Shoghi Effendi | Die Weltordnung Bahá’u’lláhs
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Während man von dieser Gemeindeordnung nicht sagen kann, dass sie irgendeinem der anerkannten Herrschaftssysteme nachgebildet sei, verkörpert, versöhnt und vereint sie doch in sich solche gesunden Bestandteile, wie wir sie in jedem einzelnen von ihnen finden können. Die erbliche Amtsgewalt, die der Hüter auszuüben berufen ist, die dem Universalen Haus der Gerechtigkeit obliegenden lebenswichtigen, wesentlichen Funktionen, die besonderen, seine demokratische Wahl durch die Vertreter der Gläubigen verlangenden Anordnungen, das alles verbindet sich miteinander, um die Wahrheit darzutun: dass diese göttlich offenbarte Ordnung, die mit keiner der von Aristoteles in seinen Werken beschriebenen Herrschaftsformen übereinstimmt, in ihren geistigen Grundwahrheiten die in jeder einzelnen von ihnen zu findenden wohltätigen Bestandteile verkörpert und verschmelzt. Da in ihr die anerkanntermaßen jedem der genannten Systeme innewohnenden Übel streng und dauerhaft ausgeschlossen sind, kann diese einzigartige Ordnung, wie lange sie auch währen und wie weit sie sich auch verzweigen mag, doch niemals zu irgendeiner Form von Despotismus, Oligarchie oder Demagogie entarten, die früher oder später das Laufwerk aller menschengeschaffenen und im Wesen mängelbehafteten politischen Einrichtungen verderben müssen.
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Geliebte Freunde! Wie bedeutsam der Ursprung dieses mächtigen Verwaltungsbaues, wie einzigartig seine Merkmale auch sind, erscheinen doch die Ereignisse, von denen man sagen kann, dass sie sein Entstehen angekündigt und den ersten Abschnitt seiner Entwicklung ausgezeichnet haben, nicht weniger bemerkenswert. Wie auffallend, wie lehrreich ist der Gegensatz zwischen dem Vorgang allmählicher und stetiger Befestigung, der das Wachstum seiner jungen Kraft bezeichnet, und dem verheerenden Ansturm der auflösenden Mächte, die die veralteten religiösen und weltlichen Einrichtungen der heutigen Gesellschaft überrennen!
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Die Lebenskraft, die die organischen Institutionen dieser großen, sich ständig ausbreitenden Ordnung in so hohem Maße zeigen, die Hindernisse, die bereits durch den hohen Mut und die kühne Entschlossenheit ihrer Sachwalter überwunden sind, das Feuer einer mit unverminderter Glut in den Herzen ihrer Reiselehrer flammenden unauslöschlichen Begeisterung, die Höhen der Selbstaufopferung, die ihre Vorkämpfer erklimmen, die Weite des Blicks, die zuversichtliche Hoffnung, die schöpferische Freude, der innere Friede, die unbestechliche Lauterkeit, die vorbildliche Selbstzucht, die unauflösliche Einheit und Solidarität, die ihre mutigen Verfechter an den Tag legen, der Grad, in dem ihr beweglicher Geist sich fähig erwiesen hat, die immer vielfältigeren Elemente in ihren Reihen einander anzugleichen, sie von jeglicher Art von Vorurteil zu reinigen und mit ihrer eigenen Struktur zu verschmelzen, dies sind Beweise einer Macht, die zu übergehen sich eine enttäuschte, bejammernswert erschütterte Gesellschaft schwerlich leisten kann.
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Man vergleiche die diesen lebendigen Körper des Glaubens Bahá’u’lláhs beseelenden strahlenden Offenbarungen des Geistes mit den Todesschreien und Todesnöten, den Torheiten und Nichtigkeiten, der Bitternis und den Vorurteilen, der Verderbnis und Gespaltenheit einer siechen, verworrenen Welt! Man erkenne die Angst, die ihre Führer peinigt und ihren blinden, verwirrten Staatsmännern die Tatkraft lähmt! Wie wild ist der Hass, wie falsch der Ehrgeiz, wie kleinlich das Trachten, wie tiefgewurzelt das Misstrauen der Völker, wie beunruhigend die Gesetzlosigkeit, die Bestechlichkeit, der Unglaube, die sich ins Lebensmark einer wankenden Zivilisation hineinfressen!
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Muss nicht dieser Vorgang ständig fortschreitender Verschlimmerung, der so viele Bereiche menschlichen Tuns und Denkens tückisch anfällt, als notwendige Gegenbewegung zu diesem Vorgang des Anhebens des allmächtigen Arms Bahá’u’lláhs betrachtet werden? Müssen wir nicht in den folgenschweren Geschehnissen, die im Laufe der letzten zwanzig Jahre jeden Teil der Erde so tief erschüttert haben, vorbedeutungsvolle Zeichen sehen, die zugleich die Todesqualen einer in Auflösung begriffenen Zivilisation und die Geburtswehen jener Weltordnung, jener Arche menschlichen Heils, verkünden, die sich notwendigerweise auf ihren Trümmern erheben muss?
