Bahá’u’lláh
Kitáb-i-Aqdas
Kitáb-i-Aqdas
Das Heiligste Buch
pr:1Als Shoghi Effendi, der Hüter des Bahá’í-Glaubens, 1953 den Zehnjahresplan aufstellte, war eines der von ihm gesteckten Ziele die Erarbeitung einer Inhaltsübersicht des Kitáb-i-Aqdas mit einer systematischen Darstellung seiner Gesetze und Gebote. Dieses Werk sollte der Auftakt zur Übersetzung des Kitáb-i-Aqdas sein. Er arbeitete selbst an dieser Aufstellung, hatte sie jedoch, als er 1957 starb, noch nicht vollendet. Sie wurde auf der Grundlage seiner Vorarbeiten fortgesetzt und 1973 in englischer, 1987 in deutscher Sprache publiziert. Diese Veröffentlichung enthielt außer der eigentlichen Inhaltsübersicht und Erläuterungen auch die von Shoghi Effendi schon übersetzten und in verschiedenen Werken veröffentlichten Teile des Kitáb-i-Aqdas. Die
pr:2Man entschied sich dafür, das Kitáb-i-Aqdas gemäß seinem Charakter als ›Heilige Schrift‹ in einer Form vorzulegen, die leicht lesbar, inspirativ und nicht mit den bei wissenschaftlichen Texten üblichen Fußnoten und Textziffern befrachtet ist. Gleichwohl wurde der Text – obwohl bei Werken der arabischen Literatur an sich unüblich – in
pr:3An den Text des Aqdas schließt sich eine kurze Zusammenstellung von Schriften Bahá’u’lláhs an, die das Heiligste Buch ergänzen, sodann eine Übersetzung der
pr:4Nach Shoghi Effendi sollte die englische Übertragung des Aqdas »mit einer Fülle von Erläuterungen versehen« werden. Hierbei wurde so verfahren, dass man sich auf diejenigen Punkte konzentrierte, die dem des Arabischen nicht mächtigen Leser dunkel erscheinen können oder die aus verschiedenen Gründen der Erhellung oder der Hintergrundinformation bedürfen. Über diese grundlegenden Erfordernisse hinaus ist mit den Erläuterungen kein umfassender Kommentar zum Text beabsichtigt.
pr:5Die nach der
pr:6Das Stichwortverzeichnis schließt alle Teile des Buches ein.
pr:7Bedeutung und Rang des Kitáb-i-Aqdas sowie das weite Feld seiner Themen hat Shoghi Effendi in seinem das erste Bahá’í-Jahrhundert darstellenden Geschichtswerk
in:11992, das 149. Jahr der Bahá’í-Zeitrechnung, ist gekennzeichnet durch den hundertsten Jahrestag des Hinscheidens Bahá’u’lláhs, des Trägers der allumfassenden Offenbarung Gottes, deren Bestimmung es ist, die Menschheit zu ihrer kollektiven Mündigkeit zu führen. Dass dieser Anlass begangen wird von einer Gemeinde, die einen Querschnitt der ganzen Menschheit darstellt und sich im Verlauf von anderthalb Jahrhunderten bis in die hintersten Winkel des Planeten etabliert hat, ist ein Zeichen für die vereinenden Kräfte, die durch Bahá’u’lláh freigesetzt wurden. Dass diese Kräfte am Werk sind, lässt sich überdies an dem Ausmaß erkennen, in dem viele Aspekte unserer heutigen Erfahrung in Bahá’u’lláhs Werk vorweggenommen sind. Die rechte Zeit ist nun gekommen für die erste autorisierte Übersetzung des Mutterbuches Seiner Offenbarung, Seines ›Heiligsten Buches‹, des Buches, in welchem Er das Gesetz Gottes für eine Sendung von mindestens tausendjähriger Dauer niedergelegt hat.
