nayríz und Zanján. Zu welchen Tiefen der Schändlichkeit und Grausamkeit würde sich dieser Feind jetzt erst versteigen, nach einem derart unverfrorenen Hochverrat? Welche Anschuldigungen würde er nun erheben wollen, welche Behandlung denen zumessen, die man, wenn auch noch so ungerechtfertigt, mit einem so abscheulichen Verbrechen in Verbindung bringen konnte – verübt an dem, der in seiner Person die höchste Obrigkeit des Reiches und die Treuhandschaft des Verborgenen Imáms vereinte?
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Nun folgte eine unbeschreiblich abscheuliche Zeit des Grauens. Die Rachsucht derer, die ihre Schrecken entfesselten, schien unstillbar. Ihr Toben fand selbst in der europäischen Presse ein Echo, das die blutdürstigen Akteure brandmarkt. Der Großwesir wollte mögliche Blutracheakte verhindern und verteilte deshalb die Hinrichtung der zum Tod Verurteilten unter die Prinzen und Adligen, seine wichtigsten Ministerkollegen, die Generäle und Offiziere des Hofes und die Vertreter der Priester- und Kaufmannschaft, der Artillerie und Infanterie. Selbst der Sháh erhielt sein Opfer zugeteilt, obgleich er, um die Würde der Krone zu wahren, seinen Haushofmeister damit beauftragte, in seinem Namen den tödlichen Schuss abzugeben. Ardishír Mírzá ließ die Stadttore besetzen und befahl den Wachen eine Gesichtskontrolle aller, die hinaus wollten. Dann ließ er den Kalántar, den Dárúghih und die Kadkhudás zu sich bitten und wies sie an, jeden, der ihnen als Bábí verdächtig vorkam, aufzustöbern und festzunehmen. Ein Junge namens ‘Abbás, ein ehemaliger Diener bei einem bekannten Gläubigen, wurde unter Androhung unmenschlicher Foltern dazu gebracht, durch die Straßen Ṭihráns zu gehen und auf jeden zu zeigen, den er als Bábí kannte. Er wurde auch gezwungen, jeden zu denunzieren, von dem er annahm, dass er willens und in der Lage sei, für seine Freiheit hohe Bestechungsgelder zu zahlen.
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Der erste, der das Leid dieses verhängnisvollen Tages zu spüren bekam, war der unselige Ṣádiq, der am Schauplatz seines Mordversuchs sofort erschlagen wurde. Sein Leib wurde an den Schwanz eines Maultiers gebunden und nach Ṭihrán geschleift, wo man ihn in zwei Stücke hieb und die beiden Hälften aufhängte und öffentlich zur Schau stellte, worauf die Stadtbehörden die Bewohner Ṭihráns aufforderten, auf die Wälle zu steigen, um den verstümmelten Leichnam zu betrachten. Seinem Komplizen wurde, nachdem er mit rotglühenden Zangen und Gliederschrauben gefoltert worden war, geschmolzenes Blei in den Schlund gegossen. Einem Leidensgenossen, Ḥájí Qásim, wurden die Kleider vom Leib gerissen, Löcher ins Fleisch geschnitten und brennende Kerzen hineingesteckt; dann wurde er der lästerlich fluchenden, johlenden Menge vorgeführt. Anderen wurden die Augen zerquetscht, sie wurden zersägt, erdrosselt, von Kanonen zerfetzt, in Stücke gerissen, mit Beilen und Keulen zerschmettert, mit Hufeisen beschlagen, von Bajonetten aufgespießt oder gesteinigt. Die Folterknechte wetteiferten miteinander um die ganze Vielfalt der Bestialität, während der Pöbel, dem man die Leiber der unglücklichen Opfer überließ, sich auf die Beute stürzte und sie bis zur Unkenntlichkeit verstümmelte. Selbst die an ihr grausiges Geschäft gewöhnten Scharfrichter staunten über die teuflische Grausamkeit des Pöbels. Man sah Frauen und Kinder, die von ihren Henkern mit zerfetztem Fleisch und brennenden Kerzen in den Wunden durch die Straßen getrieben wurden und vor den sprachlosen Zuschauern mit klingender Stimme sangen: »Wahrlich, wir kommen von Gott und zu Ihm kehren wir zurück!«Comte de Gobineau, Les Religions et les Philosophies dans l’Asie Centrale, p. 248f, zitiert von Shoghi Effendi in: Nabíls Bericht 26:20 Fn2 (1932 ed.), Bd. 3, S. 621, Fn 197 – Anm. d. Hrsg.Q Die Peiniger warfen die Leichen der Kinder, die auf dem Weg starben, ihren Vätern und Geschwistern vor die Füße, die aufrecht über sie hinwegschritten und sich nicht nach ihnen umsahen. Wie ein angesehener französischer Schriftsteller bezeugt, ließ ein am Boden liegender Vater seinen beiden Söhnen, die blutüberströmt auf seiner Brust lagen, lieber die Kehlen durchschneiden, als dass er seinem Glauben abgeschworen hätte – der Vierzehnjährige pochte dabei nachdrücklich auf sein Ältestenrecht, als erster sein Leben hingeben zu dürfen.
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Ein österreichischer Offizier im Dienst des Sháhs, Hauptmann von Goumoens, war damals, wie zuverlässig berichtet wird, so entsetzt über die Gräuel, deren Zeuge er werden musste, dass er seinen Abschied einreichte. In einem Brief, den er zwei Wochen nach dem Attentat schrieb und der im Soldatenfreund veröffentlicht wurde, beschreibt der Hauptmann, was er sah: »… folge mir, Freund, der Du Herz und europäische Sitte Dein nennst, folge mir zu den Beklagenswerthen, die mit ausgestochenen Augen die eigenen abgeschnittenen Ohren am Orte der That und ohne Bereitung verzehren müssen; oder zu denen, deren Zähne von der Hand des Schergen mit entmenschter Gewalt ausgebrochen wurden, und denen nur der kahle Schädel durch die Kraft der Hammerschläge zermalmt wird; – oder dorthin, wo man den Bazar mit Unglücklichen beleuchtet, indem man recht- und linkseitig tiefe Löcher in die Brust und Schulter gräbt; und brennende Kerzen in die Wunden birgt. Ich sah deren, die an Ketten durch den Bazar – eine Militärmusik an der Spize – gezerrt wurden, deren Kerzen tief abgebrannt waren und nun Unschlitt gleich einer verlöschenden Lampe in der Wunde zukend flammte. Nicht selten begibt sich, daß die nie ermattende Fantasie der Orientalen zu neuen Erscheinungen schreitet. Man zieht den Babis die Haut der Sohlen ab, labt die blutende Wunde mit siedendem Oel, beschlägt den Fuß gleich dem Hufe des Pferdes, und zwingt das Opfer nun zum Laufe. Kein Laut war der Brust entstiegen; finster schweigend war die Qual an dem eiserstarrten Gefühle des Fanatikers vorübergezogen, – nun soll er laufen – der Körper kann nicht ertragen was die Seele ertrug – er sinkt; gebt ihm den erlösenden Stoß, endet seine Pein! Nein, der Scherge schwingt die Peitsche, und – ich mußte es selbst sehen – der hundertfach Gequälte läuft. Das ist der Anfang vom Ende. Das Ende selbst. Man hängt den durchbohrten, versenkten Körper bei Hand und Fuß an einen Baum, den Kopf der Erde zugeneigt, und nun mag jeder Perser von einer bestimmten nicht allzu nahen Distanz aus das Vergnügen haben, auf das edle, gelieferte Wild die Schußfertigkeit zu erproben. Ich sah Leichname, zerfetzt von nahe 150 Kugeln.« Er fährt fort: »Wenn ich jetzt das Geschriebene wieder lese, überkommt mich der Gedanke, daß man bei Euch, im lieben und theueren Oesterreich an der vollen Wahrheit des Geschilderten zweifeln, eine Uebertreibung zur Last legen könnte. – Gäbe es Gott, daß ich es nicht erlebt hätte, nicht erlebte. Aber durch das Gebot meines Berufes war ich leider oft, sehr oft Zeuge der Greuel. Zur Stunde verlasse ich gar nicht mehr mein Haus, um nicht erneuerten Schrekens-Szenen zu begegnen. … Da sich mein Inneres gegen solche Abscheulichkeit … empört, will ich nicht länger dem Schauplaze dieser Frevel angehören.«Österreichischer Soldatenfreund, Wien, 12. Oktober 1852 (Jg.V. Nr.123 S.513ff); engl. Übersetzung in: E.G. Browne, Materials for the Study of the Bábí Religion, p. 268 ff, zitiert von Shoghi Effendi in: Nabíls Bericht 26:14 Fn, Bd. 3, S. 613–614, Fn 190 – Anm. d. Hrsg.Q Kein Wunder, dass ein weithin berühmter Mann wie Renan in seinem Werk Les Apôtres einen der Tage des scheußlichen Gemetzels beim großen Blutbad von Ṭihrán beschreibt als einen »Tag wie vielleicht kein zweiter in der Geschichte der Welt!«Ernest Renan, Origins of Christianity, vol. II, The Apostles[Seitenangabe fehlt], auch zitiert in: Shoghi Effendi, Der Verheißene Tag ist gekommen 187 – Anm. d. Hrsg.Q
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Die Hand, die sich gegen die Anhänger des leidgeprüften Glaubens erhob, begnügte sich nicht mit schweren Schlägen gegen die einfachen Mitglieder. Sie ballte sich mit gleich entschlossener Wut gegen die wenigen Anführer, die in den feindlich tosenden Stürmen, die so viele Gläubige hinweggefegt hatten, überlebt hatten, und schlug auch sie mit gleicher Gewalt. Ṭáhirih, die unsterbliche Heldin, die über ihr Geschlecht und über die göttliche Sache, der sie verbunden war, bereits unvergänglichen Strahlenglanz verbreitet hatte, wurde in den rasenden Sturm hineingerissen und schließlich davon verschlungen. Siyyid Ḥusayn, der Sekretär des Báb, der Gefährte Seines Exils, der Vertraute Seiner letzten Wünsche und Zeuge der Wunder bei Seinem Martyrium, fiel ebenfalls ihrem Wüten zum Opfer. Die Hand erhob sich sogar verwegen gegen die überragende Gestalt Bahá’u’lláhs. Doch obwohl sie Ihn auch packte, niederstrecken konnte sie Ihn nicht. Sie brachte Sein Leben in Gefahr, sie prägte Seinem Leib unauslöschliche Male ihrer erbarmungslosen Grausamkeit ein, aber sie war nicht imstande, vorzeitig eine Laufbahn zu beenden, die dazu bestimmt war, das vom Geist des Báb entzündete Feuer lebendig zu erhalten und darüber hinaus einen Brand zu entfachen, der die Herrlichkeit dieser Offenbarung zugleich vollenden und überstrahlen sollte.
