Universales Haus der Gerechtigkeit | Die Verheißung des Weltfriedens
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Zwei Kernpunkte sollten bei allen diesen Problemkreisen betont werden. Zum einen ist die Abschaffung des Krieges nicht einfach eine Sache der Unterzeichnung von Verträgen und Protokollen. Es ist vielmehr eine vielschichtige Aufgabe, die auf neuer Ebene den Einsatz erfordert, Probleme zu lösen, die üblicherweise nicht mit dem Streben nach Frieden in Verbindung gebracht werden. Die Vorstellung kollektiver Sicherheit bleibt eine Chimäre, wenn sie allein auf politischen Abmachungen beruht. Zum anderen besteht die Herausforderung bei der Behandlung der Friedensfrage hauptsächlich darin, dass die Zusammenhänge vom reinen Pragmatismus auf die Ebene der Prinzipien gehoben werden; denn der Frieden erwächst dem Wesen nach aus einem inneren Zustand, getragen von einer geistigen oder ethischen Einstellung, und es geht vor allem darum, diese Einstellung wachzurufen, damit sich die Möglichkeit zu dauerhaften Lösungen findet.
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Es gibt geistige Prinzipien – oder, wie manche sie nennen, menschliche Werte –‚ mit denen sich für jedes gesellschaftliche Problem Lösungen finden lassen. Jede Gruppe mit guten Absichten kann sich im Allgemeinen praktische Lösungen für ihre Probleme ausdenken, aber gute Absichten und praktisches Können allein reichen normalerweise nicht aus. Geistige Prinzipien haben den wesentlichen Vorzug, dass sie nicht nur eine Sichtweise eröffnen, die mit dem Wesen des Menschen in Einklang steht, sondern auch eine Haltung vermitteln, eine treibende Kraft, ein Wollen, ein Sehnen, die es erleichtern, praktische Maßnahmen zu finden und in die Wege zu leiten. Staatslenker und alle mit Amtsgewalt Ausgestatteten wären gut beraten, wenn sie in ihren Bemühungen um die Lösung der Probleme die einschlägigen Prinzipien festzustellen suchten und sich dann von diesen leiten ließen.
III .
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Die Hauptfrage, die es zu lösen gilt, lautet, wie die heutige Welt mit ihren tiefsitzenden Konfliktstrukturen in eine Welt verwandelt werden kann, in der Eintracht und Zusammenarbeit vorherrschen.
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Die Weltordnung lässt sich nur auf das unerschütterliche Bewusstsein von der Einheit der Menschheit gründen, eine geistige Wahrheit, die alle Humanwissenschaften bestätigen. Anthropologie, Physiologie und Psychologie kennen nur eine Gattung Mensch, wenngleich unendlich mannigfaltig in den sekundären Aspekten des Lebens. Wer diese Wahrheit anerkennt, muss vorurteilsfrei werden. Vorurteile jeglicher Art müssen abgelegt werden: Vorurteile der Rasse, Klasse, Hautfarbe, Religion, Nation, des Geschlechts, des Lebensstandards, alles, was Menschen ermöglicht, sich anderen überlegen zu dünken.
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Die Anerkennung der Einheit der Menschheit ist die erste, grundlegende Voraussetzung für die Neuordnung und rechtliche Gestaltung der Welt als ein Land, als die Heimat der Menschheit. Die weltweite Annahme dieses geistigen Grundsatzes ist wesentlich für jeden tauglichen Versuch, den Weltfrieden zu errichten. Der Grundsatz muss daher weltweit verkündet, in den Schulen gelehrt und in jedem Land beharrlich zur Geltung gebracht werden, als Vorbereitung auf den durch ihn bedingten organischen Wandel der Gesellschaftsstruktur.
