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54Die Kraft, durch die diese Ziele nach und nach verwirklicht werden, ist die Einheit. Obwohl die Einheit für die Bahá’í die offensichtlichste aller Wahrheiten ist, scheint den meisten zeitgenössischen Debatten ihre Bedeutung für die gegenwärtige Krise der Zivilisation zu entgehen. Wenige werden der Auffassung widersprechen, dass Uneinigkeit die Krankheit ist, die die Gesundheit der gesamten Menschheit auslaugt. Überall schwächt sie den politischen Willen, entkräftet den gemeinsamen Wunsch zur Veränderung und vergiftet nationale und religiöse Beziehungen. Zwar wird Einheit als ein erstrebenswertes Ziel erkannt, das aber, wenn überhaupt, erst in ferner Zukunft, nach der Bewältigung einer Vielzahl von Problemen sozialer, politischer, ökonomischer und moralischer Art realisiert werden könnte. Doch diese vielfältigen Probleme sind nur Symptome und Nebenwirkungen, nicht die zugrunde liegende Ursache. Wie kommt es, dass eine so fundamentale Umkehrung von Ursache und Wirkung allgemein akzeptiert wird? Vermutlich deshalb, weil man denkt, es sei jenseits aller Möglichkeiten der derzeitigen gesellschaftlichen Institutionen, eine echte Einheit mit Herz und Verstand zwischen den Menschen zu erreichen, da deren Erfahrungen derart unterschiedlich geprägt sind. Einerseits stellt dieses stillschweigende Zugeständnis einen begrüßenswerten Fortschritt dar, im Vergleich dazu, wie man noch wenige Dekaden zuvor den Prozess sozialer Entwicklung verstand. Auf der anderen Seite bietet es kaum praktische Hilfe für den Umgang mit dieser Herausforderung.55Einheit ist eine Beschaffenheit des menschlichen Geistes. Erziehung kann sie unterstützen und fördern, ebenso die Gesetzgebung. Aber beide können das erst tun, sobald die Einheit sich herausbildet und sich als überzeugende Kraft im gesellschaftlichen Leben etabliert hat. Kaum jemand bezweifelt, dass sich für die Zukunft der Menschheit Katastrophen bedrohlich abzeichnen. Doch die Intellektuellen, deren Konzepte weitgehend von einer materialistischen Fehleinschätzung der Realität geformt wurden, klammern sich weltweit hartnäckig an die Hoffnung, dass einfallsreiche Sozialtechniken, gestützt von politischen Kompromissen in der Lage seien, diese Katastrophen auf ewig hinauszuschieben. »Wir nehmen sehr wohl wahr, wie das ganze Menschengeschlecht von großen, unberechenbaren Drangsalen umgeben ist«
, legt Bahá’u’lláh dar. »Jene, die von Eigendünkel trunken sind, haben sich zwischen die Menschen und den göttlichen unfehlbaren Arzt gedrängt. Sieh, wie sie alle Menschen, sich selbst eingeschlossen, in das Netzwerk ihrer List verstrickt haben. Sie können weder die Ursache der Krankheit erkennen, noch haben sie die geringste Kenntnis von der Arznei.«Bahá’u’lláh, Ährenlese 106:2
Q Da Einheit die Arznei für die Krankheit der Welt ist, liegt ihre einzige sichere Quelle darin, den Einfluss der Religion auf die menschlichen Belange wieder erstehen zu lassen. Die an diesem Tag von Gott offenbarten Gesetze und Prinzipien, erklärt Bahá’u’lláh, »sind die machtvollsten Werkzeuge und die sichersten Mittel dafür, dass das Licht der Einheit zwischen den Menschen anbricht.«Bahá’u’lláh, Botschaften aus ‘Akká 8:63
Q »Was immer auf dieser Grundlage errichtet ist, dessen Stärke können Wandel und Wechsel der Welt nie beeinträchtigen, noch wird der Ablauf zahlloser Jahrhunderte seinen Bau untergraben.«Bahá’u’lláh, Botschaften aus ‘Akká 11:15