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Der katastrophale Sturz mächtiger König- und Kaiserreiche auf dem europäischen Erdteil, auf den in einigen Fällen Bahá’u’lláhs Prophezeiungen hindeuten, der Niedergang in den Geschicken der shí‘itischen Geistlichkeit Seines Geburtslandes, der eingesetzt hat und noch fortwährt, der Sturz der Qájáren-Dynastie, des Erbfeindes Seines Glaubens, der Untergang des Sultanates und des Kalifates, jener tragenden Säulen des sunnítischen Islám, zu dem die Zerstörung Jerusalems am Ende des ersten Jahrhunderts christlicher Zeit eine auffallende Parallele bietet, die Woge der Verweltlichung, die die muslimischen Einrichtungen in Ägypten überflutet und daran ist, die Treue ihrer zuverlässigsten Anhänger zu untergraben, die demütigenden Schläge, die einige der mächtigsten Kirchen des Christentums in Russland, Westeuropa und Mittelamerika getroffen haben, die Verbreitung jener umstürzlerischen Lehren, die die Grundlagen der scheinbar uneinnehmbaren Festungen im politischen und sozialen Bereich menschlicher Tätigkeiten untergraben und ihr Gebäude umwerfen, die Anzeichen einer bevorstehenden, auffallend an den Verfall des Römischen Reiches im Abendland erinnernden Katastrophe, die das ganze Gefüge der heutigen Zivilisation hinwegzufegen droht, – dies alles zeugt für die Unruhe, mit der die Entstehung dieses machtvollen Organs der Religion Bahá’u’lláhs die Welt erfüllt hat, eine Unruhe, die an Ausdehnung und Stärke in dem Maße zunehmen wird, in dem die Tragweite dieser sich ständig mehr entfaltenden Ordnung voll begriffen wird und ihre Verzweigungen sich noch mehr über die Oberfläche des Erdballs breiten.
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Noch ein Wort zum Schluss: Aufstieg und Aufbau dieser Gemeindeordnung, der Schale, die eine solche Kostbarkeit birgt und hütet, stellen das Kennzeichen dieses zweiten, des gestaltgebenden Abschnitts des Bahá’í-Zeitalters, dar. In dem Maße, wie dieser Zeitabschnitt vor unseren Blicken zurücktritt, wird er als die Haupttriebkraft angesehen werden, ausgestattet mit der Macht, die letzte Phase der Erfüllung dieser ruhmreichen Sendung einzuleiten.
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Niemand möge, solange dieses System noch in seinen Kinderschuhen steckt, seinen Charakter missverstehen, seine Bedeutung schmälern oder sein Ziel missdeuten. Der Felsgrund, auf dem diese Gemeindeordnung ruht, ist Gottes unwandelbarer Plan für die Menschheit unserer Zeit. Der Quell, aus dem sie ihre Eingebung empfängt, ist kein Geringerer als Bahá’u’lláh selbst. Schild und Schirm ist ihr die Menge der Heerscharen des Reiches Abhá. Ihre Saat ist das Blut von nicht weniger als zwanzigtausend Märtyrern, die ihr Leben opferten, damit sie wachse und gedeihe. Die Achse, um die sich ihre Institutionen drehen, sind die authentischen Vorkehrungen des Willens und Testaments ‘Abdu’l-Bahás. Ihre Leitsätze sind die Wahrheiten, die Er, der unfehlbare Ausleger der Lehren unseres Glaubens, so deutlich in Seinen öffentlichen Ansprachen im Abendland verkündet hat. Die Gesetze, die ihre Tätigkeit beherrschen und ihren Aufgabenkreis umgrenzen, sind jene, die ausdrücklich im Kitáb-i-Aqdas verordnet sind. Die Stätte, an der sich ihre geistigen, menschendienlichen und amtlichen Unternehmungen bündeln, sind der Mashriqu’l-Adhkár und seine Nebeneinrichtungen. Die Säulen, die ihre Amtsgewalt tragen und ihr Gefüge stützen, sind die Zwillingsinstitutionen des Hütertums und des Universalen Hauses der Gerechtigkeit. Das Hauptziel, der allem zugrundeliegende Zweck, der sie beseelt, ist der Aufbau der neuen Weltordnung, wie Bahá’u’lláh sie entworfen hat. Die Methoden, die sie anwendet, die Maßstäbe, die sie anlegt, neigen weder zum Osten noch zum Westen, weder zu den Juden noch zu den Heiden, weder zu den Reichen noch zu den Armen, weder zu den Weißen noch zu den Farbigen. Ihr Losungswort ist die Vereinigung des Menschengeschlechts, ihr Banner der »Größte Friede«vgl. Bahá’u’lláh, Ishráqát, in: Botschaften aus ‘Akká 8:52, Lawḥ-i-Malikih, in: Anspruch und Verkündigung 1:180 – Anm. d. Hrsg.Q, ihre Vollendung der Anbruch jenes Goldenen Zeitalters, des Tages, da die Reiche dieser Welt zum Reiche Gottes, das das Reich Bahá’u’lláhs ist, geworden sind.
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Shoghi
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Haifa, Palästina 8. Februar 1934
Die Entfaltung der Weltkultur
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An die Geliebten Gottes und die Dienerinnen des Barmherzigen überall im Westen
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Freunde und Miterben der Gnade Bahá’u’lláhs!