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Nach Auffassung der Bahá’í erfordert die Anerkennung der Einheit der Menschheit »nichts Geringeres als die Neuordnung und Entmilitarisierung der gesamten zivilisierten Welt – einer Welt, die in allen Grundfragen des Lebens, in ihrem politischen Mechanismus, ihren geistigen Bestrebungen, in Handel und Finanzwesen, Schrift und Sprache organisch zusammengewachsen und doch in den nationalen Eigenarten ihrer verbündeten Staatenglieder von einer unendlichen Mannigfaltigkeit ist.«
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In seinen Erläuterungen über den Sinn dieses zentralen Prinzips hat Shoghi Effendi, der Hüter der Bahá’í-Religion, 1931 ausgeführt: »Weit davon entfernt, auf den Umsturz der bestehenden Gesellschaftsordnung abzuzielen, sucht es ihre Grundlage zu erweitern, ihre Institutionen auf eine Weise umzugestalten, die mit den Bedürfnissen einer stets sich wandelnden Welt in Einklang steht. Es kann mit keiner rechtmäßigen Untertanenpflicht in Widerspruch sein, noch kann es wirkliche Treue untergraben. Seine Absicht ist weder, die Flamme einer vernünftigen Vaterlandsliebe in den Herzen der Menschen zu ersticken, noch den Grundsatz nationaler Selbständigkeit abzuschaffen, der so wesentlich ist, wenn die Übel übertriebener Zentralisation vermieden werden sollen. Es übersieht weder die Vielfalt der völkischen Herkunft, des Klimas, der Geschichte, Sprache und Überlieferung, des Denkens und der Gewohnheit, die die Völker und Nationen der Welt unterschiedlich gestalten, noch versucht es, sie auszumerzen. Es ruft nach größerer Treue, stärkerem Bemühen als irgendein anderes, das je die Menschenwelt beseelt hat. Es besteht auf der Unterordnung nationaler Regungen und Belange unter die zwingenden Ansprüche einer geeinten Welt. Es verwirft einerseits die übersteigerte Zentralisation und entsagt zum anderen allen Versuchen der Gleichmacherei. Seine Losung ist Einheit in der Mannigfaltigkeit …«
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Diese Ziele erfordern eine stufenweise Anpassung in den Bestrebungen nationaler Politik, die jetzt in Ermangelung klar definierter Gesetze oder allgemein anerkannter, durchsetzbarer Prinzipien zur Regelung der Beziehungen zwischen den Völkern die Züge der Anarchie tragen. Der Völkerbund, die Vereinten Nationen und die vielen durch sie geschaffenen Organisationen und Abkommen haben zweifellos geholfen, einige negative Auswirkungen internationaler Konflikte abzumildern; sie haben sich jedoch als untauglich erwiesen, den Krieg zu verhüten. Bekanntlich gab es seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges eine große Zahl von Kriegen; viele toben noch heute.
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Die wesentlichen Aspekte dieses Problems waren bereits im 19. Jahrhundert erkennbar, als Bahá’u’lláh erstmals seine Vorschläge für die Errichtung des Weltfriedens vortrug. In seinen Botschaften an die Herrscher der Welt hat er das Prinzip der kollektiven Sicherheit dargelegt. Shoghi Effendi stellt dazu fest: »Was können diese schwerwiegenden Worte anderes bedeuten als den Hinweis, dass die Einschränkung der vollen nationalen Souveränität als unerlässlicher erster Schritt zur Bildung des künftigen Gemeinwesens aller Nationen der Erde unumgänglich geworden ist? Ein Welt-Überstaat, an den alle Nationen der Erde willig den Anspruch, Krieg zu führen, gewisse Rechte der Steuererhebung und alle Rechte auf Kriegsrüstung außer zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung in ihren Gebieten abtreten – ein solcher Staat muss notwendigerweise in irgendeiner Form entwickelt werden. Sein Organisationsrahmen wird eine internationale Exekutive einschließen müssen, die jedem widerspenstigen Mitglied der Gemeinschaft ihre höchste, unantastbare Autorität aufzwingen kann; ein Weltparlament, dessen Mitglieder durch das Volk aller Länder gewählt und in ihrer Amtsübernahme von den jeweiligen Regierungen bestätigt werden, sowie einen Obersten Gerichtshof, dessen Urteil bindende Gültigkeit haben wird, selbst in Fällen, in denen die Parteien ihren Streit nicht freiwillig seiner Rechtsfindung unterwerfen.«