Q56Daher war es für die Sendung Bahá’u’lláhs von zentraler Bedeutung, eine weltweite Gemeinschaft zu gründen, die die Einheit der Menschheit wiederspiegeln würde. Das nachdrücklichste Zeugnis, das die Bahá’íGemeinde zur Rechtfertigung Seiner Sendung vorführen kann, ist das Beispiel der Einheit, die Seine Lehre bewirkt hat. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist das Bahá’ítum ein Phänomen, das sich mit nichts vergleichen lässt, was die Welt bislang gesehen hat. Nach Jahrzehnten der Anstrengung, in denen Wellen des Wachstums sich abwechselten mit langen Phasen der Festigung, oft überschattet von Rückschlägen, umfasst die Bahá’íGemeinde heute etliche Millionen Menschen, die nahezu jede ethnische, kulturelle, soziale und religiöse Herkunft repräsentieren. Was sie gemeinsam betrifft, regeln sie ohne die Intervention eines Klerus, alleine durch demokratisch gewählte Institutionen. Die vielen tausend Orte, an denen sie Wurzeln geschlagen haben, sind in jedem Land, Territorium und jeder bedeutenden Inselgruppe zu finden, von der Arktis bis zur Tierra del Fuego, von Afrika bis zum Pazifik. Kaum jemand, der mit den Fakten vertraut ist, wird bezweifeln, dass diese Gemeinschaft schon heute die facettenreichste und geografisch am weitesten verbreitete von allen ähnlich organisierten Institutionen von Menschen auf diesem Planeten ist.57Dies verlangt nach einer Erklärung. Nichts von den üblichen Erklärungsmustern, wie etwa Reichtum, Unterstützung durch mächtige politische Interessen, der Rückgriff auf verdeckte oder offensive Bekehrungsprogramme, die mit der Furcht vor göttlichem Zorn arbeiten, haben die geringste Rolle bei diesen Ereignissen gespielt. Die Anhänger des Glaubens an Bahá’u’lláh verstehen sich als Mitglieder einer einzigen Menschheitsfamilie. Diese Identität bildet den Sinn ihres Lebens und ist keineswegs Ausdruck eines Anspruchs auf moralische Überlegenheit. »O Volk Bahás! Dass es keinen gibt, mit euch in Wettstreit zu treten, ist ein Zeichen der Barmherzigkeit.«Bahá’u’lláh, zitiert in Shoghi Effendi, Das Kommen Göttlicher Gerechtigkeit, S. 132 f.
Q Ein unvoreingenommener Beobachter wird nicht umhin können, zumindest die Möglichkeit in Erwägung zu ziehen, dass dieses Phänomen auf das Wirken von Einflüssen zurückzuführen ist, die sich ihrer Natur nach völlig von dem unterscheiden, was üblicherweise geschieht – Einflüsse, die man nur als geistig bezeichnen kann – und die geeignet sind, Menschen jedweder Herkunft zu Verständnis und außerordentlicher Opferbereitschaft zu befähigen.58Besonders beeindruckend ist die Tatsache, dass der Bahá’í Glaube in der Lage war, die so erlangte Einheit unversehrt und unvermindert während aller Phasen seiner Frühgeschichte zu bewahren, war die Einheit doch gerade da sehr gefährdet. Man wird vergeblich nach einer anderen Vereinigung von Menschen suchen – sei sie politisch, religiös oder sozial orientiert – die erfolgreich dem ständigen Pesthauch von Schisma und Aufsplitterung standgehalten hat. Die Bahá’í-Gemeinde> bildet in all ihrer Vielfalt eine Einheit von Menschen, die eins sind: eins in ihrem Verständnis der Absicht der göttlichen Offenbarung, die sie ins Leben rief; eins in ihrer Hingabe an eine Gemeindeordnung, die ihr Stifter zur Regelung ihrer gemeinschaftlichen Aufgaben schuf; eins im Einsatz für die Verbreitung Seiner Botschaft überall auf dem Planeten. Während der vergangenen Jahrzehnte taten etliche Persönlichkeiten, einige von ihnen hochgestellt, alle angespornt von Ehrgeiz, ihr Äußerstes, um Anhänger zu gewinnen, die loyal zu ihnen bzw. zu ihrer persönlichen Interpretation der Schriften Bahá’u’lláhs standen. In früheren Religionen hatten ähnliche Bemühungen dazu geführt, den gerade entstandenen Glauben in konkurrierende Sekten aufzuspalten. Im Falle des Bahá’ítums jedoch sind solche Intrigen ohne Ausnahme gescheitert und konnten nicht mehr erreichen als das Aufflackern vorübergehender Kontroversen. Deren einziger Effekt bestand darin, das Verständnis der Gemeinde über die Absicht ihres Stifters und ihre Hingabe an Ihn zu vertiefen. »So machtvoll ist das Licht der Einheit«