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Als Ihr Teilhaber am Aufbau der Neuen Weltordnung, die der Geist Bahá’u’lláhs erschaut und deren Wesenszüge die Feder ‘Abdu’l-Bahás, ihres vollendeten Baumeisters, gezeichnet hat, halte ich inne, um mit Ihnen die Szene zu betrachten, die sich nach Ablauf von fast fünfzehn Jahren seit ‘Abdu’l-Bahás Hinscheiden vor uns ausbreitet.
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Ebenso deutlich wie fesselnd ist der Gegensatz zwischen den sich häufenden Beweisen stetiger Festigung, wie sie den Aufschwung der Gemeindeordnung des Gottesglaubens begleiten, und den Kräften der Zersetzung, die gegen das Gefüge einer in Geburtswehen liegenden Gesellschaft anprallen. Innerhalb wie außerhalb der Bahá’í-Welt mehren, ja vervielfachen sich Tag für Tag die Zeichen und Merkmale, die in geheimnisvoller Weise die Geburt jener Weltordnung ankünden, deren Errichtung das Goldene Zeitalter der Sache Gottes auszeichnen muss. Kein unparteiischer Betrachter kann sie länger übersehen. Ein solcher lässt sich weder durch die schmerzhafte Trägheit täuschen, mit der sich die Kultur, die zu begründen die Anhänger Bahá’u’lláhs sich mühen, entfaltet, noch lässt er sich durch die kurzlebigen Äußerungen wiedergekehrten Wohlstandes verleiten, die zuweilen in der Lage scheinen, dem zerstörerischen Einfluss chronischer Übel auf die Institutionen eines niedergehenden Zeitalters Einhalt zu bieten. Zu zahlreich, zu zwingend sind die Zeichen der Zeit, als dass sie ihm gestatteten, ihre Wesensart misszuverstehen oder ihre Bedeutung zu unterschätzen. Wenn der Beobachter gerecht in seinem Urteil bleiben will, kann er in der Kette von Ereignissen, die einerseits vom unaufhaltsamen Vormarsch jener Institutionen künden, welche unmittelbar mit der Offenbarung Bahá’u’lláhs verknüpft sind, andererseits den Niedergang jener Mächte und Fürstlichkeiten anzeigen, die diese Offenbarung entweder nicht beachtet oder sich ihr entgegengestellt haben, Beweise für das Wirken des alldurchdringenden Willens Gottes, für die Gestaltung Seines vortrefflich geordneten, weltumspannenden Planes erkennen.
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»Bald«, so verkünden es Bahá’u’lláhs eigene Worte, »wird die Ordnung des heutigen Tages aufgerollt und eine neue an ihrer Statt verbreitet werden. Wahrlich, dein Herr spricht die Wahrheit, und Er weiß um das Ungeschaute.«Bahá’u’lláh, in: Ährenlese 4:2 – Anm. d. Hrsg.Q »Bei Meinem Selbst!«, erklärt Er feierlich, »der Tag naht, da Wir die Welt und alles, was darinnen ist, aufgerollt und eine neue Ordnung an ihrer Statt verbreitet haben werden. Er ist, wahrlich, mächtig über alle Dinge.«Bahá’u’lláh, in: Ährenlese 143:3 – Anm. d. Hrsg.Q »Die Welt«, erläutert Er, »ist aus dem Gleichgewicht geraten durch die Schwungkraft dieser größten, dieser neuen Weltordnung. Das geregelte Leben der Menschheit ist aufgewühlt durch das Wirken dieses einzigartigen, dieses wundersamen Systems, desgleichen kein sterbliches Auge je gesehen hat.«Bahá’u’lláh, Kitáb-i-Aqdas 1:181 – Anm. d. Hrsg.Q »Die Zeichen drohender Erschütterungen und des Chaos«, so warnt Er die Völker der Welt, »sind jetzt deutlich zu sehen, zumal die herrschende Ordnung erbärmlich mangelhaft erscheint.«Bahá’u’lláh, Lawḥ-i-Maqṣúd, in: Botschaften aus ‘Akká 11:26 – Anm. d. Hrsg.Q
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Innig geliebte Freunde! Diese neue Weltordnung, deren Verheißung in der Offenbarung Bahá’u’lláhs verankert ist, deren Hauptgrundsätze in den Schriften des Mittelpunktes Seines Bundes aufgestellt sind, bringt nicht weniger als die völlige Einigung des ganzen Menschengeschlechts mit sich. Diese Einigung muss sich nach solchen Grundsätzen richten, wie sie unmittelbar mit dem Geist übereinstimmen, der jene Institutionen beseelt, welche die Grundstruktur der Gemeindeordnung Seines Glaubens bilden, ebenso mit den Gesetzen, welche die Tätigkeit dieser Institutionen steuern.