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In diesen düsteren, qualvollen Tagen, da der Báb nicht mehr lebte, die Leuchten am Firmament Seines Glaubens eine nach der andern ausgelöscht wurden, der von Ihm Benannte als »verstörter Flüchtling im Derwischkleid, die KashkúlKorb für Almosen.A in der Hand«‘Abdu’l-Bahá, Auf den Pfaden der Gottesliebe 68 – Anm. d. Hrsg.Q, die Gebirge und Ebenen um Rasht durchstreifte, schien Bahá’u’lláh aufgrund Seiner Taten in den Augen des wachsamen Feindes der meistgefürchtete Gegner zu sein und die einzige Hoffnung für die noch immer nicht ausgerottete Ketzerei. Ihn festzunehmen und zu töten wurde jetzt zur zwingenden Notwendigkeit. Er war es, der knapp drei Monate nach der Geburt des Glaubens von Mullá Ḥusayn, dem Boten des Báb, die Schriftrolle empfing, die Ihm die erste Botschaft von der jüngst verkündeten Offenbarung brachte, und der ihre Wahrheit sofort anerkannte und sich erhob, um sich für diese Sache einzusetzen. Es war Sein Geburts- und Wohnort, zu dem dieser Bote als erstes seine Schritte gelenkt hatte, der Ort, der »ein Geheimnis von so erhabener Heiligkeit birgt, dass weder der Ḥijáz noch Shíráz hoffen können, ihm gleich zu kommen«Báb, berichtet in: Muḥammad-i-Zarandí, Nabíls Bericht 3:51, Bd. 1, S. 96 – Anm. d. Hrsg.Q. Die Nachricht, dass die Verbindung mit Ihm hergestellt war, hatte der Báb von Mullá Ḥusayn mit solcher Freude vernommen, dass Er sich nun ruhigen Herzens entschloss, die von Ihm ins Auge gefasste Pilgerfahrt nach Mekka und Medina anzutreten. Bahá’u’lláh allein war Gegenstand und Mittelpunkt der im Qayyúmu’l-Asmá’ und im Bayán niedergeschriebenen versteckten Anspielungen, glühenden Lobpreisungen, inbrünstigen Gebete, freudigen Ankündigungen und schrecklichen Warnungen, die jeweils das erste beziehungsweise letzte schriftliche Zeugnis für die Herrlichkeit sein sollten, mit der Gott Ihn bald bekleiden würde. Er war es, der durch Seinen Briefwechsel mit dem Stifter des neuen Glaubens und durch Seine enge Verbindung mit den herausragendsten Jüngern wie Vaḥíd, Ḥujjat, Quddús, Mullá Ḥusayn und Ṭáhirih imstande war, für das Wachstum des Glaubens zu sorgen, seine Prinzipien zu erläutern, seine ethischen Grundlagen zu stärken, seinen wichtigsten Erfordernissen gerecht zu werden, einige akute Gefahren abzuwenden und wirksam an seinem Aufstieg und seiner Festigung mitzuwirken. Ihn, den »einzige[n] Gegenstand unserer Verehrung und Liebe«Báb, berichtet in: Muḥammad-i-Zarandí, Nabíls Bericht 8:1, Bd. 1, S. 176 – Anm. d. Hrsg.Q, hatte der von Seiner Pilgerreise zurückgekehrte Prophet gemeint, als Er Quddús in shihr aus Seiner Gegenwart entließ und ihm die zweifache Freude verkündete, dass er zu ihrem Geliebten gelangen und den Kelch des Martyriums leeren werde. Er war es, der in der Glanzperiode Seines Lebens jeglichen Gedanken an irdischen Ruhm, Reichtum und Stellung von sich wies und – ungeachtet der drohenden Gefahr und der zu erwartenden Verleumdungen seitens Seiner Gesellschaftsschicht – sich erhob, um sich zuerst in Ṭihrán und später in Seiner Heimatprovinz Mázindarán der Sache einer obskuren, geächteten Sekte anzuschließen; viele Beamte und Prominenz aus Núr, auch aus dem Kreis Seiner Standesgenossen und Verwandten, gewann Er als Unterstützer dieser Sache; furchtlos und überzeugend legte Er den Schülern des berühmten Mujtahid Mullá Muḥammad die Glaubenslehren dar, reihte die vom Mujtahid bestimmten Vertreter unter ihr Banner, sicherte sich die vorbehaltlose Treue vieler geistlicher Würdenträger, Regierungsbeamter, Bauern und Kaufleute und schließlich gelang es Ihm, in einer denkwürdigen Unterredung den Mujtahid selbst herausfordern. Allein der Kraft Seiner schriftlichen Botschaft, die dem Báb während Seines Aufenthalts in der Nähe des Dorfes Kulayn vom damit beauftragten Mullá Muḥammad-Mihdíy-i-Kandí übergeben wurde, war es zu verdanken, dass sich der enttäuschte Gefangene in einer Stunde spannungsvoller Ungewissheit von der Seelenqual befreien konnte, die seit Seiner Gefangennahme in Shíráz auf Ihm lastete. Bahá’u’lláh unterwarf sich um Ṭáhirihs und ihrer gefangenen Gefährten willen einer demütigenden mehrtägigen Haft – der ersten, die Er ertragen musste – im Hause eines der Kadkhudá von Ṭihrán. Seiner Vorsorge, Seiner Umsicht und Seinem Geschick ist es zu verdanken, dass Ṭáhirih ihren Feinden entkommen, aus Qazvín fliehen, wohlbehalten in Sein Haus kommen und anschließend an einen sicheren Ort in der Umgebung der Hauptstadt gelangen konnte, von wo sie nach Khurásán weiterreiste. Als Mullá Ḥusayn nach Ṭihrán kam, wurde er heimlich in Seine Gegenwart geführt und nach der Unterredung reiste er nach Ádhirbáyján, um den Báb aufzusuchen, der damals in der Festung Máh-Kú gefangen war. Bahá’u’lláh war es, der auf der Konferenz von Badasht unauffällig aber zielsicher den Ablauf lenkte, der Quddús, Ṭáhirih und einundachtzig Jünger, die sich hier eingefunden hatten, als Seine Gäste bewirtete, der täglich eine Tafel offenbarte und jedem Teilnehmer einen neuen Namen verlieh, der sich in Níyálá, ganz auf sich gestellt, dem Angriff eines Pöbels von mehr als fünfhundert Dorfbewohnern stellte, der Quddús vor der Wut seiner Angreifer schützte, der einen Teil der Habe wiedergewinnen konnte, die der Feind geplündert hatte, und der der ständig drangsalierten und geschmähten Ṭáhirih Schutz und Sicherheit bot. Gegen Ihn richtete sich der Zorn Muḥammad Sháhs, den die dauernden Anschuldigungen der Intriganten schließlich dazu bewogen, Ihn verhaften zu lassen und in die Hauptstadt vorzuladen – ein Befehl, der wegen des plötzlichen Todes des Herrschers ohne Folgen blieb. Seinen Ratschlägen und Ermahnungen an die Besatzung von Shaykh Ṭabarsí, die Ihn bei Seinem Besuch in der Festung mit so viel Ehrerbietung und Liebe empfangen hatte, ist in hohem Maße der Geist zuzuschreiben, den diese heroischen Verteidiger des Glaubens bewiesen, und Seinen ausdrücklichen Weisungen verdankten sie die wunderbare Befreiung von Quddús und seine anschließende Vereinigung mit ihnen für die aufsehenerregenden Heldentaten, die den Aufstand von Mázindarán unsterblich machten. Um dieser Verteidiger willen, denen Er sich anschließen wollte, erlitt Er Seine zweite Gefangenschaft, diesmal in der Moschee von Ámul, wohin Er mitten durch den Lärm und das Getümmel von viertausend Zuschauern geführt wurde; um ihretwillen bekam Er im Namáz-Khánih des Mujtahids der Stadt die Bastonade, bis Seine Füße bluteten, und wurde später in der Privatresidenz des Gouverneurs dieser Stadt gefangen gehalten; um ihretwillen wurde Er vom führenden Mullá heftig verunglimpft und der Pöbel, der den Gouverneurssitz belagerte, beleidigte Ihn, bewarf Ihn mit Steinen und schleuderte Ihm Beschimpfungen ins Gesicht. Nur Ihn meinte Quddús, als er bei seiner Ankunft in der Festung Shaykh Ṭabarsí vom Pferd stieg und gegen den Schrein gelehnt die prophetischen Worte sprach: »Der Baqíyyatu’lláhDer von Gott Bewahrte.A wird für euch das Beste sein, so ihr zu denen gehört, die glauben.«Qur’án 11:86, zitiert von Quddús in: Muḥammad-i-Zarandí, Nabíls Bericht 19:46, Bd. 2, S. 381 – Anm. d. Hrsg.Q Ihm allein galt der wunderbare Lobpreis von Quddús, eine meisterhafte Interpretation des Ṣád von Ṣamad im sechsfachen Textumfang des Qur’án, die der jugendliche Held zum Teil unter qualvollsten Umständen in eben dieser Festung niederschrieb. Seine bevorstehende Offenbarung ist es, auf deren Datum der Báb in Seinem – in Chihríq zu Ehren von Dayyán offenbarten – Lawḥ-i-Ḥurúfát dunkel anspielt und in dem Er das Geheimnis des ›Mustagháth›Er, der angerufen wird‹ – Anm. d. Hrsg.A enthüllt. In Seine Gegenwart zu gelangen, wurde einem anderen Jüngers, Mullá Báqir, einem der Buchstaben des Lebendigen, ausdrücklich vom Báb selbst ans Herz gelegt. Ausschließlich Seiner Obhut wurden die Dokumente des Báb, Sein Federkasten, Seine Siegel und Achatringe, zusammen mit einer Schriftrolle, auf die Er in Form eines Pentagramms dreihundertsechzig Ableitungen des Wortes Bahá geschrieben hatte, übergeben – alles gemäß den Anweisungen, die Er selbst vor Seiner Abreise aus Chihríq erteilt hatte. Ebenso ist es allein Seiner Initiative und Seinen strikten Anordnungen zu verdanken, dass die kostbaren sterblichen Überreste des Báb wohlbehalten von Tabríz in die Hauptstadt gebracht und über all die turbulenten Jahre nach Seinem Martyrium unter größter Geheimhaltung verborgen gehalten und gut behütet wurden. Und schließlich war Er es, der sich in den Tagen vor dem Attentat auf den Sháh während Seines Aufenthalts in Karbilá wirksam für die Verbreitung der Lehren ihres verstorbenen Oberhauptes einsetzte, ebenso begeistert und geschickt wie früher in Mázindarán, und der die Interessen des Glaubens verfocht, indem Er den Eifer der von Trauer erfüllten Getreuen neu belebte und die Kräfte seiner verstreuten und verwirrten Anhänger sammelte.