, versichert Bahá’u’lláh denen, die Ihn anerkennen, »dass es die ganze Erde erleuchten kann.«Bahá’u’lláh, Ährenlese 132:3
Q Die menschliche Natur ist, wie sie ist. Daher kann man bereitwillig die Erwartung des Hüters teilen, dass dieser Reinigungsvorgang sich lange hinziehen wird, der – paradoxer aber notwendigerweise – für den Reifeprozess der Bahá’íGemeinde unverzichtbar ist.58_10***59Die Preisgabe des Glaubens an Gott schwächte logischerweise die Fähigkeit, die Problematik des Bösen effektiv anzugehen oder in vielen Fällen sogar, sie überhaupt zu erkennen. Während die Bahá’í dem Phänomen des Bösen nicht die objektive Existenz zuschreiben, die ihm in früheren Stadien der Religionsgeschichte verliehen wurde, lähmt die Verneinung des Guten – was das Böse ja eigentlich ist –, wie etwa Finsternis, Unwissenheit oder Krankheit, nachhaltig. Es gibt kaum einen Verlag, der in seinen Neuerscheinungen dem gebildeten Leser nicht eine Reihe von neuen und einfallsreichen Analysen über den Charakter einiger der monströsen Gestalten anbietet, die im Verlauf des 20. Jahrhunderts systematisch Millionen ihrer Mitmenschen gequält, erniedrigt und ausgerottet haben. Untermauert durch wissenschaftliche Werke werden wir aufgefordert, darüber nachzudenken, welchen Stellenwert man wahlweise dem Missbrauch durch den Vater, sozialer Ausgrenzung, berufliche Diskriminierung, Armut, Unrecht, Kriegserlebnissen, möglichen genetischen Schäden, nihilistischen Schriften – oder den zahllosen sich daraus ergebenden Kombinationen – beimessen sollte, wenn man die Besessenheit verstehen will, die den anscheinend bodenlosen Hass gegen die Menschheit schürt. Deutlich vermissen lassen solche zeitgenössischen Spekulationen jeden Hinweis darauf, was erfahrene Kommentatoren noch vor hundert Jahren als spirituelle Krankheit verstanden hätten, egal mit welchen Begleiterscheinungen sie auftritt.60Wenn Einheit tatsächlich der Lackmustest für den menschlichen Fortschritt ist, werden weder die Geschichte noch der Himmel denen bereitwillig vergeben, die mit voller Absicht beschließen, ihre Hand gegen sie zu erheben. Indem sie vertrauen, reduzieren Menschen ihre abwehrbereite Wachsamkeit und öffnen sich für andere. Ohne Vertrauen kann man sich niemals mit ganzem Herzen für die gemeinsamen Ziele einsetzen. Nichts ist so verheerend, als zu entdecken, dass für die andere Seite Verpflichtungen, die man in gutem Glauben getroffen hatte, nur dem eigenen Vorteil dienten und ein Mittel waren, um heimliche Ziele zu erreichen, die sich von dem unterscheiden oder sogar dem widersprechen, was man angeblich gemeinsam anstrebte. Ein solcher Verrat ist ein durchgängiges Muster in der Geschichte der Menschheit. Den wohl frühesten schriftlichen Niederschlag findet er in der uralten Erzählung von der Eifersucht Kains auf seinen Bruder, weil Gott beschlossen hatte, dessen Glauben zu bestätigen. Wenn das schreckliche Leid, das die Völker der Erde während des 20. Jahrhunderts erdulden mussten, eine Lektion gelehrt hat, dann die, dass Uneinigkeit, die aus dunkler Vergangenheit übernommen wurde und die Beziehungen in allen Lebensbereichen vergiftete, Tür und Tor öffnen kann für ein teuflisches Verhalten, brutaler als alles, was man jemals für möglich gehalten hatte.61Wenn das Böse einen Namen hat, dann ist es die bewusste Verletzung der mühsam errungenen Verträge für Frieden und Aussöhnung, durch welche die Menschen guten Willens der Vergangenheit zu entkommen suchen und gemeinsam eine neue Zukunft gestalten wollen. Seiner wahren Natur nach erfordert Einheit Selbstaufopferung. »Eigenliebe«