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Kein Apparat, der hinter dem Maßstab der Bahá’í-Offenbarung zurückbleibt und dem erhabenen Modell der Lehren Bahá’u’lláhs widerspricht, sei er durch die vereinten Bemühungen der Menschheit auch noch so gut ausgeklügelt, kann je hoffen, irgend etwas über jenen »Geringeren Frieden« hinaus zu vollbringen, auf den der Begründer unseres Glaubens in Seinen Schriften selbst angespielt hat. »Jetzt, da ihr den Größten Frieden abgelehnt habt«, schrieb Er zur Ermahnung der Könige und Herrscher der Erde, »haltet euch an diesen, den Geringeren Frieden, damit ihr eure eigene Lage und die eurer Untertanen einigermaßen bessern möget.«Bahá’u’lláh, Lawḥ-i-Malikih, in: Anspruch und Verkündigung 1:180 – Anm. d. Hrsg.Q Im selben Sendschreiben spricht Er eingehender über diesen Geringeren Frieden und wendet sich wie folgt an die Herrscher der Erde: »Versöhnt euch, so dass ihr nicht mehr Kriegsrüstungen brauchet, als in dem Maße, um eure Länder und Herrschaften zu schützen … Seid vereinigt, o Könige der Erde, denn dadurch wird der Sturm der Zwietracht unter euch gestillt, und eure Völker werden Ruhe finden – so ihr zu denen gehöret, die verständig sind. Sollte einer von euch die Waffen gegen einen anderen ergreifen, so erhebt euch alle gegen ihn; denn dies ist nichts als offenbare Gerechtigkeit.«Bahá’u’lláh, Lawḥ-i-Malikih, in: Anspruch und Verkündigung 1:181, 1:182 – Anm. d. Hrsg.Q
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Der Größte Friede andererseits, wie ihn Bahá’u’lláh versteht – ein Friede, der sich unausweichlich als praktische Folge aus der Vergeistigung der Welt und der Verschmelzung aller ihrer Rassen, Bekenntnisse, Klassen und Nationen ergibt –, kann auf keine andere Grundlage gestellt und durch keine andere Wirkkraft bewahrt werden als die gottgegebenen Satzungen, die in der mit Seinem heiligen Namen verbundenen Weltordnung inbegriffen sind. In Seinem vor fast siebzig Jahren der Königin Victoria offenbarten Sendschreiben erklärt Bahá’u’lláh, auf diesen Größten Frieden anspielend: »Was der Herr als höchstes Mittel und mächtigstes Werkzeug für die Heilung der ganzen Welt verordnet hat, ist die Vereinigung aller ihrer Völker in einer allumfassenden Sache, einem gemeinsamen Glauben. Dies kann auf keine andere Weise erreicht werden als durch die Macht eines befähigten, allgewaltigen und erleuchteten Arztes. Wahrlich, dies ist die Wahrheit, und alles andere ist nichts als Irrtum … Denke nach über diese Tage, in denen die Altehrwürdige Schönheit, Er, welcher der Größte Name ist, herniedergesandt ward, die Menschheit wiederzubeleben und zu vereinen. Sieh, wie sie sich mit gezückten Schwertern gegen Ihn erhoben und begingen, was den Geist des Glaubens zittern ließ. Und wann immer Wir ihnen sagten: ›Sehet, der Welterneuerer ist gekommen‹, erwiderten sie: ›Er ist wahrlich der Unheilstifter einer.‹«Bahá’u’lláh, Lawḥ-i-Malikih, in: Anspruch und Verkündigung 1:176, 1:177 – Anm. d. Hrsg.Q »Es geziemt allen Menschen an diesem Tag«, versichert Er in einem anderen Sendschreiben, »sich fest an den Größten Namen zu halten und die Einheit der ganzen Menschheit aufzurichten. Es gibt keine Stätte, wohin einer fliehen kann, keine Zuflucht, die jemand suchen kann außer Ihm.«Bahá’u’lláh, in: Ährenlese 100:7 – Anm. d. Hrsg.Q
Die Menschheit wird mündig
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Die Offenbarung Bahá’u’lláhs, deren höchstes Ziel es ist, diese organische, geistige Einheit aller Nationen in ihrer Gesamtheit zu vollenden, muss, wenn wir zu ihren selbstverständlichen Folgerungen stehen, als Signal für den Eintritt des gesamten Menschengeschlechts in den Zustand der Mündigkeit betrachtet werden. Sie darf nicht nur als eine weitere geistige Erneuerung in den allzeit wechselnden Geschicken der Menschheit angesehen werden, nicht nur als ein weiteres Glied in einer Kette fortschreitender Offenbarungen, selbst nicht nur als der Gipfelpunkt in einer Stufenfolge wiederholter prophetischer Zyklen. Vielmehr bezeichnet die Offenbarung Bahá’u’lláhs die letzte, höchste Stufe in der atemberaubenden Entwicklung des menschlichen Gesellschaftslebens auf diesem Planeten. Das Hervortreten einer Weltgemeinschaft, das Bewusstsein des Weltbürgertums, die Begründung einer Weltzivilisation und Weltkultur – Strukturen, die allesamt mit den Anfangsstadien in der Entfaltung des Goldenen Zeitalters der Bahá’í-Ära zusammenfallen müssen – sollten ihrer wahren Natur nach, was dieses planetarische Leben anbelangt, als die äußersten Grenzen für die Organisation der menschlichen Gesellschaft angesehen werden, wenngleich der Mensch als Einzelwesen im Ergebnis dieser Vollendung unbegrenzt weiter fortschreiten, sich weiter entwickeln wird und muss.