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Ein Mann mit einer solchen Fülle von Erfolgen konnte und sollte der Aufmerksamkeit und dem Zorn eines hellwachen und aufgestachelten Feindes nicht entgehen. Von Anfang an voll unbändiger Begeisterung für die Sache, der Er sich verschrieben hatte; ohne jede Furcht in Seinem Einsatz für die Rechte der Unterdrückten; in der vollen Blüte Seiner Jugend; unermesslich einfallsreich; unvergleichlich redegewandt; begabt mit unerschöpflicher Energie und durchdringender Urteilskraft; im Besitz von Reichtum und im Genuss des vollen Maßes an Ansehen, Macht und Einfluss, die Seinem beneidenswert hohen und vornehmen Stand gebührte, dennoch allen Pomp, irdischen Lohn, Eitelkeiten und Besitz verachtend; durch Seinen regelmäßigen Briefwechsel eng verbunden mit dem Stifter des Glaubens, für den Er eintrat, und auch zutiefst vertraut mit den Hoffnungen und Sorgen, Plänen und Taten seiner führenden Repräsentanten; einmal offen voranschreitend und an der Spitze der Kräfte, die für die Emanzipation des Glaubens kämpften, die Stellung des anerkannten Anführers einnehmend; ein andermal absichtlich mit vollendeter Diskretion zurückhaltend, um unangenehme oder gefährliche Situationen wirksamer entschärfen zu können; jederzeit wachsam und unermüdlich bereit in dem Bemühen, die Integrität des Glaubens zu hüten, seine Probleme zu lösen, seine Sache zu vertreten, seine Anhänger anzufeuern und seine Gegner abzuschmettern – so trat Bahá’u’lláh schließlich zu einer höchst kritischen schicksalhaften Stunde ins Zentrum der Bühne, die der Báb auf so bittere Weise verlassen hatte – eine Bühne, auf der Er vierzig Jahre lang eine Rolle spielen sollte, wie sie in ihrer Majestät, ihrem Ausdruck und ihrem Glanz von keinem der großen Stifter der Weltreligionen erreicht wurde.
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Hatte die unverkennbare, überragende Gestalt schon zuvor durch die gegen Ihn erhobenen Anklagen den Zorn Muḥammad Sháhs auf sich gezogen, so befahl dieser, als er hörte, was in Badasht geschehen war, durch mehrere Farmáne den Khánen von Mázindarán Ihn festzunehmen und äußerte seine feste Absicht, Ihn töten zu lassen. Ḥájí Mírzá Áqásí, bereits mit dem WesirBahá’u’lláhs Vater.A zerstritten und wütend, weil sein betrügerischer Versuch, sich ein Anwesen aus dem Besitz Bahá’u’lláhs anzueignen, missglückt war, hatte dem Einen, dem es so glänzend gelungen war, seine bösen Absichten zu vereiteln, ewige Feindschaft geschworen. Der Amír Niẓám, der sich über den durchdringenden Einfluss seines tatkräftigen Gegners völlig im Klaren war, hatte Ihn zudem vor einer erlauchten Versammlung beschuldigt, durch Seine Umtriebe der Regierung einen Verlust von nicht weniger als fünf Kurúrs zugefügt zu haben, und Ihn zu einem für das Schicksal des Glaubens entscheidenden Zeitpunkt ausdrücklich aufgefordert Seinen Wohnsitz vorübergehend nach Karbilá zu verlegen. Der Nachfolger des Amír Niẓám, Mírzá Áqá Khán-i-Núrí, hatte sich gleich zu Beginn seines Amtsantritts bemüht, eine Versöhnung herbeizuführen zwischen seiner Regierung und Dem, den er als die größte Stütze unter den Jüngern des Báb ansah. Kein Wunder, dass sich später, nach der unbesonnenen, folgenschweren Tat, in die Gedanken des Sháhs, seiner Regierung, seines Hofes und seines Volkes ein ebenso schwerwiegender wie unbegründeter Verdacht gegen Bahá’u’lláh einnistete. Allen voran prangerte Ihn die Mutter des jugendlichen Herrschers zornentflammt und unverhohlen als vermeintlichen Mörder ihres Sohnes an.
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Als das Attentat auf den Herrscher verübt wurde, war Bahá’u’lláh als Gast des Großwesirs in Lavásán und weilte gerade im Dorfe Afchih, als Ihn die ungeheuerliche Nachricht erreichte. Dem Rat Ja‘far-Qulí Kháns, der als Bruder des Großwesirs Sein Gastgeber war und Ihn veranlassen wollte, sich eine Zeitlang in der Nachbarschaft verborgen zu halten, schenkte Er kein Gehör. Er verzichtete auf die Dienste des Boten, der eigens zu Seinem Schutz entsandt worden war, und ritt am anderen Morgen unerschrocken und gelassen zum Hauptquartier der kaiserlichen Armee, die in Níyávarán im Bezirk Shimírán stationiert war. Im Dorfe Zarkandih traf Er sich mit Seinem Schwager Mírzá Majíd, der Ihn zu seinem Haus brachte, das neben dem seines Vorgesetzten stand, dem russischen Botschafter, Fürst Dolgoruki, bei dem er damals als Sekretär beschäftigt war. Als die Bediensteten des Ḥájibu’d-Dawlih Ḥájí ‘Alí Khán von Bahá’u’lláhs Ankunft erfuhren, informierten sie sogleich ihren Herrn, der wiederum seinen Herrscher davon in Kenntnis setzte. Völlig überrascht schickte der Sháh zuverlässige Beamte zur Botschaft und verlangte, dass ihm der Beschuldigte sofort ausgeliefert werde. Der russische Botschafter weigerte sich aber den Wünschen der königlichen Abgesandten nachzukommen und bat Bahá’u’lláh, sich wieder in das Haus des Großwesirs zu begeben, dem er in aller Form seinen Wunsch mitteilte, dass die Sicherheit dieses teuren Pfandes, das die russische Regierung seinem Hause anvertraue, gewährleistet werden sollte. Dieses Ziel wurde aber nicht erreicht, denn der Großwesir fürchtete seine Stellung zu verlieren, wenn er dem Beschuldigten den erbetenen Schutz gewährte.
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Seinen Feinden ausgeliefert, musste dieser so gefürchtete, schwer beschuldigte und berühmte Vertreter des permanent verfolgten Glaubens von dem Kelch kosten, den sein anerkanntes Oberhaupt bis zur Neige geleert hatte. Von Níyávarán aus wurde Er »in Ketten, barhäuptig und barfuß«Bahá’u’lláh, Brief an den Sohn des Wolfes 32, S. 33 – Anm. d. Hrsg.Q, den sengenden Strahlen der hochsommerlichen Sonne ausgesetzt, zu Fuß nach Ṭihrán in den Síyáh-Chál geführt. Unterwegs nahm man Ihm mehrmals die Oberbekleidung ab, verhöhnte und verspottete Ihn und bewarf Ihn mit Steinen. Was das unterirdische Verlies betrifft, in das Er geworfen wurde und das ursprünglich als Wasserreservoir für ein öffentliches Bad in der Hauptstadt gedient hatte, so mögen Seine eigenen Worte in Seinem Brief an den Sohn des Wolfes von den Qualen zeugen, die Er in dieser verpesteten Höhle ausstehen musste. »Vier Monate lang mussten Wir in einem unbeschreiblich schmutzigen Loch verbringen. … Bei Unserer Einlieferung wurden Wir zuerst einen pechschwarzen Gang entlanggeführt, von dort stiegen Wir drei steile Treppen zu dem Verlies hinab, das Uns bestimmt war. Dieser Kerker war in dichtes Dunkel gehüllt; Unsere Mitgefangenen zählten nahezu einhundertfünfzig Menschen: Diebe, Mörder und Straßenräuber. Trotz seiner Überfüllung hatte das Verlies keinen anderen Auslass als den Gang, durch den Wir gekommen waren. Keine Feder kann diesen Ort beschreiben, keine Zunge seinen widerlichen Gestank schildern. Die meisten dieser Menschen hatten weder Kleider noch Stroh, darauf zu liegen. Nur Gott weiß, was Wir in diesem übelriechenden, finsteren Raum zu leiden hatten!«Bahá’u’lláh, Brief an den Sohn des Wolfes 32, S. 34 – Anm. d. Hrsg.Q Bahá’u’lláhs Füße waren im Stock gefesselt und um Seinen Nacken lag die Qara-Guhar, eine Kette von solchem Gewicht, dass sie Narben hinterließ, die Seinem Körper bis an Sein Lebensende eingeprägt blieben. »Eine schwere Kette«, schreibt ‘Abdu’l-Bahá, »wurde Ihm um den Hals gelegt, die Ihn an fünf andere Bábí fesselte. Diese Fesseln wurden durch starke und sehr schwere Bolzen und Verschraubungen zusammengeschlossen. Seine Kleider waren ebenso wie Sein Fez in Fetzen gerissen. In diesem schrecklichen Zustand wurde Er vier Monate lang gefangen gehalten.«‘Abdu’l-Bahá, in: Ansprachen in Paris 25:4 – Anm. d. Hrsg.Q Drei Tage und drei Nächte lang bekam er weder zu essen noch zu trinken. An Schlaf war nicht zu denken. Der Ort war kalt, feucht und voll Schmutz, von Fieberdunst, Ungeziefer und widerlichem Gestank durchdrungen. Seine Feinde gingen in ihrem unerbittlichen Hass so weit, dass sie die für Ihn bestimmte Nahrung abfingen und vergifteten, um dadurch die Gunst der Mutter ihres Herrschers zu erlangen, die Seine unversöhnlichste Feindin war – ein Anschlag, der sein Ziel verfehlte, wenn auch auf Jahre hinaus Seine Gesundheit beeinträchtigt war. »‘Abdu’l-Bahá erzählt«, schreibt Dr. J. E. Esslemont in seinem Buch, »dass Er eines Tages die Erlaubnis erhielt, den Gefängnishof zu betreten, um Seinen geliebten Vater zu sehen, wenn Er zum täglichen Rundgang herauskam. Bahá’u’lláh hatte sich schrecklich verändert. Er war so krank, dass Er kaum gehen konnte. Haar und Bart waren wirr, Sein Nacken wund und geschwollen vom Druck eines schweren Halseisens, Sein Körper niedergebeugt von der Last Seiner Ketten.«John E. Esslemont, Bahá’u’lláh und das Neue Zeitalter 138, S. 69 – neu übersetzt – Anm. d. Hrsg.Q
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Während Bahá’u’lláh so abscheulich und grausam den Prüfungen und Qualen unterworfen war, die mit jenen stürmischen Tagen untrennbar verbunden sind, erlag eine andere Leuchte des Glaubens, die tapfere Ṭáhirih, rasch dem verheerenden Sturm. Ihre kometenhafte Laufbahn, in Karbilá begonnen, in Badasht auf ihrem Zenit, war nun im Begriff, in einem Märtyrertod zur Vollendung zu gelangen, der wohl als eines der ergreifendsten Ereignisse der bewegten Bahá’í-Geschichte gelten darf.