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»Eine Weltgemeinschaft, in der alle wirtschaftlichen Schranken für immer niedergerissen werden, in der die gegenseitige Abhängigkeit von Kapital und Arbeit ausdrücklich anerkannt wird, in der das Geschrei religiösen Eifers und Streites endgültig verstummt ist, in der die Flamme des Rassenhasses ein für alle Mal gelöscht ist, deren einheitliches System internationalen Rechts als Ergebnis der wohlüberlegten Entscheidung der weltweit vereinigten Volksvertreter durch das sofortige, zwingende Eingreifen der vereinten Streitkräfte der Verbündeten sanktioniert wird; und schließlich: eine Weltgemeinschaft, in der der Sturm eines tollkühn-militanten Nationalismus in ein dauerhaftes Bewusstsein des Weltbürgertums verwandelt ist – so wahrlich sieht, in groben Zügen gezeichnet, die von Bahá’u’lláh vorausgeschaute Ordnung aus, eine Ordnung, die einmal als die edelste Frucht eines langsam heranreifenden Zeitalters betrachtet werden wird.«
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Die Durchführung dieser weitreichenden Maßnahmen hat Bahá’u’lláh angekündigt: »Die Zeit muss kommen, da die gebieterische Notwendigkeit für die Abhaltung einer ausgedehnten, allumfassenden Versammlung der Menschen weltweit erkannt wird. Die Herrscher und Könige der Erde müssen ihr unbedingt beiwohnen, an ihren Beratungen teilnehmen und solche Mittel und Wege erörtern, die den Grund zum Größten Weltfrieden unter den Menschen legen.«
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Der Mut, die Entschlossenheit, das lautere Motiv, die selbstlose Liebe eines Volkes für das andere – all die geistigen und ethischen Werte, die für diesen gewaltigen Schritt zum Frieden erforderlich sind, treffen zusammen im Willen zur Tat. Um diesen notwendigen Willensakt hervorzurufen, muss der Wirklichkeit des Menschen, nämlich seinem Denken, ernsthafte Beachtung geschenkt werden. Will man die Bedeutung dieser machtvollen Wirklichkeit verstehen, so muss man begreifen, dass es gesellschaftlich notwendig ist, den einzigartigen Wert des Denkens in offene, leidenschaftslose und aufrichtige Beratung umzusetzen und den Ergebnissen dieses Prozesses gemäß zu handeln. Bahá’u’lláh wies nachdrücklich auf den hohen Wert und die Unerlässlichkeit der Beratung bei der Gestaltung der menschlichen Beziehungen hin. Er erklärte: »Beratung verleiht tiefere Kenntnis und verwandelt Vermutung in Gewissheit. Sie ist ein strahlendes Licht, welches in einer dunklen Welt den Weg weist und Führung gibt. Für alles gibt es und wird es immer eine Stufe der Vollendung und Reife geben. Die Gabe der Einsicht zeigt ihre Reife in der Beratung.« Gerade der Versuch, den Frieden durch die von Bahá’u’lláh vorgeschlagenen Beratungsprozesse zu erreichen, vermag einen derart heilsamen Geist unter den Völkern der Erde freizusetzen, dass keine Macht dem letztendlichen Triumph widerstehen könnte.
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Zum Verfahren jener Weltversammlung hat ‘Abdu’l-Bahá, Bahá’u’lláhs Sohn und bevollmächtigter Interpret seiner Lehren, folgende Einsichten dargelegt: »Sie müssen die Friedensfrage zum Gegenstand gemeinsamer Beratung machen und mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln versuchen, einen Weltbundesstaat zu schaffen. Sie müssen einen verbindlichen Vertrag schließen, einen Bund gründen, dessen Verfügungen eindeutig, unverletzlich und bestimmt sind. Sie müssen ihn der ganzen Welt bekannt geben und die Bestätigung der gesamten Menschheit dafür erlangen. Dieses erhabene, edle Unterfangen – der wahre Quell des Friedens und Wohlergehens für alle Welt – sollte allen, die auf Erden wohnen, heilig sein. Alle Kräfte der Menschheit müssen freigemacht werden, um die Dauer und den Bestand dieses größten aller Bündnisse zu sichern. In diesem allumfassenden Vertrag sollten die Grenzen jedes einzelnen Landes deutlich festgelegt, die Grundsätze für die Beziehungen der Regierungen untereinander klar verzeichnet und alle internationalen Vereinbarungen und Verpflichtungen bekräftigt werden. In gleicher Weise sollte der Umfang der Rüstungen für jede Regierung genauestens umgrenzt werden, denn wenn die Zunahme der Kriegsvorbereitungen und Truppenstärken in einem Land gestattet würde, so würde dadurch das Misstrauen anderer geweckt werden. Die Hauptgrundlage dieses feierlichen Vertrages sollte so festgelegt werden, dass bei späterer Verletzung einer Bestimmung durch eine Regierung sich alle Regierungen der Erde erheben, um jene wieder zu voller Unterwerfung unter den Vertrag zu bringen, nein, die gesamte Menschheit sollte sich entschließen, mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln jene Regierung zu stürzen. Wird dieses größte aller Heilmittel auf den kranken Weltkörper angewandt, so wird er sich gewiss wieder von seinen Leiden erholen und dauernd bewahrt und heil bleiben.«
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Diese machtvolle Versammlung ist längst überfällig.