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Die geheimnisvolle, allesdurchdringende und doch letztlich unbestimmbare Wandlung, die wir im Leben des Einzelwesens und in der Entwicklung der Frucht als Reifezustand bezeichnen, muss, wenn wir Bahá’u’lláhs Äußerungen richtig begreifen, in der organisatorischen Entwicklung der menschlichen Gesellschaft ihr Gegenstück haben. Früher oder später muss ein ähnlicher Reifezustand im Gemeinschaftsleben der Menschheit eintreten, ein noch eindrucksvolleres Erscheinungsbild in den weltweiten Verhältnissen hervorbringen und das ganze Menschengeschlecht mit solchen Möglichkeiten der Wohlfahrt ausstatten, wie sie während der nachfolgenden Zeitalter den für die letztliche Erfüllung ihrer hohen Bestimmung notwendigen Antrieb bilden. Ein solcher Reifezustand im Ablauf menschlicher Regierungsgeschäfte muss, wenn wir den herausfordernden Anspruch Bahá’u’lláhs richtig erkennen, für alle Zeiten mit der Offenbarung, deren Träger Er war, gleichgesetzt werden.
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An einer besonders charakteristischen Stelle Seines Offenbarungswerkes bezeugt Er in unmissverständlicher Sprache die Wahrheit dieses hervorstechenden Grundzuges im Bahá’í-Glauben: »Es ist von Uns verordnet worden, dass das Wort Gottes und alle seine Möglichkeiten in genauer Übereinstimmung mit solchen Verhältnissen offenbart werden sollen, wie sie von Ihm, dem Allwissenden, dem Allweisen, vorherbestimmt worden sind … Würde es zugelassen, dass das Wort plötzlich alle ihm innewohnenden Kräfte entfesselt, könnte kein Mensch die Wucht einer so mächtigen Offenbarung ertragen … Erwäge, was Muḥammad, dem Gesandten Gottes, herabgesandt worden ist. Das Maß der Offenbarung, deren Träger Er war, ist zuvor von Ihm, dem Allmächtigen, dem Allmachtvollen, deutlich bestimmt worden. Jene, die Ihn hörten, konnten jedoch Seine Absicht nur bis zu dem Grade ihrer Stufe und geistigen Aufnahmefähigkeit begreifen. So entschleierte Er das Antlitz der Weisheit nach Maßgabe ihrer Fähigkeit, die Last Seiner Botschaft zu tragen. Kaum aber hatte die Menschheit die Stufe der Reife erreicht, da enthüllte das Wort vor den Augen der Menschen die verborgenen Energien, mit denen es ausgestattet ist – Energien, die sich in der Fülle ihrer Herrlichkeit offenbarten, als im Jahre sechzig1844 n. Chr – Anm. d. Hrsg.A die Altehrwürdige Schönheit in der Person ‘Alí-Muḥammads, des Báb, erschien.«Bahá’u’lláh, in: Ährenlese 33:1, 33:1, 33:2 – Anm. d. Hrsg.Q
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‘Abdu’l-Bahá erläutert diese Grundwahrheit und schreibt: »Alles Erschaffene hat seinen Grad oder seine Stufe der Reife. Der Reifezustand im Leben eines Baumes ist die Zeit, da er Früchte trägt … Das Tier erreicht eine Stufe des vollen Wachstums und der Vollständigkeit, und im Menschenreich gelangt der Mensch zur Reife, wenn das Licht seines Verstandes die höchste Macht und Entwicklung erreicht … Ähnlich gibt es Abschnitte und Stufen im Gesellschaftsleben der Menschheit. Einmal durchwanderte sie ihre Kindheit, späterhin ihre Jugendzeit, aber jetzt ist sie in ihre lange verheißene Reifezeit eingetreten, deren Beweise überall offenkundig sind … Was den menschlichen Bedürfnissen in der Frühgeschichte unseres Geschlechts angemessen war, ist weder passend noch genügend für die Erfordernisse des heutigen Tages, dieser Zeit des Neuen und der Vollendung. Die Menschheit hat sich aus ihrem früheren Zustand der Begrenztheit und der Vorerziehung erhoben. Jetzt muss der Mensch mit neuen Tugenden und Kräften, mit neuen sittlichen Maßstäben, mit neuen Fähigkeiten erfüllt werden. Neue Wohltaten, vollkommene Gaben, warten auf ihn und senken sich schon auf ihn herab. Die Gaben und Segnungen der Jugendzeit, wenngleich sie während des Heranwachsens der Menschheit passten und genügten, sind nunmehr außerstande, den Erfordernissen ihrer Reifezeit zu entsprechen.«‘Abdu’l-Bahá, in: Promulgation of Universal Peace 130:2, 130:2, 130:4, 130:4 – Anm. d. Hrsg.Q
Der Vorgang der Einswerdung