, stellt der Meister fest, »ist in jenen Klumpen Lehm, aus dem der Mensch gemacht ist, hineingeknetet.«‘Abdu’lBahá, Das Geheimnis Göttlicher Kultur, S. 87
Q Das Ego, das Er das »beharrende Selbst«‘Abdu’lBahá, Briefe und Botschaften 206:9
Q, nennt, widersteht instinktiv Beschränkungen, die seine Freiheit seiner Meinung nach beschneiden. Um bereitwillig auf die Befriedigung zu verzichten, die das Ego gewährt, wenn man ihm nachgibt, muss das Individuum zu der Überzeugung gelangen, dass die Erfüllung andernorts zu finden ist. letztendlich liegt sie, wo sie immer war, in der Unterwerfung der Seele unter Gott.62Immer wenn die Menschen sich in den vergangenen Jahrhunderten der Herausforderung einer solchen Unterwerfung nicht gestellt haben, äußerte sich das mit besonders verheerenden Konsequenzen im Verrat an den Boten Gottes und den Idealen, die sie lehrten. Diese Erörterung ist nicht der Platz für einen Überblick über das Wesen und die Bestimmungen des speziellen Bundes, durch den Bahá’u’lláh erfolgreich die Einheit derer bewahrt, die Ihn erkannt haben und Seinen Zielen dienen. Man muss sich nur die strenge Sprache vor Augen führen, die Er für das bewusste Verletzen des Bundes durch diejenigen wählt, die gleichzeitig vorgeben, Ihm zu dienen: »Die, die sich davon abgewandt haben, gehören zu den Bewohnern des untersten Feuers in der Sicht Gottes, des Allmächtigen, des Ungezwungenen.«Bahá’u’lláh, aus einem zuvor noch nicht übersetzten Text
Q Der Grund für die Härte des Urteils liegt auf der Hand. Nur wenige Menschen haben Schwierigkeiten, die Gefahr für das Gemeinwohl zu erkennen, die durch Verbrechen wie Mord, Raub oder Betrug entsteht, oder leugnen die Notwendigkeit, dass die Gesellschaft zu wirkungsvollen Maßnahmen des Selbstschutzes greift. Wie aber sollen Bahá’í über eine Widersetzlichkeit denken, die, bliebe sie unkontrolliert, alle Möglichkeiten zerstören würde, die lebensnotwendig sind, Einheit zu erschaffen – die, in den kompromisslosen Worten des Meisters, »wie eine Axt dem Gesegneten Baum an die Wurzel gehen«‘Abdu’lBahá, Testament 3:9
Q würde? Das ist keine Frage intellektueller Unstimmigkeit, nicht einmal moralischer Schwäche. Viele Menschen tun sich schwer, eine irgendwie geartete Autorität über sich anzuerkennen. Eher sind sie bereit, die Umstände zu meiden, die dies erforderlich machen würden. Personen, die sich zum Bahá’í-Glauben hingezogen fühlen und sich entscheiden, aus welchen Gründen auch immer, ihn zu verlassen, können dies völlig ungehindert tun.63Bundesbruch ist etwas völlig anderes. Diejenigen, die unter seinem Einfluss stehen, bewegt nicht einfach der Wunsch, völlig frei irgend einen Weg einzuschlagen, von dem sie glauben, dass er in der Lage ist, zur persönlichen Erfüllung zu führen oder einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. Eher sind solche Menschen von einer unbändigen Entschlossenheit getrieben, ihren Willen mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln der Gemeinschaft aufzuzwingen, ohne Rücksicht auf den Schaden, den sie dadurch anrichten. Auch fehlt ihnen oft der Respekt vor den erhabenen Aufgaben, denen sie sich angeschlossen haben, indem sie Mitglieder