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Als Spross der hochangesehenen Familie des Ḥájí Mullá Ṣáliḥ-i-Baraqání, deren Mitglieder in der geistlichen Hierarchie Persiens beneidenswerte Stellungen innehatten, Namensschwester der berühmten Fáṭimih, von ihrer Familie und ihren Angehörigen Zarrín-TájGoldene Krone.A und Zakíyyihdie Tugendhafte.A genannt, im selben Jahr geboren wie Bahá’u’lláh, von Kindheit an von ihren Mitbürgern wegen ihrer Intelligenz und ihrer Schönheit als Wunderkind bestaunt, vor ihrem Glaubenswechsel wegen ihrer brillanten, originellen Ansichten selbst von einigen der stolzesten und gelehrtesten ‘Ulamá ihres Landes hochgeachtet, von ihrem sie bewundernden Lehrer Siyyid Káẓim als Qurratu’l-‘AynAugentrost.A gepriesen, von der »Zunge der Macht und Herrlichkeit«Báb, berichtet in: Muḥammad-i-Zarandí, Nabíls Bericht 3:38, 16:14, (Bd. 1, S. 118, Bd. 2, S. 323) – Anm. d. Hrsg.Q mit dem Namen Ṭáhirihdie Reine.A ausgezeichnet, vom Báb als einzige Frau zu den Buchstaben des Lebendigen gezählt, hatte sie, wie schon erwähnt, durch einen Traum die erste Verbindung mit dem Glauben aufgenommen, den sie bis zum letzten Atemzug und in der Stunde größter Gefahr mit dem ganzen Feuer ihres unbeugsamen Geistes verbreitete. Vom heftigen Protest ihres Vaters ließ sie sich nicht abschrecken, die Bannflüche ihres Onkels verachtete sie, die dringenden Bitten ihres Gatten und ihrer Brüder ließen sie ungerührt, von den Maßnahmen der zivilen und geistlichen Obrigkeiten in Karbilá, danach in Baghdád und später in Qazvín, die ihre Tätigkeit einschränken sollten, ließ sie sich nicht einschüchtern, vielmehr trieb sie die Bábí-Sache mit zäher Beharrlichkeit voran. Durch ihre eloquenten Reden, ihre unerschrockenen Anklagen, ihre Abhandlungen, Gedichte, Übersetzungen, Kommentare und Briefe fuhr sie fort, die Phantasie zu beflügeln, Araber wie Perser für die neue Offenbarung zu gewinnen, die Verderbtheit ihrer Generation zu verurteilen und für einen umwälzenden Wandel der Sitten und Gebräuche ihres Volkes einzutreten.
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In Karbilá – dem stärksten Bollwerk des shí‘itischen Islám – schickte sie aus eigenem Antrieb an jeden der ‘Ulamás in der Stadt, die Frauen auf eine Stufe kaum höher als die eines Tieres herabsetzten und ihnen sogar den Besitz einer Seele absprachen, ein ausführliches Schreiben, in dem sie geschickt die hohe Bestimmung der Frau hervorhob und die bösartigen Absichten der Empfänger entlarvte. In offenem Trotz gegen die Gebräuche der fanatischen Stadtbewohner ignorierte sie kühn die Jahresfeier des Martyriums des Imám Ḥusayn, die in den ersten Tagen des Monats Muḥarram mit aufwändigen Feierlichkeiten begangen wurde, und feierte stattdessen den Geburtstag des Báb, der auf den ersten Tag desselben Monats fiel. In Baghdád verblüffte sie mit erstaunlicher Argumentationskraft und außerordentlicher Eloquenz eine Delegation von Würdenträgern der Shí‘iten, Sunníten, Christen und Juden, die ihr das Vorhaben ausreden wollten, die Lehren der neuen Botschaft zu verbreiten. Vor dem bedeutenden Rechtsgelehrten Shaykh Maḥmúd-i-Álúsí, dem Muftí von Baghdád, und in dessen Haus verteidigte sie ihren Glauben und ihre Haltung mit großem Geschick. Später führte sie ihre berühmten Gespräche mit den Prinzen, den ‘Ulamá und den in Kirmánsháh residierenden Regierungsbeamten, in deren Verlauf der Kommentar des Báb zur Súrah Kawthar öffentlich verlesen und übersetzt wurde; Höhepunkt war die Bekehrung des Amírsdes Gouverneurs.A und seiner Familie. Zur Unterstützung ihrer persischen Mitgläubigen übersetzte diese außergewöhnlich begabte Frau den umfangreichen Kommentar des Báb zur Súrah Yúsifdas Qayyúmu’l-Asmá’.A und tat so ihr Bestes, um dieses gewichtige Buch bekannt zu machen und seinen Inhalt zu erläutern. In einem so feindseligen Zentrum wie Qazvín, das sich rühmte, in seinen Mauern nicht weniger als hundert der höchsten geistlichen Anführer zu beherbergen, festigte sie ihre jüngst errungenen Siege durch ihre Unerschrockenheit, ihre Geschicklichkeit, ihr Organisationstalent und ihre unermüdliche Begeisterung. Bei ihrer bemerkenswerten Unterredung mit dem berühmten Vaḥíd im Hause Bahá’u’lláhs, während sie das Kind ‘Abdu’l-Bahá auf dem Schoß hielt, unterbrach sie plötzlich seinen gelehrten Vortrag über die Zeichen der neuen Manifestation und drängte ihn nachdrücklich, er solle sich aufmachen und die Tiefe und Aufrichtigkeit seines Glaubens durch heldenhafte Taten und Selbstaufopferung beweisen. Auf dem Gipfel ihres Ruhmes und ihrer allgemeinen Beliebtheit in Ṭihrán drängte sich die Crème der weiblichen Gesellschaft an ihrer Tür, um ihren brillanten Worten über die einzigartigen Prinzipien ihres Glaubens zu lauschen. Im Haus des Maḥmúd Khán-i-Kalántar, wo sie gefangen gehalten wurde, konnte der Zauber ihrer Worte sogar die Hochzeitsgäste von den Festlichkeiten anlässlich der Vermählung seines Sohnes weglocken, sodass man sich schließlich um sie versammelte, um gierig jedes Wort von ihren Lippen einzusaugen. Nach sieben Unterredungen mit den Abgeordneten des Großwesirs, die während ihrer Haft in demselben Hause mit ihrer Vernehmung beauftragt waren, führte ihre leidenschaftliche und bedingungslose Bejahung des Anspruchs und der Wesensmerkmale der neuen Offenbarung schließlich zu ihrem Todesurteil. Ihrer Feder waren Oden entströmt, die unmissverständlich nicht nur ihren Glauben an die Offenbarung des Báb, sondern auch ihre Anerkennung der erhabenen, bisher noch nicht enthüllten Sendung Bahá’u’lláhs bezeugen. Nicht zuletzt war es ihrer Initiative zu verdanken, dass bei der Konferenz von Badasht, an der sie teilnahm, die herausforderndsten Konsequenzen der revolutionären, bisher erst im Ansatz verstandenen Sendung vor ihren Mitgläubigen enthüllt wurden und die neue Ordnung von nun an dauerhaft von den Gesetzen und Institutionen des Islám abgekoppelt war. Inmitten des Sturmes, der in der Hauptstadt tobte, sollten nun all diese wunderbaren Erfolge ihre Krönung und Vollendung in ihrem Märtyrertod finden.
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Eines Abends – ihr war bewusst, dass die Stunde ihres Todes gekommen war – zog sie ein Brautkleid an, salbte sich mit Parfüm, ließ die Frau des Kalántar kommen, eröffnete ihr das Geheimnis ihres nahen Märtyrertodes und vertraute ihr ihre letzten Wünsche an. Dann schloss sie sich in ihr Zimmer ein und harrte in Gebet und Andacht der Stunde ihrer Vereinigung mit dem Geliebten. Sie schritt im Zimmer auf und ab und sang dabei eine Weise, die zugleich Kummer und Triumph ausdrückte. Um Mitternacht kamen die Gerichtsdiener des ‘Azíz Khán-i-Sardár und brachten sie in den Ílkhání-Garten außerhalb der Stadt, der zur Stätte ihres Märtyrertodes werden sollte. Als sie dort ankam, saß der Sardár mit seinen Leuten bei einem Saufgelage und brüllte vor Lachen. Ohne Umschweife befahl er, sie sofort zu erdrosseln und in eine Grube zu werfen. Mit dem Seidenschal, den sie aus einer Eingebung heraus für diesen Zweck mitgenommen hatte und in ihren letzten Augenblicken dem Sohn des Kalántar, der sie begleitete, übergab, wurde die unvergessliche Heldin zu Tode gebracht. Ihren Leib versenkte man in einen Graben, der anschließend mit Erde und Steinen gefüllt wurde, wie sie es gewünscht hatte.