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Eine derart einmalige, bedeutsame Krise im Leben der organisierten Menschheit kann überdies mit dem Höhepunkt in der politischen Entwicklung der großen amerikanischen Republik verglichen werden – einem Stadium, das durch die Bildung einer vereinten Gemeinschaft verbundener Staaten gekennzeichnet war. Ein neues Nationalbewusstsein regte sich, ein neuer Kulturtypus war geboren, unendlich reicher und edler als irgendeiner, den die völkischen Bestandteile dieser neuen Nation, jeder für sich, hätten zu erreichen hoffen können. Auf solche Weise, kann man sagen, ist die Mündigkeit des amerikanischen Volkes verkündet worden. Innerhalb der gebietsmäßigen Grenzen dieser Nation ist jene Vollendung als der Höhepunkt in der Entwicklung menschlicher Regierung zu betrachten. Die mannigfachen, nur lose verbundenen Teile einer getrennten Gemeinschaft wurden zusammengebracht, vereint und zu einem ganzheitlichen System verschmolzen. Auch wenn diese Ganzheit weiter wachsende innere Anziehungskraft gewinnen kann, auch wenn die vollzogene Einheit weiter gefestigt werden mag, auch wenn die Kultur, die nur aus dieser Einheit geboren werden konnte, sich ausbreiten und blühen mag, lässt sich doch sagen, dass der für diese Entfaltung lebenswichtige Apparat damals aufgebaut und der für ihre Steuerung und Erhaltung notwendige Anstoß damals vermittelt worden ist. Über diese Vollendung der nationalen Einheit hinaus ist in den geographischen Grenzen jener Nation keine weitere Entwicklungsstufe vorstellbar, wenngleich die höchste Bestimmung ihres Volkes als Bestandteil einer noch größeren, die ganze Menschheit umfassenden Ganzheit noch unerfüllt bleibt. Betrachtet man jene Nation als gesonderte Einheit, dann lässt sich sagen, dass dieser Vorgang der Einswerdung seine höchste, endgültige Vollendung erreicht hat.
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Das ist auch die Stufe, der sich eine in der Entwicklung befindliche Menschheit gemeinsam nähert. Die Offenbarung, die der Allmächtige Gebieter Bahá’u’lláh anvertraut hat, ist nach dem festen Glauben Seiner Anhänger mit Möglichkeiten ausgestattet, wie sie der Reife des Menschengeschlechts, der krönenden, folgenschwersten Etappe zwischen seiner Kindheit und seiner Mannhaftigkeit, angemessen sind.
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Die aufeinanderfolgenden Begründer aller vergangenen Religionen, die seit unvordenklichen Zeiten mit wachsender Stärke den Glanz einer gemeinsamen Offenbarung auf die verschiedenen Stufen des Fortschritts der Menschheit zu ihrer Reife hin ergossen haben, mögen daher in gewissem Sinn als vorläufige Manifestationen Gottes, als Vorboten und Wegbereiter für das Kommen jenes Tages der Tage betrachtet werden, da die ganze Erde Frucht tragen und der Baum der Menschheit seine vorbestimmte Ernte bringen wird.
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So unbestreitbar diese Wahrheit ist, darf ihr herausfordernder Charakter doch nie die Absicht verdunkeln oder den Grundsatz verdrehen, der allen Äußerungen Bahá’u’lláhs zugrunde liegt, Äußerungen, die für alle Zeiten die völlige Einheit aller Propheten Gottes, Ihn selbst einbegriffen, in der Vergangenheit wie in der Zukunft, begründen. Obwohl die Sendung der Bahá’u’lláh vorangegangenen Propheten in dem erwähnten Lichte gesehen werden kann, obwohl das jedem von ihnen anvertraute Maß göttlicher Offenbarung im Ergebnis dieses Entwicklungsprozesses notwendig unterschiedlich ist, dürfen ihr gemeinsamer Ursprung, ihre Wesenseinheit, ihre gleiche Absicht zu keiner Zeit und unter keinen Umständen missverstanden oder geleugnet werden. Dass alle Gottgesandten so zu sehen sind, dass sie »im gleichen Heiligtum wohnen, im gleichen Himmel schweben, auf dem gleichen Throne sitzen, die gleiche Rede führen und den gleichen Glauben verkünden«Bahá’u’lláh, Kitáb-i-Íqán 162 – Anm. d. Hrsg.Q, muss die unabänderliche Grundlage, der Hauptlehrsatz des Bahá’í-Glaubens bleiben, wie sehr wir auch das Maß göttlicher Offenbarung preisen, das der Menschheit auf dieser krönenden Stufe ihrer Entwicklung gewährt worden ist. Unterschiede in dem Strahlenglanz, den jede dieser Manifestationen des göttlichen Lichtes über die Welt ergossen hat, sollten nicht einer innewohnenden Überlegenheit zugeschrieben werden, mit der die eine oder andere von ihnen wesenhaft ausgestattet worden wäre, sondern vielmehr der fortschreitenden Fassungskraft, der stetig wachsenden geistigen Empfänglichkeit, die das Menschengeschlecht auf seinem Fortschritt zur Reife unabänderlich an den Tag gelegt hat.