dieser Gemeinde wurden. Am Ende wird das Selbst zur vorrangigen Autorität, nicht nur für das eigene Leben, sondern für das Leben der anderen Menschen, die es erfolgreich beeinflussen kann. Wie lange und tragische Erfahrungen nur allzu deutlich gezeigt haben, können Qualitäten, wie hervorragende Abstammung, Intellekt, Bildung, Frömmigkeit oder Führungsqualitäten nicht nur der Menschheit, sondern auch dem eigenen Ehrgeiz dienen. In vergangenen Zeiten, als für den Plan Gottes andere geistige Schwerpunkte im Mittelpunkt standen, konnten die Folgen einer solchen Rebellion die zentrale Botschaft keiner der aufeinander folgenden Offenbarungen Gottes zunichtemachen. Heute, mit den unermesslichen Möglichkeiten und erschreckenden Gefahren, die eine technologische Vereinigung des Planeten mit sich gebracht hat, wird der Einsatz für alles, was der Einheit dient, zum Prüfstein aller Bekenntnisse der Hingabe an den Willen Gottes oder, wenn man so will, der Hingabe für das Wohlergehen der Menschheit.63_11***64Alles, was in seiner Vergangenheit geschehen ist, hat das Bahá’ítum befähigt, die Herausforderungen anzugehen, die ihm begegnen. Sogar in diesem relativ frühen Stadium seiner Entwicklung – und mit seinen derzeit noch relativ beschränkten Ressourcen – verdient das Vorhaben der Bahá’í völlig zu Recht die Achtung, die es derzeit gewinnt. Um anzuerkennen, was erreicht wird, muss der Betrachter nicht den Anspruch auf einen göttlichen Ursprung akzeptieren. Selbst wenn man die Bahá’í-Gemeinde> nur als ein diesseitiges Phänomen betrachtet, rechtfertigen ihr Wesen und ihre Leistungen aus sich heraus die Aufmerksamkeit von allen, die sich ernsthaft mit der Krise der Zivilisation beschäftigen. All das beweist nämlich, dass die Völker der Welt in all ihrer Verschiedenartigkeit lernen können, als ein einziges Volk in einem einzigen globalen Heimatland zu leben und zu arbeiten und ihre Erfüllung zu finden.65Diese Tatsache unterstreicht, falls man das noch betonen muss, die Dringlichkeit der aufeinanderfolgenden Pläne, die das Universale Haus der Gerechtigkeit für die Ausbreitung und Festigung des Glaubens entworfen hat. Der Rest der Menschheit kann mit jedem Recht der Welt erwarten, dass eine Gruppe von Menschen, die sich wirklich der Vision der Einheit verpflichtet fühlen, wie sie sich in den Schriften Bahá’u’lláhs verkörpert, sich immer stärker an Programmen zur Verbesserung der Gesellschaft beteiligt. Vor allem, wenn es sich um solche Programme handelt, deren Erfolg gerade von der Kraft der Einheit abhängt. Die Antwort auf diese Erwartung macht es erforderlich, dass die Bahá’í-Gemeinde> in einem immer schnelleren Tempo wächst, menschliche und materielle Ressourcen, die in ihre Arbeit investiert werden, stark vermehrt und weiterhin die Auswahl der Talente breit fächert, die sie dazu befähigt, ein interessanter Partner für gleichgesinnte Organisationen zu sein. Mit den sozialen Zielen dieses Bemühens muss die Anerkennung der Sehnsucht von Millionen ebenso aufrichtiger Menschen einhergehen, die bis jetzt noch nichts von Bahá’u’lláhs Sendung gehört haben, aber von vielen ihrer Ideale inspiriert sind, die Sehnsucht nach einer Möglichkeit, ihr Leben einem Dienst zu widmen, der einen bleibenden Sinn hat.66Die Kultur des systematischen Wachstums, die gerade in der Bahá’í-Gemeinde> Wurzel schlägt, scheint die bei weitem wirkungsvollste Antwort zu sein, die die Freunde auf die Herausforderungen, die auf diesen Seiten diskutiert wurden, geben können. Die Erfahrung eines intensiven und fortwährenden Eintauchens in das Schöpferische Wort befreit nach und nach aus dem Griff materialistischer Hypothesen, die Bahá’u’lláh »Andeutungen der Verkörperungen satanischer Wahngebilde«Bahá’u’lláh, Buch der Gewissheit 213