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So endete das Leben dieser großen Bábí-Heldin, der ersten Märtyrerin für Frauenrechte. In ihrer Todesstunde wandte sie sich dem zu, in dessen Gewahrsam sie gegeben war, und erklärte kühn: »Du kannst mich jederzeit töten, aber die Befreiung der Frauen kannst du nicht aufhalten.«Qurratu’l-‘Ayn, berichtet von: ‘Abdu’l-Bahá, in: Stanwood Cobb, The World-wide Influence of Qurratu’l-’Ayn, in: Star of the West, vol. 18, p. 44 – Anm. d. Hrsg.Q Ihre Laufbahn war so glanzvoll wie kurz, so tragisch wie ereignisreich. Im Gegensatz zu ihren Mitjüngern, deren Taten bei ihren ausländischen Zeitgenossen größtenteils unbekannt blieben und nicht erwähnt wurden, erscholl der Ruhm dieser unsterblichen Frau auch im Ausland und drang bemerkenswert schnell in die westeuropäischen Hauptstädte vor, wo sie bei Männern und Frauen der verschiedensten Nationen, Berufe und Kulturen überschwängliche Bewunderung erregte und glühendes Lob hervorrief. Kein Wunder, dass ‘Abdu’l-Bahá ihren Namen neben Sarah, Ásíyih, die Jungfrau Maria und Fáṭimih stellte, die in verschiedenen einander folgenden Sendungen aus den Reihen ihres Geschlechts durch besondere Verdienste und ihre jeweils einzigartige Stellung herausragten. »Ihre Eloquenz«, schrieb ‘Abdu’l-Bahá, »war der Schrecken ihres Zeitalters, und ihre Vernunft versetzte die Welt in Aufruhr.«‘Abdu’l-Bahá, Auf den Pfaden der Gottesliebe 47 – Anm. d. Hrsg.Q An anderer Stelle nennt Er sie »einen Feuerbrand der Gottesliebe« und »eine Lampe, aus der Gottes Güte leuchtet«‘Abdu’l-Bahá,..
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Ihre wundersame Lebensgeschichte verbreitete sich ebenso schnell und weit wie die des Báb, des Quells ihrer Inspiration. »Ein Wunder an Wissen aber auch an Schönheit«A. L. M. Nicolas, Seyyéd Ali Mohammed, dit le Bâb: histoire, S. 273, zitiert von Shoghi Effendi in: Nabíls Bericht 3:38, Fn3, Bd. 1, S. 118, Fn 90[die Übersetzung hier wurde vor dem Druck nicht mit jener in Nabils Bericht abgeglichen (›ein Wunder an Wissen, aber auch an Schönheit‹)] – Anm. d. Hrsg.Q, lautet der Tribut, den ihr ein bekannter Autor zollt, der über das Leben des Báb und Seiner Jünger schrieb. »Die persische Jungfrau von Orleans, der führende Kopf der Frauenbefreiung im Orient, … die an die mittelalterliche Héloise wie auch an die neuplatonische Hypatia erinnert«Jules Bois, The New Religions of America III: Babism and Bahaism, The Forum, vol. 74 (July 1925), p. 5, zitiert in: References to the Bahá’í Faith, Bahá’í World vol. 9, p. 588–589 – Anm. d. Hrsg.Q, so rühmte sie ein bekannter Dramatiker, den Sarah Bernhardt gebeten hatte, ein Stück über ihr Leben zu schreiben. »Das Heldentum der liebreizenden, doch vom Schicksal geschlagenen Dichterin von Qazvín, Zarrín-TájGoldene Krone.A«, bekundet Lord Curzon von Kedleston, »ist eine der ergreifendsten Episoden in der modernen Geschichte.«George N. Curzon, Persia and the Persian Question, vol. 1, p. 497, Note 2, zitiert von Shoghi Effendi in: Nabíls Bericht 26:41, Fn2, Bd. 3, S. 635, Fn 215 – Anm. d. Hrsg.Q »Das Auftreten einer solchen Frau wie Qurratu’l-‘Ayn«, schrieb der bekannte britische Orientalist Prof. E. G. Browne, »ist in jedem Land und zu allen Zeiten selten, aber für ein Land wie Persien ist es ungeheuerlich, nahezu ein Wunder, …. Hätte die Bábí-Religion keinen anderen Beweis für ihre Größe, so reichte es aus, … dass sie eine Heldin wie Qurratu’l-‘Ayn hervorgebracht hat.«Edward G. Browne, A Traveller’s Narrative written to illustrate the Espisode of the Báb, vol. 2, p. 309, Note Q, zitiert von Shoghi Effendi in: Nabíls Bericht 26:41, Fn2, Bd. 3, S. 635, Fn 215 – Anm. d. Hrsg.Q »Die von Qurratu’l-‘Ayn in den islámischen Ländern ausgestreute Saat«, schreibt der angesehene englische Geistliche Dr. T. K. Cheyne in einem seiner Bücher vielsagend, »beginnt aufzugehen. … Diese edle Frau … hat das Verdienst, das Werk der sozialen Reformen in Persien eröffnet zu haben.«T. K. Cheyne, The Reconcilliation of Races and Religions, p. 114–115, zitiert von Shoghi Effendi in: Nabíls Bericht 26:41, Fn2, Bd. 3, S. 636, Fn 215 – Anm. d. Hrsg.Q »Zweifellos … eine der auffallendsten und interessantesten Erscheinungen in dieser Religion«Arthur Comte de Gobineau, Les Religions et les Philosophies dans l’Asie Centrale, p. 136, zitiert von Shoghi Effendi in: Nabíls Bericht 26:41, Fn2, Bd. 3, S. 636, Fn 215 – Anm. d. Hrsg.Q, schreibt der bekannte französische Diplomat und renommierte Schriftsteller Graf Gobineau über sie und fügt hinzu: »In Qazvín wurde sie mit Recht für ein Wunder gehalten.«Arthur Comte de Gobineau, Les Religions et les Philosophies dans l’Asie Centrale, p. 137, zitiert von Shoghi Effendi in: Nabíls Bericht 26:41, Fn2, Bd. 3, S. 637, Fn 215 – Anm. d. Hrsg.Q »Viele Menschen«, schreibt er weiter, »die sie gekannt und zu verschiedenen Zeiten ihres Lebens gehört hatten, haben mir ausnahmslos versichert, dass … man sich, wenn sie sprach, bis in die Tiefen der eigenen Seele bewegt fühlte, sowie von Bewunderung erfüllt und zu Tränen gerührt war.«Arthur Comte de Gobineau, Les Religions et les Philosophies dans l’Asie Centrale, p. 150, zitiert von Shoghi Effendi in: Nabíls Bericht 26:41, Fn2, Bd. 3, S. 636, Fn 215 – Anm. d. Hrsg.Q »Keine Erinnerung«, schreibt Sir Valentine Chirol, »ruft tiefere Verehrung wach und entfacht mehr Begeisterung als die Erinnerung an sie, und der Einfluss, den sie zu Lebzeiten ausübte, stärkt noch heute ihr Geschlecht.«Valentin Chirol, The Middle Eastern Question, p. 124, zitiert von Shoghi Effendi in: Nabíls Bericht 26:41, Fn2, Bd. 3, S. 635, Fn 215 – Anm. d. Hrsg.Q »O Ṭáhirih«, ruft der große türkische Autor und Dichter Sulaymán Náẓim Bey in seinem Buch über die Bábí aus, »du bist tausend Náṣiri’d-Dín Sháhs wert!«Süleyman Nazif, Nasiruddin Shah ve Babiler, Istanbul 1923 – Anm. d. Hrsg.Q »Ṭáhirih war das höchste weibliche Vorbild«, lautet der Tribut, den ihr Frau Marianne Hainisch, die Mutter eines österreichischen Präsidenten, zollt. »… Ich will versuchen, für die Frauen Österreichs das zu tun, wofür Ṭáhirih ihr Leben gab, um es für die Frauen von Persien zu erreichen.«Marianne Hainisch, zitiert in: Martha L. Root, Ṭáhirih the Pure, Iran’s Greatest Woman, p. 112 – Anm. d. Hrsg.Q
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Zahlreich und mannigfach sind ihre glühenden Bewunderer auf allen fünf Kontinenten, die mehr über sie wissen wollen. Es gibt viele, deren Lebenswandel durch ihr begeisterndes Beispiel veredelt wurde, die ihre unvergleichlichen Oden auswendig lernten oder ihre Gedichte vertonten, vor deren geistigem Auge die Vision ihres unbezähmbaren Geistes leuchtet, in deren Herzen eine Liebe und Verehrung lebt, die die Zeit nicht mindern kann, und in deren Seele der Entschluss glüht, ebenso unerschrocken und mit derselben Treue den Pfad zu beschreiten, den sie für sich erwählt hatte und von dem sie vom Augenblick ihrer Bekehrung bis zur Todesstunde niemals abwich.
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Der wilde Verfolgungssturm, der Bahá’u’lláh in einen unterirdischen Kerker gefegt und das Licht Ṭáhirihs ausgelöscht hatte, besiegelte auch das Schicksal von Siyyid Ḥusayn-i-Yazdí, genannt ‘Azíz, dem berühmten Sekretär des Báb, der in Máh-Kú und in Chihríq Seine Gefangenschaft geteilt hatte – ein Mensch, reich an Erfahrung und hohen Verdiensten. Bestens bewandert in den Lehren seines Meisters, dessen uneingeschränktes Vertrauen er genossen hatte, wies er alle Angebote der maßgeblichen Behörden in Ṭihrán, sich zu retten, zurück und ersehnte unaufhörlich den Märtyrertod, der ihm an dem Tag, an dem der Báb auf dem Kasernenhof von Tabríz Sein Leben hingab, verwehrt war. Als Mitgefangener Bahá’u’lláhs im Síyáh-Chál von Ṭihrán empfing er von Ihm Erleuchtung und Trost, wenn er an die kostbaren Tage in der Gegenwart seines Herrn in Ádhirbáyján dachte. Schließlich wurde er durch denselben ‘Azíz Khán-i-Sardár, der Ṭáhirih zu Tode gebracht hatte, unter schändlich grausamen Umständen niedergestreckt.
