‘Abdu’l-Bahá
Auf den Pfaden der Gottesliebe
Makála-i-Shakhṣí Sayyáḥ
Über den Báb und Seine Zeit
1Kommt man auf die Gestalt zu sprechen, die man als den Báb kennt, und will wissen, was Seine Gemeinde wirklich ist, so bekommt man viele Märchen aus aller Munde zu hören; in persischen Geschichtsbüchern und europäischen Chroniken stehen vielerlei Geschichten. Doch weil deren Behauptungen so unterschiedlich, die Erzählungen so verschieden sind, ist keine so glaubwürdig, wie sie sein sollte. Manche sind voll schärfster Kritik und ablehnend, manch ausländischer Bericht ist um Anerkennung bemüht, und bestimmte Autoren zeichneten auf, was sie selbst gehört haben, ohne sich auf Kritik oder Beifall einzulassen.
2Da man diese verschiedenen Berichte in anderen Büchern nachlesen kann und es zu weitschweifig wäre, wollte man sie alle zitieren, soll hier in Kürze die Geschichte der Bewegung dargestellt werden – und was ich mit größtmöglicher Sorgfalt auf meinen Reisen gesammelt habe – aus allen Teilen Persiens, nah und fern, von Ortsfremden und Einheimischen, von Freunden und Feinden – und worüber Einmütigkeit herrscht, damit, wer nach dem Brunnen des Wissens dürstet und mit allen Geschehnissen vertraut werden will, eine Zusammenfassung des Tatbestandes zur Hand nehmen kann.
3Der Báb war ein junger Kaufmann reiner Abstammung
4Als Er im Jahre 1260 (d.H.) in Seinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr stand, zeigten sich in Seinem Verhalten, Seinen Lebensgewohnheiten und Seinem Auftreten bestimmte Züge, die in Shíráz deutlich machten, daß Er einen geistigen Kampf in sich austrug, daß Seine Schwingen Ihn zu höheren Zielen trugen. Er begann zu reden und beanspruchte die Stufe des Báb
5So findet sich unter anderem der Satz: »O Du Spur Gottes! Dir habe ich mich ganz geopfert; um Deinetwillen habe ich Flüche auf mich genommen, und auf dem Pfade Deiner Liebe habe ich nur den Märtyrertod ersehnt. Gott, der Erhabene, genügt als ewiger Schutz.«
6Auch verfaßte Er eine Anzahl Arbeiten zur Erläuterung von Qur’ánversen, Predigten und Gebeten in arabischer Sprache und forderte die Menschen eindringlich auf, das Erscheinen
7Das war in den Augen der Menschen übernatürlich, denn es war bekannt, daß Er keine theologische Ausbildung hatte. Einige fühlten sich von Ihm angezogen, der größere Teil aber bekundete starkes Mißfallen, während all die gelehrten Doktoren und angesehenen Juristen, die Stühle, Altäre und Kanzeln innehatten, einhellig für die Unterdrückung und Ausrottung [dieser Häresie] stimmten, ausgenommen einige Geistliche der Shaykhí-Schule, Klausner und Einsiedler, die entsprechend ihrer Lehre immer nach einer großen, unvergleichlichen, vertrauenerweckenden Person gesucht hatten, die sie gemäß ihrer eigenen Terminologie als den ›Vierten Pfeiler‹
8Aus diesem Kreis kamen Mullá Ḥusayn aus Bushrúyih, Mírzá Aḥmad aus Azghand, Mullá Ṣádiq Muqaddas (›der Heilige‹), Shaykh Abú-Turáb aus Ishtihárd, Mullá Yúsuf aus Ardibíl, Mullá Jalíl aus Urúmíyyih, Mullá Mihdí aus Kand, der Inder Shaykh Sa‘íd, Mullá ‘Alí aus Basṭám und andere zu Ihm und verteilten sich anschließend über ganz Persien.
9Der Báb selbst machte sich auf, das Haus Gottes zu umschreiten.