Q nennt. Sie durchziehen die Gesellschaft und lähmen alle Impulse zum Umbruch. Ein solches Eintauchen erschließt in jedem die Fähigkeit, die Sehnsucht von Freunden und Bekannten nach Einheit zu fördern und in reifer und intelligenter Form zum Ausdruck zu bringen. Die Kernaktivitäten des gegenwärtigen Planes, Kinderklassen, Andachtsversammlungen und Studienkreise, ermöglichen einer wachsenden Anzahl von Personen, die sich noch nicht als Bahá’í verstehen, frei und ungezwungen an dem Prozess teilzuhaben. Daraus ist etwas entstanden, was treffend als eine ›Interessengemeinschaft‹ bezeichnet wurde. Während andere von der Teilnahme profitieren und dazu gelangen, sich mit den Zielen der Sache Bahá’u’lláhs zu identifizieren, hat sich gezeigt, dass sie gleichermaßen geneigt sind, sich ganz an Bahá’u’lláh zu binden und aktive Vermittler Seiner Absicht zu werden. Folglich bietet die uneingeschränkte Unterstützung des Plans – von dessen konkreten Zielen einmal abgesehen – für die Bahá’í-Gemeinde> die Möglichkeit, sich in deutlich stärkerem Maße an der öffentlichen Debatte zu dem heute wohl wichtigsten Thema zu Wort zu melden.67Wenn die Bahá’í Bahá’u’lláhs Auftrag erfüllen wollen, ist es für sie entscheidend, zu verstehen, dass die parallel laufenden Bemühungen, die Verbesserung der Gesellschaft zu fördern und den Bahá’í-Glauben zu lehren, keine konkurrierenden Themen sind. Viel eher sind sie Teile eines zusammenhängenden globalen Programms, die sich gegenseitig befruchten. Unterschiede in der Vorgehensweise werden hauptsächlich durch die verschiedenen Bedürfnisse und die unterschiedlichen Stadien der Fragestellung bestimmt, die die Freunde vorfinden. Weil der freie Wille ein ureigenes Merkmal der Seele ist, muss jede Person, die sich hingezogen fühlt, die Lehren Bahá’u’lláhs zu erforschen, ihren eigenen Platz auf dem nie endenden Feld der geistigen Suche finden. Es ist nötig, dass sie in der Ungestörtheit ihres eigenen Gewissens und ohne Druck selbst bestimmen kann, welche geistige Verpflichtung diese Entdeckung nach sich zieht. Um diese Selbständigkeit aber intelligent nutzen zu können, muss der Mensch zweierlei gewinnen: Zum einen eine Perspektive für den Prozess des Wandels, in welchen er, wie die übrige Weltbevölkerung verstrickt ist, zum anderen Klarheit über die Auswirkungen für sein eigenes Leben. Es ist die Pflicht der Bahá’í-Gemeinde>, alles in ihrer Kraft stehende zu tun, sämtliche Stufen dieser weltweiten Bewegung der Menschheit zu unterstützen, die zu einer Wiedervereinigung mit Gott führt. Der Göttliche Plan, wie ihn uns der Meister vererbt hat, ist das Mittel, mit dem dieses Werk durchgeführt wird.68Daraus folgt: Wie zentral die Idee der Einheit der Religionen fraglos auch ist, die Aufgabe, Bahá’u’lláhs Botschaft zu teilen, ist kein interreligiöses Projekt. Während der Geist intellektuelle Sicherheit sucht, verlangt die Seele nach Gewissheit. Eine solche innere Überzeugung ist das Ziel aller geistigen Suche, ungeachtet dessen, wie schnell oder allmählich die Bewegung sein mag. Für die Seele ist die Erfahrung der Bekehrung nicht ein beiläufiges oder zufälliges Merkmal der Erforschung religiöser Wahrheit, sondern die Schlüsselfrage, die letzten Endes behandelt werden muss. Die Worte Bahá’u’lláhs zu diesem Thema sind völlig eindeutig, und es kann keinen Zweifel darüber bei denen geben, die ihm dienen wollen: »Wahrlich, Ich sage, dies ist der Tag, an dem die Menschheit das Angesicht des Verheißenen schauen und Seine Stimme hören kann. Gottes Ruf ist erhoben, und das Licht Seines Antlitzes ist über den Menschen aufgegangen. Ein jeder sollte die Spuren jedes eitlen Wortes von der Tafel seines Herzens löschen und mit offenem, unvoreingenommenem Sinn fest auf die Zeichen Seiner Offenbarung, die Beweise Seiner Sendung und die Zeichen Seiner Herrlichkeit schauen.«Bahá’u’lláh, Ährenlese 7:1