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Ein weiteres Opfer der schrecklichen Folterungen durch einen unnachgiebigen Feind war der edelgesinnte, einflussreiche und mutige Ḥájí Sulaymán Khán. Er stand in so hohem Ansehen, dass der Amír Niẓám bei einer früheren Gelegenheit seine Verbindung zu dem Glauben, den er angenommen hatte, absichtlich ignorierte und sein Leben verschonte. Der Aufruhr, der als Folge des Attentats auf den Herrscher Ṭihrán erschütterte, brachte ihn jedoch ins Gefängnis und führte zu seinem Märtyrertod. Der Sháh, dem es nicht gelungen war, ihn durch den Ḥájibu’d-Dawlih zum Widerruf zu bewegen, befahl, dass er auf eine selbst gewählte Art getötet werden sollte. Auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin wurden ihm neun Löcher ins Fleisch geschnitten und in jedes eine brennende Kerze gesteckt. Als der Scharfrichter vor dieser grausamen Aufgabe zurückschreckte, versuchte er ihm das Messer aus der Hand zu reißen, um es sich selbst in den Leib zu bohren. Der Scharfrichter aber wehrte ihn ab aus Angst, er könnte ihn damit angreifen, und wies seine Leute an, dem Opfer die Hände auf dem Rücken zu fesseln, worauf der unerschrockene Dulder von ihnen verlangte, sie sollten ihm zwei Löcher in die Brust, zwei in die Schultern, eines in den Nacken und vier in den Rücken schneiden – ein Wunsch, den sie erfüllten. Pfeilgerade, leuchtenden Auges, mit stoischer Tapferkeit, völlig unberührt vom Gejohle der Menge und dem Anblick des Blutes, das aus seinen Wunden floss, führte er den ihn umdrängenden Mob zur Stätte seines Martyriums, voran ein Zug von Spielleuten und Trommlern. Alle paar Schritte hielt er auf dem Weg inne und sprach zu den fassungslosen Zuschauern Worte, mit denen er den Báb verherrlichte und die Bedeutung seines eigenen Todes pries. Während er die Kerzen in ihren blutigen Fassungen flackern sah, brach er in Rufe unbändigen Entzückens aus. Immer wenn eine von seinem Leib abfiel, hob er sie auf, entzündete sie an einer anderen und steckte sie mit eigener Hand wieder an ihre Stelle. »Warum tanzt du nicht«, höhnte der Scharfrichter, »wenn du den Tod so vergnüglich findest?«Berichtet von E. G. Browne, in: A Traveller’s Narrative, Anm. T, p. 333, zitiert von Shoghi Effendi in: Nabíls Bericht 26:31 Fn, Bd. 3, S. 627 Fn 205 – Anm. d. Hrsg. »Tanzen?«, rief der Dulder. »In einer Hand den Weinkelch, in der andern die Locken des Freundes. Solcher Tanz auf dem Marktplatz ist mein sehnlichster Wunsch!«Sulaymán Khán, berichtet von E. G. Browne, in: A Traveller’s Narrative, Anm. T, p. 333f, zitiert von Shoghi Effendi in: Nabíls Bericht 26:31 Fn, Bd. 3, S. 627, Fn 205 – Anm. d. Hrsg.Q Er war noch im Bázár, als ein Windhauch die Kerzenflammen, die schon tief in seinem Fleisch brannten, aufflackern ließ. Da rief er die Flammen an, die sich in seine Wunden fraßen: »Ihr Flammen habt euren Stachel längst verloren und die Kraft, mich zu quälen, ist euch genommen. Macht schnell, denn von euren Feuerzungen vernehme ich die Stimme, die mich zu meinem Geliebten ruft.«Sulaymán Khán, berichtet in: Muḥammad-i-Zarandí, Nabíls Bericht 26:30, Bd. 3, S. 626–627 – Anm. d. Hrsg.Q Lichtumflutet schritt er dahin wie ein Eroberer zum Ort seines Sieges. Am Fuß des Galgens erhob er noch einmal die Stimme zum letzten Appell an die Zuschauermenge. Danach warf er sich nieder in Richtung des Schreins des Imám-Zádih Ḥasan und murmelte einige arabische Worte. Dann rief er dem Henker zu: »Mein Werk ist nun vollbracht! Komm und tu das Deine.«Sulaymán Khán, berichtet in: Muḥammad-i-Zarandí, Nabíls Bericht 26:31, Bd. 3, S. 627 – Anm. d. Hrsg.Q Noch halb lebendig wurde sein Körper in zwei Hälften zersägt, während seine sterbenden Lippen noch den Lobpreis seines Geliebten stammelten. Die versengten und blutigen Überreste seines Leichnams wurden, wie er es verlangt hatte, zu beiden Seiten des Naw-Tores aufgehängt als stumme Zeugen der unauslöschlichen Liebe, die der Báb in den Herzen Seiner Jünger entfacht hatte.
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Der wütende Brand, der in Folge der versuchten Ermordung des Herrschers ausbrach, konnte nicht auf die Hauptstadt beschränkt bleiben. Er sprang auf die Nachbarprovinzen über, wütete in Mázindarán, der Heimatprovinz Bahá’u’lláhs, und brachte es mit sich, dass Sein Besitz beschlagnahmt, geplündert und zerstört wurde. In Tákur, einem Dorf im Bezirk Núr, wurde Sein vom Vater geerbtes, kostbar eingerichtetes Haus auf Befehl von Mírzá Abú-Ṭálib Khán, dem Neffen des Großwesirs, völlig ausgeplündert und was nicht weggeschafft werden konnte, wurde zerstört. Die Räume – stattlicher als die Paläste von Ṭihrán – wurden irreparabel verwüstet. Sogar die Häuser des einfachen Volkes wurden dem Erdboden gleichgemacht und das ganze Dorf wurde anschließend in Brand gesteckt.
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Der Aufruhr, der Ṭihrán ergriffen und den Anstoß zu Gewaltausbrüchen und Raubzügen in Mázindarán gegeben hatte, griff weit bis nach Yazd, Nayríz und Shíráz über, erschütterte auch die entferntesten Dörfer und entfachte von neuem das Feuer der Verfolgungen. Wieder wetteiferten gierige Gouverneure und perfide Untergebene im Ausplündern unschuldiger Menschen, im Abschlachten Schuldloser, im Schänden der Edelsten ihres Geschlechts. Ein Blutbad wurde angerichtet, das alle Gräuel von Nayríz und Zanján wiederholte. »Meine Feder sträubt sich vor Entsetzen«, schreibt der Chronist der blutigen Ereignisse, die mit Geburt und Aufstieg unseres Glaubens verknüpft sind, »beim Versuch, zu beschreiben, was alles über diese tapferen Männer und Frauen kam, …. Was ich über die Gräuel der Belagerung von Zanján zu berichten versucht habe, … verblasst vor der himmelschreienden Grausamkeit der Gräueltaten, die wenige Jahre später in Nayríz und Shíráz verübt wurden.«Muḥammad-i-Zarandí, Nabíls Bericht 26:73, Bd. 3, S. 649 – Anm. d. Hrsg. Die Köpfe von zweihundert Opfern dieser Ausbrüche wilden Fanatismus wurden auf Bajonette gespießt und im Triumphzug von Shíráz nach Ábádih getragen. Vierzig Frauen und Kinder wurden zu Asche verbrannt, indem man sie in eine Höhle sperrte, in der ein große Menge mit Petroleum getränktes Holz aufgeschichtet und angezündet wurde. Dreihundert Frauen wurden gezwungen, paarweise auf ungesattelten Pferden den langen Weg nach Shíráz zu reiten. Halb nackt führte man sie durch die Reihen der Köpfe, die man den Leichen ihrer Gatten, Söhne, Väter und Brüder abgeschlagen hatte. Unsägliche Kränkungen wurden Ihnen zugefügt und viele kamen unter den erlittenen Qualen um.
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Damit schließt ein Kapitel, das für immer vom blutigsten, tragischsten, heroischsten Zeitabschnitt des ersten Bahá’í-Jahrhunderts berichtet. Das Blut, das während dieser ereignisreichen, unheilvollen Jahre in Strömen vergossen wurde, kann als fruchtbare Saat jener Weltordnung betrachtet werden, die von einer rasch nachfolgenden und noch größeren Offenbarung verkündet und errichtet werden sollte. Die Würdigung dieses edlen Heeres von Helden, Heiligen und Märtyrern der Frühzeit durch Freund und Feind, von Bahá’u’lláh bis zum unbeteiligten Beobachter in fernen Ländern, von der Geburtsstunde bis heute, legt ein unvergängliches Zeugnis ab von der Herrlichkeit der Taten, die diesen Zeitabschnitt unvergesslich machen.
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»Alle Welt«, lautet Bahá’u’lláhs beispielloses Zeugnis im Kitáb-i-Íqán, »staunte über die Art, wie sie sich opferten. … Der Geist ist bestürzt über das, was sie vollbrachten, die Seele ergriffen von ihrer Tapferkeit und dem Schmerz, den sie ertrugen. … War je ein Zeitalter Zeuge eines Geschehens von so großer Tragweite?«Bahá’u’lláh, Kitáb-i-Íqán 249, 250, 251 – Anm. d. Hrsg.Q Und wiederum: »Hat die Welt seit Adams Tagen je solchen Aufruhr, solch heftige Erregung gesehen? … Mich dünkt, Geduld ward nur durch ihre Seelenstärke offenbart, Glaubenstreue nur durch ihre Taten bezeugt.«Bahá’u’lláh, Kitáb-i-Íqán 264 – Anm. d. Hrsg.Q »Durch das Blut, das sie vergossen«, bekräftigt Er in einem Gebet, in dem Er explizit von den Märtyrern des Glaubens spricht, »wurde die Erde mit den wundersamen Offenbarungen Deiner Macht und den perlengleichen Zeichen Deiner ruhmreichen Souveränität getränkt. Bald, wenn die festgesetzte Zeit gekommen ist, wird sie ihre Botschaft kundtun.«Bahá’u’lláh,.