10Und weil die persischen Schriftgelehrten von Staatskunst nichts verstehen, dachten sie, man könne die Sache mit Gewalt ersticken und zum Schweigen bringen, damit sie aus der Welt und in Vergessenheit geriete; doch wenn man sich in Gewissensangelegenheiten einmischt, wirkt dies, wie die Erfahrung immer wieder bestätigt, nur festigend, es erregt Aufmerksamkeit und zieht die Seelen an. So sorgte diese Strafe für öffentliches Aufsehen und bewog viele Menschen dazu, sich zu erkundigen.
11Der Gouverneur von Fárs tat, was den Doktoren ratsam schien, schickte mehrere Berittene, ließ den Báb vorführen, tadelte und schalt Ihn vor den anwesenden Doktoren und Gelehrten und forderte Seinen Widerruf. Und als der Báb die Vorwürfe zurückwies und sich behauptete, beleidigten und beschimpften sie Ihn, und auf einen Wink des Vorsitzenden versetzten sie Ihm einen so heftigen Schlag, daß Ihm der Turban vom Kopf fiel und auf Seinem Gesicht sich der Striemen von dem Schlag abzeichnete. Am Ende der Zusammenkunft beschlossen sie zu beraten, und nachdem sich Sein Onkel Ḥájí Siyyid ‘Alí für Ihn verbürgt und Sicherheit geleistet hatte, schickten sie Ihn nach Hause und verboten Ihm jeden Verkehr mit Vertrauten und Fremden.
12Eines Tages riefen sie Ihn in die Moschee und nötigten Ihn heftig zu widerrufen, Er aber redete von der Kanzel in einer
13Jedenfalls schwirrten die Gerüchte, weil, wie gesagt, die Schriftgelehrten in Verwaltungsdingen weder Erfahrung noch Fähigkeiten besaßen und eine Flut von Beschlüssen faßten. Ihr Streit mit dem Báb löste Tumult in ganz Persien aus, schuf wachsende Begeisterung bei den Freunden und ermutigte die Zögernden zum Aufbruch. Denn durch diese Vorkommnisse nahm das Interesse der Menschen zu, und überall in Persien kehrten sich Diener [Gottes] Ihm zu, bis die Angelegenheit solches Gewicht gewann, daß der verstorbene König Muḥammad Sháh
14Als der Siyyid nach Shíráz kam, führte er mit dem Báb drei Gespräche. Bei den ersten beiden Begegnungen wechselten Frage und Antwort; bei der dritten bat er um einen Kommentar zur Súrih Kawthar
15Als nun die Nachricht von den Schlußfolgerungen der Doktoren und das Geschrei der Rechtsgelehrten nach Zanján drangen, sandte der Geistliche Mullá Muḥammad-‘Alí, ein überzeugend redegewandter Mann, einen Vertrauensmann nach Shíráz, um die Angelegenheit untersuchen zu lassen. Nachdem dieser Mann sich gebührend mit den Vorkommnissen bekannt gemacht hatte, kehrte er mit einigen Schriften [des Báb] zurück. Als der Geistliche hörte, wie die Sache stand, und sich mit den Schriften vertraut gemacht hatte, verlor er, ungeachtet der Tatsache, daß er als erfahrener und hochgelehrter Mann bekannt war, die Fassung, wie das Schicksal es wollte: Er packte seine Bücher im Studierzimmer zusammen und sagte: »Die Zeit des Frühlings und des Weins ist da«, und tat den Spruch: »Nach Wissen suchen, wo man Wissen schon hat, ist sträflich.« Dann forderte er von der Kanzel herab alle seine Schüler auf, [die Lehre anzunehmen]. Danach schrieb er an den Báb und bekannte sich zum Glauben.
16In Seiner Antwort verdeutlichte ihm der Báb die Pflicht des Gemeinschaftsgebets
17Obwohl die Doktoren von Zanján mit Herz und Seele ans Werk gingen, die Menschen zu ermahnen, erreichten sie nichts. Schließlich sahen sie sich veranlaßt, sich an Ṭihrán zu wenden und sich bei dem damaligen König Muḥammad Sháh zu beschweren und ihn zu bitten, Mullá Muḥammad-‘Alí nach Ṭihrán vorzuladen. So erging der königliche Befehl, daß er erscheinen solle.