Die letzte Vollendung
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Nur wer willens ist, die Offenbarung Bahá’u’lláhs mit der Vollendung einer so gewaltigen Entwicklung im Gemeinschaftsleben des ganzen Menschengeschlechts in Verbindung zu bringen, kann die Bedeutung jener Worte begreifen, die Er als passend für eine Anspielung auf die Herrlichkeit dieses verheißenen Tages und auf die Dauer des Bahá’í-Zeitalters erachtet hat. »Dies ist der König der Tage«, ruft Er aus, »der Tag, welcher den Heißgeliebten hat kommen sehen, Ihn, nach dem die Sehnsucht der Welt seit aller Ewigkeit gegangen.« »Die Heiligen Schriften früherer Sendungen«, versichert Er weiter, »feiern das große Jubelfest, das diesen größten Tag Gottes begrüßen muss. Wohl steht es um den, der diesen Tag erlebt und schaut und seine Stufe erkennt.« »Es ist klar«, erläutert Er an anderer Stelle, »dass jedes Zeitalter, in dem eine Manifestation Gottes gelebt hat, göttlich verordnet ist und in gewissem Sinn als Gottes festgesetzter Tag bezeichnet werden kann. Dieser Tag jedoch ist einzigartig und muss von den vorausgegangenen unterschieden werden. Die Bezeichnung ›Siegel der Propheten‹Qur’án 33:40 – Anm. d. Hrsg.Q enthüllt seine hohe Stufe völlig. Der prophetische Zyklus ist wahrlich beendet. Er, der die Ewige Wahrheit ist, ist jetzt gekommen. Er hat das Banner der Macht gehisst und ergießt nunmehr auf die Welt den unumwölkten Glanz Seiner Offenbarung.«Bahá’u’lláh, in: Ährenlese 25:1 – Anm. d. Hrsg.Q »In dieser mächtigsten Offenbarung«, erklärt Er in kategorischer Sprache, »haben alle Sendungen der Vergangenheit ihre höchste, ihre letzte Vollendung erlangt. Was in dieser überragenden, dieser erhabensten Offenbarung kundgemacht worden ist, steht ohne Beispiel in den Annalen der Vergangenheit da, noch werden künftige Zeitalter Gleichartiges schauen.«
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‘Abdu’l-Bahás verbürgte Erklärungen sollten gleichfalls ins Gedächtnis gerufen werden, da sie nicht weniger nachdrücklich die beispiellose Unermesslichkeit der Sendung Bahá’u’lláhs bestätigen. »Jahrhunderte«, bekräftigt Er in einem Seiner Sendschreiben, »nein, ungezählte Zeitalter müssen vergehen, ehe das Tagesgestirn der Wahrheit wieder in seiner hochsommerlichen Pracht erstrahlt oder aufs neue im Glanze frühlingsfrischer Herrlichkeit scheint … Allein die innere Schau der Sendung, die von der Gesegneten Schönheit eingeleitet wurde, konnte genügen, die Heiligen vergangener Zeitalter zu verzücken – Heilige, die sich danach sehnten, auch nur für einen Augenblick an seiner großen Herrlichkeit teilzuhaben.« »Was jene Manifestationen angeht, die zukünftig ›in den Schatten der Wolken‹Qur’án 2:210 – Anm. d. Hrsg.Q herniederkommen werden«, bestätigt Er in noch deutlicherer Sprache, »so wisse wahrlich, dass sie in ihrer Beziehung zur Quelle ihrer Eingebung unter dem Schatten der Altehrwürdigen Schönheit stehen. Jedoch in ihrer Beziehung zu dem Zeitalter, in dem sie erscheinen, tut jeder von ihnen, ›was immer Er will.‹vgl. Qur’án 2:253, 3:40, 14:27; 22:14, 22:18 – Anm. d. Hrsg.Q«Q »Diese heilige Sendung«, erläutert Er mit Blick auf die Offenbarung Bahá’u’lláhs, »ist vom Lichte der Sonne der Wahrheit erleuchtet, wie sie von ihrer erhabensten Stufe, in der Fülle ihres Glanzes, ihrer Glut und ihrer Herrlichkeit strahlt.«‘Abdu’l-Bahá, Q
Todesqualen und Geburtswehen
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Innig geliebte Freunde! Obgleich die Offenbarung Bahá’u’lláhs geschehen ist, ist doch die Weltordnung, die eine solche Offenbarung zeugen muss, noch ungeboren. Obgleich das heroische Zeitalter Seines Glaubens vergangen ist, sind die schöpferischen Kräfte, die jenes Zeitalter entfesselt hat, noch nicht in derjenigen Weltgesellschaft auskristallisiert, die in der Fülle der Zeit den Glanz Seiner Herrlichkeit widerspiegeln soll. Obgleich das Rahmenwerk Seiner Gemeindeordnung errichtet ist, obgleich der gestaltgebende Abschnitt des Bahá’í-Zeitalters begonnen hat, ist doch das verheißene Reich Gottes, zu dem die Saat Seiner Institutionen heranreift, noch nicht ausgerufen. Obgleich Er Seine Stimme erhoben hat, obgleich die Zeichen Seines Glaubens in nicht weniger als vierzig Ländern des Ostens wie des Westens aufgerichtet worden sind, ist doch die Ganzheit des Menschengeschlechts noch nicht anerkannt, seine Einheit noch nicht verkündet, das Banner des Größten Friedens noch nicht gehisst.