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Wem sonst, wenn nicht den Helden Gottes, die mit ihrem Blut den verheißenen Tag ankündigten, könnten die bedeutsamen Worte Muḥammads, des Gesandten Gottes, gelten, die Quddús zitierte, als er zu seinen Gefährten in der Festung Shaykh Ṭabarsí sprach: »O, wie sehne ich mich danach, das Angesicht meiner Brüder zu sehen, die am Ende der Welt auftreten werden! Gesegnet sind wir und gesegnet sind sie; ihr Segen aber ist größer denn unserer.«Muḥammad, Ḥadíth zitiert von Quddús in: Muḥammad-i-Zarandí, Nabíls Bericht 20:19, Bd. 2, S. 419 – Anm. d. Hrsg.Q Wen sonst könnte die im Káfí überlieferte und von Bahá’u’lláh im Kitáb-i-Íqán bestätigte Tradition namens Ḥadíth-i-Jábir gemeint haben, die in eindeutigen Worten die Zeichen beim Erscheinen des verheißenen Qá’im darlegt: »Seine Auserwählten werden an Seinem Tage erniedrigt werden. Ihre Häupter werden als Geschenke dargeboten werden wie die Häupter der Türken und der Dailamiten. Sie werden erschlagen und verbrannt werden. Furcht wird sie ergreifen, Verwirrung und Bestürzung werden Schrecken in ihre Herzen jagen. Die Erde wird mit ihrem Blut gerötet werden. Ihre Frauen werden jammern und wehklagen. Wahrlich, dies sind meine Freunde!«Ḥadíth, aufgezeichnet in: Káfí, von Shoghi Effendi unterschiedlich übersetzt in: Bahá’u’lláh, Kitáb-i-Íqán 273 – Anm. d. Hrsg.Q
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»Erzählungen von großartigem Heldentum«, lautet das literarische Zeugnis von Lord Curzon von Kedleston, »erleuchten die blutigen Seiten der Bábí-Geschichte. … der Mut, den die Brände von Smithfield entfachten, war nicht edler als der, der den noch raffinierteren Folterknechten von Ṭihrán widerstand. Umso höher sind darum die Lehren des Glaubens zu bewerten, der in seinen Anhängern einen so seltenen und schönen Opfergeist zu erwecken vermag. Das Heldentum und das Martyrium Seinerdes Báb.A Anhänger werden bei vielen Anklang finden, die dergleichen in zeitgenössischen Berichten des Islám nicht finden können.«George N. Curzon, Persia and the Persian Question, vol. 1, S. 501, zitiert von Shoghi Effendi in: Nabíls Bericht 26:32 Fn, Bd. 3, S. 628, Fn 206 – Anm. d. Hrsg.Q »Der Bábismus«, schrieb Prof. J. Darmesteter, »der sich in weniger als fünf Jahren von einem Ende Persiens bis zum anderen ausbreitete, der 1852 mit dem Blut seiner Märtyrer getränkt wurde, hat sich unauffällig weiter entwickelt und verbreitet. Falls Persien sich überhaupt regeneriert, dann durch diesen neuen Glauben.«Prof J. Darmsteter, zitiert von Shoghi Effendi in: Nabíls Bericht ep:11 Fn1, Bd. 3, S. 662, Fn 226 – Anm. d. Hrsg.Q »Tausende von Märtyrern«, schreibt Renan in seinem Buch Les Apôtres, »sind für Ihnden Báb.A mit Begeisterung in den Tod gegangen. Ein Tag, der wohl in der Weltgeschichte nicht seinesgleichen hat, war der des großen Blutbades, das unter den Bábí in Ṭihrán angerichtet wurde.«Ernest Renan, Origins of Christianity, Vol. II, The Apostles, Kap. 19 [Seitenzahl?] – Anm. d. Hrsg.Q Der bekannte Orientalist Prof. E. G. Browne spricht von einem »dieser seltsamen Ausbrüche von Begeisterung, Glauben, glühender Verehrung, unbezähmbaren Heldentums«, von der »Geburt einer Religion, die sich durchaus unter die großen Weltreligionen einreihen kann«E.G. Browne, A Traveller’s Narrative written to illustrate the Episode of the Báb, vol. 2, Introduction, p. viii, zitiert von Shoghi Effendi in: Nabíls Bericht ep:11 Fn3, Bd. 3, S. 666, Fn 228 – Anm. d. Hrsg.Q. Und an anderer Stelle: »Der Geist, von dem die Bábí durchdrungen sind, wird unweigerlich jeden, der in seinen Bann gerät, machtvoll ergreifen. … Wer es nicht erlebt hat, mag es nicht glauben, aber sollte sich dieser Geist ihm einmal offenbaren, wird er eine Ergriffenheit erfahren, die er wahrscheinlich nie vergessen wird.«E.G. Browne, A Traveller’s Narrative written to illustrate the Episode of the Báb, vol. 2, Introduction, p. xxxix, zitiert von Shoghi Effendi in: Nabíls Bericht ep:11 Fn3, Bd. 3, S. 667, Fn 228 – Anm. d. Hrsg.Q Comte de Gobineau versichert in seinem Buch: »Ich muss sagen, wenn ich in Europa eine solche Religion aufkommen sähe wie den Bábismus, mit den Vorzügen, die er besitzt, dem blinden Glauben, der grenzenlosen Begeisterung, dem leidgeprüften Opfermut, der den Gleichgültigen Achtung abnötigt und seine Widersacher erschreckt, und der darüber hinaus, wie gesagt, durch seine stetige Überzeugungskraft immer neue Anhänger in allen Gesellschaftsschichten gewinnt – wenn ich dies in Europa sähe, ich zögerte nicht vorauszusagen, dass in absehbarer Zeit alle Macht und Herrschaft zwangsläufig dieser derart überlegenen Gruppe zufallen werde.«Arthur Comte de Gobineau, Les Religions et les Philosophies dans l’Asie Centrale, pp. 293, zitiert von Shoghi Effendi in: Nabíls Bericht ep:11 Fn3, Bd. 3, S. 666, Fn 228 – Anm. d. Hrsg.Q
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‘Abbás-Qulí Khán-i-Láríjání, der die tödliche Kugel auf Mullá Ḥusayn abgefeuert hat, soll auf eine Frage des Prinzen Aḥmad Mírzá vor mehreren Zeugen geantwortet haben: »Die Wahrheit ist doch: wer Karbilá nicht gesehen hat, der würde – wenn er Ṭabarsí gesehen hätte – nicht nur begreifen, was damals geschah, sondern er würde ihm nicht länger Beachtung schenken. Und hätte er Mullá Ḥusayn von Bushrúyih gesehen, wäre er überzeugt, dass der Höchste MärtyrerImám Ḥusayn.A auf die Erde zurückgekehrt sei. Und wäre er Zeuge meiner Taten geworden, so hätte er sicher gesagt: ›Das ist Shimr, der mit Schwert und Lanze wiedergekommen ist.‹ … Ich weiß wirklich nicht, was man diesen Leuten gezeigt hat, oder was sie gesehen haben, dass sie sich aufmachten, mit so viel Eifer und Freude zu kämpfen, …. Menschliche Vorstellungskraft kann das Ungestüm ihres beherzten Mutes nicht begreifen.«‘Abbás-Qulí Khán-i-Láríjání, berichtet in: Táríkh-i-Jadíd, zitiert von Shoghi Effendi in: Nabíls Bericht 20:54, Fn2, Bd. 2, S. 439–440, Fn 44 – Anm. d. Hrsg.Q
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Abschließend können wir uns fragen, welches Schicksal wohl die schändliche Bande ereilte, die, von Bosheit, Gier oder Fanatismus getrieben, das Licht auszulöschen suchte, das der Báb und Seine Anhänger über ihr Land und sein Volk verbreitet hatten? Die Rute des göttlichen Strafgerichts traf sie rasch und mit unnachgiebiger Strenge und verschonte keinen von ihnen, weder den Obersten des Reiches, noch seine Minister und Räte oder die geistlichen Würdenträger der Religion, mit der seine Regierung untrennbar verbunden war, auch nicht die Gouverneure, die als seine Stellvertreter tätig waren, oder die Anführer seiner bewaffneten Streitmacht, die mehr oder weniger freiwillig, aus Angst oder aus Gleichgültigkeit zu den schlimmen Prüfungen beitrugen, denen der junge Glaube so unverdient unterworfen wurde. Muḥammad Sháh, ein zugleich fanatischer und unentschlossener Herrscher, der es abgelehnt hatte, auf den Ruf des Báb zu hören, Ihn in der Hauptstadt zu empfangen und Ihm Gelegenheit zu geben, die Wahrheit Seiner Sache darzulegen, und der schließlich dem Drängen seines böswilligen Ministers nachgegeben hatte, erlebte mit vierzig Jahren, wie ihn sein bisheriges Glück plötzlich verließ und er den Komplikationen einer schweren Krankheit erlag, die ihn zu dem »Höllenfeuer« verdammte, das ihn, wie der Autor des Qayyúmu’l-Asmá’ geschworen hatte, »am Tag der Auferstehung«Báb, Qayyúmu’l-Asmá’, Kap. 1, in: Eine Auswahl aus Seinen Schriften 2:2:1 – Anm. d. Hrsg.Q unweigerlich verschlingen werde. Sein teuflischer Geist, der allmächtige Ḥájí Mírzá Áqásí, die Macht hinter dem Thron und Hauptverantwortlicher der gegen den Báb gerichteten Schandtaten einschließlich Seiner Gefangenschaft im Bergland von Ádhirbáyján, wurde kaum eineinhalb Jahre, nachdem er sich zwischen den Sháh und seinen Gefangenen gedrängt hatte, seiner Macht und seines zu Unrecht erworbenen Reichtums beraubt. Er fiel bei seinem Herrscher in Ungnade, war gezwungen, vor dem wachsenden Zorn seiner Landsleute im Schrein von Sháh ‘Abdu’l-‘Aẓím Schutz zu suchen, wurde später mit Schimpf und Schande nach Karbilá ausgewiesen und fiel Krankheit, Armut und nagender Sorge anheim – eine erbärmliche Bestätigung des mahnenden Schreibens, in dem ihm sein hoher Gefangener einst sein Schicksal vorausgesagt und seine Schändlichkeit angeprangert hatte. Was den niederträchtigen Emporkömmling, den Amír Niẓám Mírzá Taqí Khán betrifft, der das erste Jahr seiner kurzen Amtszeit mit dem wilden Ansturm gegen die Verteidiger der Festung Ṭabarsí befleckte, der die Hinrichtung der sieben Märtyrer von Ṭihrán bewilligte und unterstützte, der den Sturmangriff auf Vaḥíd und seine Gefährten auslöste, der für das Todesurteil des Báb unmittelbar verantwortlich war und der den großen Aufstand von Zanján heraufbeschwor: Er verlor durch die unerbittliche Missgunst seines Herrschers und durch rachsüchtige Hofintrigen alle Ehren, deren er sich erfreut hatte, und wurde auf königlichen Befehl heimtückisch umgebracht, indem ihm im Bad des Palastes von Fín bei shán die Pulsadern aufgeschnitten wurden. Wie Nabíl berichtet, soll Bahá’u’lláh gesagt haben: »Hätte der Amír Niẓám um Meine wahre Stellung gewusst, er hätte bestimmt Hand an Mich gelegt. Er gab sich die größte Mühe, Meine tatsächliche Stellung herauszufinden, doch ohne Erfolg. Gott wollte, dass er darüber in Unkenntnis blieb.«Bahá’u’lláh, berichtet in: Muḥammad-i-Zarandí.Q Mírzá Áqá Khán, der so eine aktive Rolle spielte bei den ungezügelten Grausamkeiten, die nach dem Anschlag auf das Leben des Herrschers verübt wurden, wurde aus dem Amt gejagt und in Yazd unter strengen Hausarrest gestellt; dort verbrachte er den Rest seines Lebens in Schande und Verzweiflung.