18Als er nach Ṭihrán kam, führte man ihn vor eine Versammlung von Schriftgelehrten, aber wie berichtet wird, kam man mit ihm nach vielen Disputen zu keinem Ergebnis. Der König verlieh ihm einen Stab
19Jedenfalls verbreitete sich diese Neuigkeit in ganz Persien, und mehrere Bekehrte kamen nach Fárs. Da begriffen die Schriftgelehrten, daß die Sache wichtig wurde, daß ihren Händen die Macht, damit umzugehen, entglitten war und daß Kerker, Prügel, Folter und Schmähungen fruchtlos blieben. Daher bedeuteten sie Ḥusayn Khán, dem Gouverneur von Fárs: »Wenn du das Feuer löschen und die Spaltung sicher aufhalten willst, gibt es entschieden nur ein wirksames Mittel: den Báb zu töten. Außerdem hat der Báb ein großes Heer versammelt und plant einen Aufstand.«
20Also befahl Ḥusayn Khán dem Polizeichef ‘Abdu’l-Ḥamíd Khán, das Haus des Mutteronkels des Báb um Mitternacht von allen Seiten zu überfallen und ihm den Báb und Seine Anhänger in Handschellen vorzuführen. Aber ‘Abdu’l-Ḥamíd Khán und seine Truppen fanden im Haus nur den Báb, Seinen Onkel und Siyyid Káẓim aus Zanján vor. Und zufällig brach gerade in dieser Nacht bei extrem heißem Wetter eine Seuche aus und veranlaßte Ḥusayn Khán zur Flucht. So entließ er den Báb unter der Auflage, die Stadt zu verlassen
21Am Morgen danach machte sich der Báb mit Siyyid Káẓim von Shíráz auf nach Iṣfahán. Bevor sie dort ankamen, schrieb Er einen Brief an den Mu‘tamidu’d-Dawlih, den Gouverneur der Provinz, und bat um eine geeignete, von der Regierung genehmigte Unterkunft. Der Gouverneur wies Ihm das Haus des Imám-Jum‘ih zu. Dort wohnte Er vierzig Tage lang und schrieb eines Tages auf Ersuchen des Imáms in dessen Anwesenheit ohne lange zu überlegen einen Kommentar zur ›Súrih V’al-‘Aṣr‹
22Da gab der Mu‘tamid den Befehl, daß alle Schriftgelehrten zusammenkommen und auf einer gemeinsamen Sitzung mit dem Báb diskutieren sollten und daß sein Privatsekretär die Diskussion wortwörtlich mitschreiben solle, damit die Aufzeichnung nach Ṭihrán gesandt, und was des Königs Erlaß dann verfüge, ausgeführt werde.
23Aber weil die Schriftgelehrten meinten, daß dieser Plan das Gesetz umgehe, waren sie nicht damit einverstanden, sondern hielten eine Sitzung ab und schrieben: »Zusammenkunft und Diskussion sind dann nötig, wenn ein Zweifel über eine Sache besteht, da diese Person aber klarer als die Sonne im Widerspruch zum leuchtendsten Gesetz steht, ist es am besten, den Spruch des Gesetzes anzuwenden.«
24Da wünschte der Mu‘tamid, daß die Zusammenkunft in seiner Gegenwart stattfinde, damit die Wahrheit aufgedeckt und die Herzen beruhigt werden, aber mit Ausnahme des äußerst belesenen Weisen Áqá Muḥammad-Mihdí und des bedeutenden Platonisten Mírzá Ḥasan aus Núr billigten diese
25Dementsprechend ließ er Ihn mit einer Abteilung seiner berittenen Leibgarde aus Iṣfahán fortreiten. Als sie aber nach Múrchih-Khár
26Auf diese Weise vergingen vier Monate, und der Mu‘tamid verschied zur Barmherzigkeit Gottes. Gurgín Khán, der Neffe des Mu‘tamid, wußte vom Aufenthalt des Báb in den Privatgemächern und stellte die Angelegenheit dem Premierminister dar. Ḥájí Mírzá Áqásí, der berühmte Minister, befahl, den Báb heimlich und verkleidet, eskortiert von Nuṣayrí-Reitern, in die Hauptstadt zu schicken.