7:18
»Die Höhen«, bezeugt Bahá’u’lláh selbst, »die durch Gottes huldvollste Gnade der sterbliche Mensch an diesem Tag erreichen kann, sind seinem Blick bis jetzt verborgen. Noch nie hat die Welt des Seins die Fassungskraft für eine solche Offenbarung besessen und besitzt sie auch heute nicht. Der Tag naht jedoch heran, da die Möglichkeiten einer so großen Gunst kraft Seines Geheißes den Menschen offenbart werden.«Bahá’u’lláh, in: Ährenlese 109:1 – Anm. d. Hrsg.Q
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Für die Offenbarung einer so großen Gunst scheint eine Übergangszeit schlimmer Unruhen und weitverbreiteter Leiden unausweichlich. So glänzend das Zeitalter war, das den Beginn der Bahá’u’lláh anvertrauten Sendung miterlebte, wird doch in wachsendem Maße offenkundig, dass die Zeitspanne, die zu verstreichen hat, ehe jenes Zeitalter seine köstlichste Frucht trägt, von sittlicher und gesellschaftspolitischer Finsternis überschattet sein muss, weil nur so eine unbußfertige Menschheit auf das reiche Erbe vorbereitet wird, das sie antreten soll.
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In eine solche Übergangszeit gleiten wir jetzt stetig und unwiderstehlich hinein. Inmitten der Schatten, die sich immer dichter um uns scharen, können wir am Horizont der Weltgeschichte schwach den ersten Schimmer von Bahá’u’lláhs überirdischer Herrschaft erkennen. Uns fällt als »Generation des Zwielichts«, deren Lebenstage als die Brutzeit des von Bahá’u’lláh vorhergeschauten Weltgemeinwesens bezeichnet werden können, eine Aufgabe zu, deren hohes Vorrecht wir niemals hinreichend würdigen können und deren Mühsal wir bis jetzt erst in Umrissen wahrnehmen. Berufen, das Wirken dunkler Mächte, welche eine Flut lähmender Heimsuchungen auszulösen bestimmt sind, am eigenen Leibe zu erfahren, können wir wohl glauben, dass die finsterste Stunde, die dem Anbruch des Goldenen Zeitalters unseres Glaubens vorangehen muss, noch nicht geschlagen hat. So undurchdringlich das Düster ist, das die Welt bereits umgibt, ist doch das Gottesgericht, das diese Welt erwartet, erst in Vorbereitung, und keiner kann sich bereits vorstellen, wie finster es werden wird. Wir stehen an der Schwelle eines Zeitalters, dessen Zuckungen zugleich die Todesqualen der alten Ordnung und die Geburtswehen der neuen künden. Durch den zeugenden Einfluss des von Bahá’u’lláh gestifteten Glaubens ist, so kann man sagen, diese neue Weltordnung empfangen worden. Wir können gegenwärtig ihre Bewegungen im Mutterleib eines kreißenden Zeitalters wahrnehmen – eines Zeitalters, das auf die festgesetzte Stunde wartet, in der es seine Last abwerfen und seine schönste Frucht erbringen kann.
7:21
»Die ganze Erde«, schreibt Bahá’u’lláh, »ist jetzt in einem Zustand der Trächtigkeit. Der Tag naht heran, da sie ihre edelsten Früchte zeitigt, da ihr die stattlichsten Bäume, die köstlichsten Blüten, die himmlischsten Segnungen entsprießen. Unermesslich erhaben ist der Hauch, der dem Gewande deines Herrn, des Gepriesenen, entströmt! Denn siehe, sein Duft ist verbreitet und macht alle Dinge neu. Wohl dem, der begreift.« »Die brausenden Winde der göttlichen Gnade«, verkündet Er in der Súratu’l-Haykal, »sind über alle Dinge gekommen. Jedes Geschöpf ist mit all den Möglichkeiten, die es tragen kann, ausgestattet worden. Und doch haben die Völker der Welt diese Gnade abgelehnt! Jeder Baum ist mit den erlesensten Früchten begabt, jedes Meer mit den leuchtendsten Edelsteinen bereichert worden. Der Mensch selbst wurde mit den Gaben des Verständnisses und der Erkenntnis belehnt. Die ganze Schöpfung ist zur Empfängerin geworden für die Offenbarung des Allbarmherzigen, und die Erde zur Schatzkammer für solche Dinge, die unerforschlich sind für alle außer Gott, der Wahrheit, dem Wissenden um das Ungeschaute. Die Zeit naht, da alles Erschaffene seine Last abwirft. Verherrlicht sei Gott, der Verleiher dieser Gnade, die alles umfasst, das Sichtbare wie das Unsichtbare!«Bahá’u’lláh, Súriy-i-Haykal, in: Anspruch und Verkündigung 1:47 – Anm. d. Hrsg.Q
7:22
»Als der Ruf Gottes erhoben ward«, so hat ‘Abdu’l-Bahá geschrieben, »hauchte er dem Körper der Menschheit neues Leben ein und goss einen neuen Geist in die ganze Schöpfung. Aus diesem Grunde ist die Welt bis in ihre Tiefen bewegt, Herz und Gewissen der Menschen sind erfrischt. Binnen kurzem werden die Zeichen dieser Wiedergeburt offenbar, die tief Schlafenden werden erweckt.«‘Abdu’l-Bahá, Q
Umfassende Gärung
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