Q68_12***69Eines der charakteristischen Merkmale der Moderne ist das weltweite Erwachen eines Geschichtsbewusstseins. Eine Konsequenz dieses revolutionären Perspektivwechsels fördert das Lehren der Botschaft Bahá’u’lláhs: Die Menschen können jetzt – wenn man ihnen die Gelegenheit dazu gibt – erkennen, dass alle Heiligen Schriften das Drama der Erlösung mitten in die Geschichte stellen. Unter der Oberfläche einer symbolischen und metaphorischen Sprache lassen die Heiligen Schriften erkennen, dass Religion nicht etwas Magisches ist, sondern in einem Prozess der Erfüllung wirkt, der sich in einer stofflichen Welt entfaltet, die von Gott eigens zu diesem Zweck erschaffen wurde.70In dieser Hinsicht sprechen die Texte wie mit einer Stimme: Ziel der Religion ist es, dass die Menschheit das Zeitalter der »Ernte«Bahá’u’lláh, Súratu’l-Haykal 126
Q erreicht, in dem »eine Herde und ein Hirte«Johannes 10:16
Q ist; das große Zeitalter, das kommt, wenn »die Erde erstrahlt im Lichte ihres Herrn«Qur’án 39:69
Q und der Wille Gottes verwirklicht ist »wie im Himmel so auf Erden«Matthäus 6:10
Q; der »verheißene Tag«Qur’án 85:2
Q, wenn die »heilige Stadt«Offenbarung 21:2
Q herniederkommen wird »vom Himmel, von … Gott«Offenbarung 3:12
Q, wenn »der Berg, da des Herrn Haus ist, fest stehen [wird], höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben, und alle Heiden werden herzulaufen«Jesaja 2:2
Q, wenn Gott wissen will »Warum zertretet ihr mein Volk und zerschlagt das Angesicht der Elenden«Jesaja 3:15
Q; der Tag an dem die Schriften, die »versiegelt [waren] bis auf die letzte Zeit«Daniel 12:9
Q geöffnet werden und die Vereinigung mit Gott sich ausdrücken wird in »einem neuen Namen …, welchen des Herrn Mund nennen wird«Jesaja 62:2
Q; ein Zeitalter, völlig jenseits von allem, was die Menschheit jemals erfahren, der Geist begriffen oder die Sprache bis jetzt umschrieben hat: »Wie Wir eine erste Schöpfung am Anfang gemacht haben, so machen Wir sie neu. Das ist ein Uns obliegendes Versprechen. Ja, wir werden es tun.«Qur’án 21:104
Q71Der erklärte Zweck der Kette prophetischer Offenbarungen in der Geschichte war folglich, nicht nur den individuellen Sucher auf den Pfad seiner persönlichen Erlösung zu führen, sondern die gesamte Menschheitsfamilie auf das große eschatologische Ereignis vorzubereiten, das vor ihr liegt und das Leben der ganzen Welt vollkommen verwandeln wird. Die Offenbarung Bahá’u’lláhs ist weder vorbereitend noch prophetisch. Sie ist dieses Ereignis. Durch ihren Einfluss ist das gewaltige Unternehmen, die Grundlage für das Reich Gottes zu legen, in Bewegung gebracht worden und die Bevölkerung der Erde wurde mit der Kraft und den Fähigkeiten ausgestattet, die für diese Aufgabe nötig sind. Dieses reich ist eine universale Zivilisation, die gestaltet ist von sozialer Gerechtigkeit und bereichert durch Errungenschaften des menschlichen Verstandes und des Geistes, jenseits all dessen, was die heutige Zeit erfassen kann. »Dies ist der Tag«
, erklärt Bahá’u’lláh, »da Gottes erhabenste Segnungen den Menschen zugeströmt sind, der Tag, da alles Erschaffene mit Seiner mächtigsten Gnade erfüllt wurde. … Bald wird die heutige Ordnung aufgerollt und eine neue an ihrer Statt entfaltet werden.«Bahá’u’lláh, Ährenlese 4:1,2