4:13
Von ganzem Herzen appellieren wir an die Staatsmänner, diese günstige Stunde zu nutzen und unwiderrufliche Schritte zur Einberufung dieser Weltversammlung zu unternehmen. Alle Kräfte der Geschichte drängen die Menschheit zu dieser Tat, die für alle Zeiten den Anbruch ihrer langerwarteten Reife kennzeichnen wird.
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Wollen sich nicht die Vereinten Nationen mit voller Unterstützung ihrer Mitgliedstaaten zu den hohen Zielen eines derart glorreichen Ereignisses erheben?
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Mögen Männer und Frauen, Jugend und Kinder allenthalben den ewigen Wert dieser zwingend notwendigen Tat für alle Völker erkennen und ihre Stimme in williger Zustimmung erheben. Möge es die heutige Generation sein, die diesen ruhmreichen Abschnitt in der Entwicklung des gesellschaftlichen Lebens auf dem Planeten eröffnet.
IV.
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Die Quelle unseres Optimismus ist eine Vision, die über die Abschaffung des Krieges und das Schaffen von Behörden internationaler Zusammenarbeit weit hinausgeht. Dauerhafter Frieden unter den Völkern ist ein wesentliches Stadium, aber, wie Bahá’u’lláh erklärt, nicht das letztliche Ziel der gesellschaftlichen Entwicklung der Menschheit. Jenseits des anfänglichen, der Menschheit durch die Angst vor dem atomaren Inferno aufgezwungenen Waffenstillstands, jenseits des politischen Friedens, den misstrauisch rivalisierende Staaten widerwillig eingehen, jenseits der pragmatischen Vereinbarungen über Sicherheit und Koexistenz, selbst jenseits der zahlreichen Versuche der Zusammenarbeit, die diese Schritte ermöglichen werden, steht als krönender Abschluss: die Vereinigung aller Völker dieser Welt in einer universalen Familie.
5:2
Uneinigkeit ist eine Gefahr, welche die Staaten und Völker auf Erden nicht länger ertragen können; die Folgen sind zu entsetzlich, als dass sich darüber nachdenken ließe, zu offensichtlich, als dass sie einer Darlegung bedürften. »Das Wohlergehen der Menschheit, ihr Friede und ihre Sicherheit sind unerreichbar, wenn und ehe nicht ihre Einheit fest begründet ist«, schrieb Bahá’u’lláh vor über einem Jahrhundert. »Das ganze Menschengeschlecht stöhnt und schmachtet danach, zur Einheit geführt zu werden und sein lange Zeitalter währendes Martyrium zu beenden«, stellt Shoghi Effendi fest und führt dazu aus: »Die Vereinigung der ganzen Menschheit ist das Kennzeichen der Stufe, der sich die menschliche Gesellschaft heute nähert. Die Einheit der Familie, des Stammes, des Stadtstaates und der Nation ist nacheinander in Angriff genommen und völlig erreicht worden. Welteinheit ist das Ziel, dem eine gequälte Menschheit zustrebt. Der Aufbau von Nationalstaaten ist zu einem Ende gekommen. Die Anarchie, die der nationalstaatlichen Souveränität anhaftet, nähert sich heute einem Höhepunkt. Eine Welt, die zur Reife heranwächst, muss diesen Fetisch aufgeben, die Einheit und Ganzheit der menschlichen Beziehungen erkennen und ein für alle Mal den Apparat aufrichten, der diesen Leitgrundsatz ihres Daseins am besten zu verkörpern vermag.«
5:3