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Ḥusayn Khán, der Gouverneur von Shíráz, verrufen als »Weinsäufer« und »Tyrann«, der sich als erster erdreistete, den Báb übel zu drangsalieren, der Ihn öffentlich rüffelte und seinem Diener befahl, Ihn brutal ins Gesicht zu schlagen, musste nicht nur das fürchterliche Elend aushalten, das so plötzlich über ihn, seine Familie, seine Stadt und seine Provinz kam, er musste danach auch erleben, wie alle seine Werke zunichte gemacht wurden, und verbrachte die restlichen Tage seines Lebens im Verborgenen, bis er, von Freund und Feind verlassen, zu seinem Grab torkelte. Ḥájibu’d-Dawlih, dieser blutrünstige Feind, der viele unschuldige, wehrlose Bábí so unermüdlich zu Tode gehetzt hatte, fiel nun selbst der Wut der aufgebrachten Luren zum Opfer: Sie plünderten seinen Besitz, schnitten ihm den Bart ab und zwangen ihn, ihn aufzuessen; dann legten sie ihm Zaumzeug an, sattelten ihn und ritten auf ihm vor den Augen der Leute; danach musste er mit eigenen Augen ansehen, wie sie sich an seinen Frauen und Kindern schamlos und grausam vergingen. Der Sa‘ídu’l-‘Ulamá, der fanatische, grausame und unverschämte Mujtahid von Bárfurúsh, dessen unstillbare Feindschaft so viel Schmach über die Helden von Ṭabarsí gebracht und ihnen so viel Leid zugefügt hatte, fiel bald nach den Gräueltaten, die er begangen hatte, einer seltsamen Krankheit zum Opfer, die mit unstillbarem Durst und eisigen Kälteschauern einherging, gegen die ihm auch die Pelze, in die er sich hüllte, und das Feuer, das ständig in seinem Zimmer brannte, nicht halfen. Der Anblick seines zerstörten, einst luxuriösen Hauses, das nach seinem Tod so herunterkam, dass es schließlich zur Müllkippe für die Stadtbewohner wurde, machte auf die Einwohner von Mázindarán einen so nachhaltigen Eindruck, dass sie in ihren Streitigkeiten oft einander dasselbe Schicksal für ihre Heim an den Hals wünschten, das über dieses verfluchte Haus gekommen war. Der falsche, ehrgeizige Maḥmúd Khán-i-Kalántar, in dessen Gewahrsam Ṭáhirih vor ihrem Märtyrertod gegeben worden war, zog sich neun Jahre später die Ungnade seines königlichen Herrn zu, wurde an Stricken, die um seine Füße gebunden waren, durch die Bázáre geschleift bis zu einem Platz außerhalb der Stadttore, wo er am Galgen aufgehängt wurde. Mírzá Ḥasan Khán, der auf Anordnung seines Bruders, des Amír Niẓám, die Hinrichtung am Báb vollzogen hatte, wurde zwei Jahren nach seiner unverzeihlichen Tat einer schrecklichen Strafe ausgesetzt, die zu seinem Tod führte. Der Shaykhu’l-Islám von Tabríz, der unverschämt habgierige und tyrannische Mírzá ‘Alí-Aṣghar, der, als die Leibwache des Gouverneurs der Stadt sich weigerte, am Báb die Bastonade zu vollstrecken, mit eigener Hand seinem hohen Gefangenen elf Stockschläge auf die Füße verabreichte, wurde noch im selben Jahr von einer Lähmung heimgesucht und starb nach dieser höchst qualvollen Tortur eines elenden Todes und bald nach seinem Tod wurde in dieser Stadt das Amt des Shaykhu’l-Islám abgeschafft. Der stolze und hinterhältige Mírzá Abú-Ṭálib Khán, der die Ratschläge des Großwesirs Mírzá Áqá Khán zum Maßhalten in den Wind schlug und anordnete, das Dorf Tákur zu plündern, in Brand zu stecken und das Haus Bahá’u’lláhs zu zerstören, wurde ein Jahr später von einer Seuche befallen und kam elend um, gemieden selbst von seinen nächsten Verwandten. Der Shujá‘u’l-Mulk Mihr-‘Alí Khán, der nach dem Attentat auf den Sháh die letzten Reste der Bábí-Gemeinde in Nayríz so rigoros verfolgt hatte, erkrankte und wurde, wie sein Enkel berichtet, mit Stummheit geschlagen, von der er sich bis zur Todesstunde nicht mehr erholte. Sein Komplize Mírzá Na‘ím fiel in Ungnade, wurde zweimal hart bestraft, später seines Amtes enthoben und ausgesuchten Foltern unterworfen. Das Regiment, das, ungeachtet des Wunders, durch das gewarnt Sám Khán und seine Männer von jedem weiteren Versuch absahen, den Báb zu töten, freiwillig antrat und den Leib des Báb mit Kugeln zerfetzte, verlor noch im selben Jahr bei einem schlimmen Erdbeben zwischen Ardibíl und Tabríz nicht weniger als zweihundertfünfzig Mann samt seinen Offizieren; zwei Jahre später wurden die übrigen fünfhundert in Tabríz wegen Meuterei gnadenlos erschossen und die Menschen erinnerten sich beim Anblick ihrer zur Schau gestellten verstümmelten Leichen an deren grausame Tat von damals und brachten allenthalben ihre Missbilligung und Verwunderung so offen zum Ausdruck, dass sich die führenden Mujtahids veranlasst sahen, zu Strafmaßnahmen zu greifen und sie zum Schweigen zu bringen. Der Chef des Regiments, Áqá Ján Bey, kam sechs Jahre nach dem Märtyrertod des Báb beim Beschuss von Muḥammarih durch die britische Marine ums Leben.
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Das Gottesgericht, das so streng und schonungslos alle heimsuchte, die maßgeblichen oder aktiven Anteil an den Verbrechen gegen den Báb und Seine Anhänger hatten, traf nicht weniger hart das ganze Volk – ein Volk, fanatischer als die Juden zur Zeit Jesu, bekannt für krassen Unverstand, unerbittlichen Fanatismus, vorsätzliche Perversität und bestialische Grausamkeit, käuflich, habgierig, egoistisch und feige. Ich kann nichts Besseres tun, als hier anzuführen, was der Báb selbst in den letzten Tagen Seines Amtes im Dalá’il-i-Sab‘ihDie sieben Beweise.A schrieb: »Erinnere dich der ersten Tage der Offenbarung. Wie groß war die Zahl derer, die an Cholera starben! Dies war wahrlich ein Zeichen der Offenbarung und doch hat es niemand erkannt! Vier Jahre lang wütete diese Geißel unter den shí‘itischen Muslimen, ohne dass einer ihre Bedeutung begriffen hätte!«Báb, Dalá’il-i-Sab‘ih, zitiert von Shoghi Effendi in: Nabíls Bericht 9:52 Fn2, Bd. 1, S. 229, Fn 172 – Anm. d. Hrsg.Q Nabíl schreibt in seinem unsterblichen Bericht: »Was die große Masse des Volkesin Persien.A betrifft, das mit dumpfer Gleichgültigkeit auf das tragische Geschehen blickte, das sich vor ihren Augen abspielte, und keinen Finger gegen die scheußlichen Gräueltaten rührte, so wurde es von einem Elend heimgesucht, das mit allen Hilfsmitteln des Landes und aller Energie seiner Staatsmänner nicht zu lindern war. … Von dem Tag an, da sich die Hand des Angreifers gegen den Báb erhob, … zermürbte eine Heimsuchung nach der anderen den Geist dieses undankbaren Volkes und brachte es an den Rand des landesweiten Zusammenbruchs. Seuchen, die – abgesehen von flüchtigen Erwähnungen in verstaubten, wenig gelesenen Büchern – bislang kaum dem Namen nach bekannt waren, brachen mit solcher Heftigkeit aus, dass ihnen niemand entfliehen konnte. Diese Geißel brachte Verwüstung, wohin sie sich auch ausbreitete. Prinz und Bauer spürten ihren Hieb und beugten sich unter ihr Joch. Sie hielt das Volk in ihrem Griff und ließ nicht nach in ihrer Gewalt. Wie das bösartige Fieber, das die Provinz Gílán entvölkerte, so verzehrten diese plötzlichen Krankheiten fortwährend das Land. So schwer das Unheil auch war, der Rachezorn Gottes machte nicht halt beim Unglück des entarteten, treulosen Volkes. Jedes Lebewesen, das in dem geschlagenen Land atmete, bekam ihn zu fühlen. Er kam auch über Pflanzen und Tiere und ließ die Menschen das ganze Ausmaß ihrer Not verspüren. Eine Hungersnot mit all ihren Schrecken mehrte noch die gewaltige Last der Leiden, unter denen das Volk stöhnte. Das dürre Schreckgespenst des Hungertodes ging um, und die Aussicht auf einen langsamen, qualvollen Tod verfolgte sie in ihren Vorstellungen. … Volk und Regierung lechzten gleicherweise nach Erlösung, die sie niergendwoher erhielten. Sie leerten den Leidenskelch bis zur Neige und sahen nicht die Hand, die ihn reichte, und nicht Den, um Dessentwillen sie nun zu leiden hatten.«Muḥammad-i-Zarandí, Nabíls Bericht 23:33, Bd. 3, S. 539–540 – Anm. d. Hrsg.Q
ZWEITER ZEITABSCHNITTDie Zeit Bahá’u’lláhs: 1853–1892Kapitel 6Die Geburt der Bahá’í-Offenbarung
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Wie nach dem unheilvollen Attentat auf Náṣiri’d-Dín Sháh schon abzusehen war, kennzeichneten die nun Schlag auf Schlag einsetzenden schrecklichen Ereignisse das Ende der Bábí-Sendung und den Abschluss des ersten, dunkelsten und blutigsten Kapitels in der Geschichte des ersten Bahá’í-Jahrhunderts. Durch diese Ereignisse wurde eine Zeit unermesslicher Leiden eingeleitet, in deren Verlauf die Geschicke des durch den Báb verkündeten Glaubens ihren Tiefpunkt erreichten. Tatsächlich hatten schon von Anfang an Prüfungen und Quälereien, Rückschläge und Enttäuschungen, Verleumdung, Verrat und Massenmord die Gläubigen zunehmend dezimiert und die Loyalität seiner standhaftesten Verfechter hart auf die Probe gestellt, ja beinahe die Grundlagen zerstört, auf denen er ruhte.
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