Q72Der Dienst an diesem Ziel erfordert, dass man den fundamentalen Unterschied versteht zwischen dem, was die Sendung Bahá’u’lláhs charakterisiert, und den politischen und ideologischen Projekten aus Menschenhand. Das moralische Vakuum, das die Schrecken des 20. Jahrhunderts hervorbrachte, hat den menschlichen Geist bis an seine äußerste Grenze geführt und gezeigt, dass er nicht in der Lage ist, ohne fremde Hilfe eine ideale Gesellschaft zu planen und zu konstruieren, wie viele materielle Ressourcen auch dafür eingesetzt werden. Das Leid, das daraus folgte, hat den Menschen eine Lektion erteilt, die sich tief in das Bewusstsein der Weltbevölkerung eingegraben hat. Die Perspektive der Religion für die Zukunft der Menschheit hat darum nichts gemein mit den Systemen der Vergangenheit und nur relativ wenig mit denen der Gegenwart. Sie spricht eine Wirklichkeit im ›genetischen Code‹ der vernunftbegabten Seele an, wenn man es so nennen kann. Das Himmelreich, so lehrte Jesus vor zweitausend Jahren, ist »mitten unter euch«Lukas 17:21
Q. Seine Analogien von einem »Weinberg«Matthäus 21:33
Q oder »auf gutes Land gesät«Matthäus 13:23
Q und dass »jeder gute Baum gute Früchte«Matthäus 7:17
Q bringt, sprechen von Fähigkeiten des Menschengeschlechts, die von Anfang an von Gott genährt und gebildet wurden, als Zweck und leitendes Prinzip des schöpferischen Prozesses. Die Fortführung der Aufgabe geduldiger Kultivierung hat Bahá’u’lláh der Gemeinde derer anvertraut, die Ihn erkennen und Seine Sache annehmen. Kein Wunder, dass Er in einer erhabenen Sprache von einem so großen Privileg spricht: »Ihr seid die Sterne am Himmel des Verstehens, der frische Wind, der am Morgen weht, das ruhig fließende Wasser, von dem das wahre Leben aller Menschen abhängt.«Bahá’u’lláh, Ährenlese 96:3
Q73Der Prozess trägt in sich selbst die Zusicherung seiner Erfüllung. Für jeden, der Augen hat zu sehen, entsteht heute überall die neue Schöpfung, genauso, wie ein Keimling zu einem Baum wird, der Früchte trägt und ein Kind erwachsen wird. Die aufeinanderfolgenden Offenbarungen eines liebenden und mächtigen Schöpfers haben die Bewohner der Erde an die Schwelle gebracht, erwachsen zu werden als ein einziges Volk. Bahá’u’lláh ruft nun die Menschheit zusammen, ihr Erbe anzutreten. »Die wirksamste Arznei, das mächtigste Mittel, das der Herr für die Heilung der Welt verfügt hat, ist die Vereinigung aller Völker in einer allumfassenden Sache, in einem gemeinsamen Glauben.«Bahá’u’lláh, Ährenlese 120:3
QBibliografieb.:1Bahá’u’lláhb.:2Ährenlese. Eine Auswahl aus den Schriften Bahá’u’lláhs, zusammengestellt und ins Englische übertragen von Shoghi Effendi, 4. revidierte Auflage, Hofheim 1999b.:3Botschaften aus ‘Akká, Hofheim 1982b.:4Brief an den Sohn des Wolfes, Hofheim 1966b.:5Das Buch der Gewissheit – KitábiÍqán, 4. revidierte Auflage, Hofheim 2000b.:6Gebete und Meditationen, 3. revidierte Auflage, Hofheim 1992b.:7Súratu’l-Haykal, in: The Summons of The Lord of Hostsb.:8Botschaften aus Akká, Hofheim 1982b.:9Die Sieben Täler – Die Vier Täler, 4. Auflage, Hofheim 1997b.:10‘Abdu’lBaháb.:11Briefe und Botschaften, Hofheim 1992b.:12Das Geheimnis göttlicher Kultur, Hofheim 1973b.:13Promulgation of Universal Peace, 2. Auflage, Wilmette 1982b.:14Das Testament, in: Bahá’u’lláh/‘Abdu’lBahá: Dokumente des Bündnisses, Hofheim 1989b.:15Shoghi Effendib.:16Das Kommen göttlicher Gerechtigkeit, Frankfurt 1969
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