Alle gegenwärtigen Kräfte des Wandels bestätigen diese Ansicht. Die Beweise lassen sich an den vielen bereits genannten Beispielen günstiger Zeichen für den Weltfrieden aus den heutigen internationalen Bewegungen und Entwicklungen ablesen. Das Heer der Männer und Frauen aus praktisch allen Kulturen, Rassen und Nationen auf Erden, das in den vielfältigen Behörden der Vereinten Nationen Dienst tut, verkörpert einen weltumspannenden ›Öffentlichen Dienst‹, dessen eindrucksvolle Leistungen für ein hohes Maß an Zusammenarbeit, selbst unter entmutigenden Bedingungen, kennzeichnend sind. Ein Drang zur Einheit kommt, einem geistigen Frühling gleich, in zahllosen internationalen Kongressen zum Ausdruck, die Menschen aus einem breiten Spektrum von Wissensgebieten zusammenführen. Er ist Triebkraft für kinder- und jugendbezogene internationale Vorhaben. Er ist in der Tat die eigentliche Quelle der bemerkenswerten Bewegung der Ökumene, die Anhänger historisch verfeindeter Religionen und Sekten unwiderstehlich zueinander hinzuziehen scheint. Der Drang zur Welteinheit ist im unablässigen Ringen mit der entgegengesetzten Tendenz zu Kriegsführung und Selbstverherrlichung einer der beherrschenden, allgegenwärtigen Wesenszüge des Lebens auf dem Planeten im ausgehenden 20. Jahrhundert.
5:4
In den Erfahrungen der Bahá’í-Gemeinschaft kann man ein Beispiel für diese wachsende Einheit sehen. Sie ist eine Gemeinschaft von etwa drei bis vier Millionen Menschen aus vielen Völkern, Kulturkreisen, Klassen und Glaubensrichtungen, die sich in vielen Ländern auf einem weiten Tätigkeitsfeld dem Dienst an den geistigen, sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnissen der Völker widmen, ein einziger gesellschaftlicher Organismus, repräsentativ für die Mannigfaltigkeit der Menschheitsfamilie. Sie regelt ihre Angelegenheiten durch ein System allgemein anerkannter Beratungsprinzipien und achtet alle großen Offenbarungen der Führung Gottes in der Menschheitsgeschichte gleichermaßen hoch. Ihre Existenz ist ein weiterer überzeugender Beweis für die praktische Anwendbarkeit der Vision ihres Stifters von einer geeinten Welt, ein weiteres Zeugnis dafür, dass die Menschheit als globale Gesellschaft leben kann und jeder Herausforderung, die ihr Eintritt in das Mündigkeitsalter mit sich bringt, gewachsen ist. Wenn die Erfahrungen der Bahá’í, in welchem Ausmaß auch immer, etwas dazu beitragen können, die Hoffnung auf Einheit des Menschengeschlechts zu stärken, schätzen wir uns glücklich, sie als Studienmodell anzubieten.
5:5
Die überragende Tragweite der Aufgabe vor Augen, die jetzt die ganze Welt herausfordert, beugen wir das Haupt in Demut vor der ehrfurchtgebietenden Majestät Gottes, des Schöpfers, der aus Seiner unendlichen Liebe die ganze Menschheit aus demselben Stamm erschaffen, die juwelengleiche Wirklichkeit des Menschen geadelt, sie mit Verstand und Weisheit, edler Gesinnung und Unsterblichkeit ausgezeichnet und dem Menschen die »einzigartige Auszeichnung, Würde und Fähigkeit« verliehen hat, »Ihn zu erkennen und zu lieben« – eine Fähigkeit, die »notwendigerweise als der der gesamten Schöpfung zugrundeliegende schöpferische Antrieb und Hauptzweck anzusehen ist«.