27Als sie nach Kinár-Gird kamen, traf ein neuer Befehl vom Premierminister ein, der dem Báb den Weiler Kulayn als Wohnsitz zuwies. Dort blieb Er zwanzig Tage. Dann sandte der Báb einen Brief an den König und ersuchte um eine
28Entsprechend dieser Ansicht wurde ein Brief von Hand der Majestät an den Báb gerichtet, und nach dem überlieferten Bericht über dessen Inhalt lautete er auszugsweise wie folgt.
29(Nach den Titeln:) »Da der königliche Troß im Begriff steht, von Ṭihrán aufzubrechen, ist ein Zusammentreffen in angemessener weise nicht möglich. Gehe du nach Máh-Kú und bleibe dort, ruhe eine Weile und bete für unseren siegreichen Staat. Wir haben dafür gesorgt, daß man dir unter allen Umständen Achtung entgegenbringt. Wenn wir von der Reise zurückkehren, werden wir dich besonders einladen
30Hiernach schickten sie Ihn fort nach Tabríz und Máh-Kú, bewacht von einigen Berittenen, darunter dem Kurier Muḥammad Big.
31Außerdem erzählen die Anhänger des Báb von einigen Botschaften – darunter ein Versprechen, den Fuß des verstorbenen Königs zu heilen unter der Bedingung, daß er Ihm ein Gespräch gewähre und die Tyrannei der Mehrheit abschaffe –, die der Báb Muḥammad Big anvertraute, deren Übermittlung an den König der Premierminister aber verhindert habe, weil er selbst den Anspruch auf geistige Führerschaft erhob und bereit war, die Funktionen eines Geistlichen auszuüben. Andere dagegen stellen diese Erzählungen in Abrede.
32Jedenfalls schrieb der Báb auf der Reise einen Brief an den Premierminister und fragte darin: »Du riefest Mich von Iṣfahán, um die Schriftgelehrten zu treffen und die Sachlage endgültig zu klären. Was ist nun geschehen, daß dieser ausgezeichnete Plan ausgetauscht wurde gegen Máh-Kú und Tabríz?«
33Obgleich Er vierzig Tage in der Stadt Tabríz blieb, ließen sich die Schriftgelehrten nicht herbei, zu Ihm zu kommen, sie hielten es nicht für richtig, Ihn zu treffen. Dann schickten sie Ihn fort in die Festung Máh-Kú und steckten Ihn für neun Monate in die unerreichbare Burg inmitten jenes Hochgebirges. Und ‘Alí Khán aus Máh-Kú erwies Ihm in seiner übergroßen Liebe für die Familie des Propheten soviel Aufmerksamkeit, wie er konnte, und erlaubte [einigen Personen], mit Ihm zu verkehren.
34Als nun die hochgebildeten Geistlichen von Ádhirbáyján merkten, daß um Tabríz herum überall soviel Tumult brodelte, als sei der jüngste Tag angebrochen, ersuchten sie die Regierung, die Anhänger [des Báb] zu bestrafen und den Báb in die Festung Chihríq fortzuschaffen. Also schickten sie Ihn dorthin und gaben Ihn dem Kurden Yaḥyá Khán in Obhut
35Ruhm sei Gott! Ungeachtet dieser Beschlüsse großer Doktoren und würdiger Rechtsgelehrter und der strengen Strafen seitens der Regierenden – Schläge, Vertreibung, Kerker – wuchs die kleine Gemeinde täglich, und es gab soviel Diskussion und Streit, daß bei Treffen und Versammlungen überall in Persien nur über dieses Thema gesprochen wurde. Ein gewaltiger Aufruhr entstand: Die Doktoren der ›Deutlichen Religion