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Es ist unsere tiefe Überzeugung, dass alle Menschen dazu erschaffen sind, »eine ständig fortschreitende Kultur voranzutragen«, dass »wie die Tiere auf dem Felde zu leben, des Menschen unwürdig« ist, dass die der Menschenwürde entsprechenden Tugenden Vertrauenswürdigkeit, Nachsicht, Barmherzigkeit, Mitleid und Güte gegenüber allen Menschen sind. Wir bekräftigen erneut unseren Glauben, dass »die Möglichkeiten, die der Stufe des Menschen innewohnen, das volle Maß seiner Bestimmung auf Erden, der angeborene Vorzug seiner Wirklichkeit, an diesem verheißenen Tag Gottes offenbar werden müssen«. Dies sind die Beweggründe für unseren unerschütterlichen Glauben, dass Einheit und Frieden das erreichbare Ziel sind, dem die Menschheit zustrebt.
5:7
Während dies niedergeschrieben wird, sind die erwartungsvollen Stimmen von Bahá’í zu vernehmen, ungeachtet der Verfolgung, die sie im Geburtsland ihres Glaubens noch immer erdulden. Durch ihr Beispiel standhafter Hoffnung legen sie Zeugnis ab für den Glauben, dass die Stunde der Verwirklichung dieses jahrtausendealten Friedenstraumes heute durch die verwandelnde, mit göttlicher Vollmacht versehene Wirkkraft der Offenbarung Bahá’u’lláhs gekommen ist. So vermitteln wir Ihnen nicht nur eine Vision mit Worten: Wir bieten die Macht der Taten des Glaubens und des Opfers auf, wir übermitteln das erwartungsvolle Plädoyer unserer Glaubensbrüder und -schwestern allenthalben für Frieden und Freiheit. Wir fühlen uns verbunden mit allen Opfern der Aggression, mit allen, die sich nach einem Ende von Kampf und Streit sehnen, mit allen, deren Hingabe an die Grundsätze des Friedens und der Weltordnung die edlen Ziele fördern, zu denen die Menschheit durch einen alliebenden Schöpfer ins Dasein gerufen wurde.
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In dem aufrichtigen Wunsch, Ihnen unsere inbrünstige Hoffnung und unser tiefes Vertrauen kundzutun, zitieren wir die nachdrückliche Verheißung Bahá’u’lláhs: »Diese fruchtlosen Kämpfe, diese zerstörenden Kriege werden aufhören und der ›Größte Friede‹ wird kommen.«
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Das Universale Haus der Gerechtigkeit
Nachwort
b.1:1
Verfasser der vorstehenden Botschaft an die Völker der Welt ist das Universale Haus der Gerechtigkeit, das oberste Führungsgremium der Religionsgemeinschaft der Bahá’í. Diese vom Stifter des Glaubens, Bahá’u’lláh, eingesetzte, vom Volk der Gläubigen gewählte und für den gesamten Erdkreis zuständige Körperschaft hat ihren Sitz an den Hängen des Berges Karmel in Haifa.
b.1:2
Bahá’u’lláh (1817–1892) hatte während seines prophetischen Wirkens – vierzig Jahre verbannt und gefangen vom persischen Schah und dem türkischen Sultan – von Adrianopel und Akká/Palästina aus Botschaften an die damaligen geistlichen und weltlichen Herrscher des Morgen- und des Abendlandes (u.a. an Napoleon III., Kaiser Wilhelm L, Kaiser Franz Joseph, Queen Victoria, Zar Alexander II., Schah Náṣiri’d-Dín, Sultan ‘Abdu’l-‘Azíz, Papst Pius IX.) gerichtet, in denen er sie in eindringlicher Sprache aufrief, abzurüsten, ihre Machtpolitik aufzugeben und den Weltfrieden zu begründen. Auszüge dieser Botschaften hat das Universale Haus der Gerechtigkeit 1967, hundert Jahre nach deren Verkündigung, den Herrschern der Welt zugeleitet. Die vorstehende Botschaft ist ein weiterer Aufruf, in dieser kritischen Stunde die ideologischen Gegensätze hintanzustellen und eine übergreifende, die nationale Souveränität überwindende Völkerordnung zu schaffen, in der der Krieg für alle Zeiten gebannt sein wird.
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