in:2Von den über hundert Bänden, die die heilige Schrift Bahá’u’lláhs umfasst, hat das Kitáb-i-Aqdas einzigartige Bedeutung. »Die ganze Welt neu zu bauen«
in:3Das Kitáb-i-Aqdas bestätigt die großen Religionen der Vergangenheit in ihrer Gültigkeit und bekräftigt die von allen göttlichen Boten verkündeten ewigen Wahrheiten: die Einheit Gottes, die Nächstenliebe, den sittlichen Zweck des Erdenlebens. Zugleich beseitigt es Elemente früherer religiöser Rechtssetzungen, die heute die wachsende Welteinheit und die Neuordnung der Gesellschaft behindern.
in:4Das Gottesgesetz für das neue Zeitalter ist auf die Nöte der ganzen Menschheitsfamilie gerichtet. Einige Gesetze des Kitáb-i-Aqdas zielen primär auf bestimmte Glieder der Menschheitsfamilie und sind diesen unmittelbar verständlich, während sie Menschen aus anderen Kulturen bei der Lektüre zunächst dunkel erscheinen mögen. So ist das Verbot der Beichte Menschen mit christlichem Hintergrund verständlich, andere kann es verwirren. Eine größere Zahl von Gesetzen bezieht sich auf Vorschriften vergangener Religionssysteme, vor allem der beiden jüngsten, der Muḥammads und des Báb, deren Gesetze im Qur’án und im Bayán verwahrt sind. Auch wenn gewisse Gebote des Aqdas einen solchen Bezug haben, so sind sie gleichwohl universal in ihren Auswirkungen. Durch Sein Gesetz enthüllt Bahá’u’lláh Schritt für Schritt die Bedeutung der neuen Ebene des Wissens und des Verhaltens, zu der die Völker der Welt aufgerufen sind. Seine Vorschriften sind eingefasst in zentrale Lehraussagen, die dem Leser unentwegt vor Augen führen, dass diese Gesetze unabhängig von ih
in:5Eine Einführung in den vom Kitáb-i-Aqdas enthüllten geistigen Kosmos würde ihren Zweck verfehlen, machte sie den Leser nicht mit den Institutionen der Auslegung und Gesetzgebung vertraut, die Bahá’u’lláh unlöslich mit dem von Ihm offenbarten Rechtssystem verbunden hat. Das Fundament dieser Führung ist die unvergleichliche Rolle, die Bahá’u’lláhs Schrift – gerade auch der Text des Kitáb-i-Aqdas – Seinem ältesten Sohn ‘Abdu’l-Bahá zugewiesen hat. ‘Abdu’l-Bahás einzigartige Gestalt ist das Vorbild für das von Seinem Vater gelehrte Lebensmuster. Er ist zugleich der göttlich inspirierte, bevollmächtigte Interpret Seiner Lehre und der Mittel- und Angelpunkt des Bundes, den der Stifter der Bahá’í-Offenbarung mit allen, die Ihn anerkennen, geschlossen hat. Die neunundzwanzigjährige Amtszeit ‘Abdu’l-Bahás beschenkte die Bahá’í-Welt mit einer leuchtenden Sammlung von Erläuterungen, die vielfältige Einblicke in die Zielsetzungen Seines Vaters eröffnen.
in:6In Seinem Testament übertrug ‘Abdu’l-Bahá Seinem ältesten Enkel, Shoghi Effendi, das Amt des »Hüters der Sache Gottes«
in:7In seiner sechsunddreißigjährigen Amtszeit errichtete Shoghi Effendi die Struktur der gewählten Geistigen Räte – der, wie sie das Kitáb-i-Aqdas nennt, »Häuser der Gerechtigkeit«
in:8Was die Gesetze betrifft, so lässt eine sorgfältige Durchsicht erkennen, dass sie drei Bereiche regeln: die Beziehung des Menschen zu Gott, alles, was dem Menschen unmittelbar, physisch oder geistig, nützt, und die Beziehungen zwi
in:9»Alles Wesentliche, die Grundlage des göttlichen Gesetzes, ist eindeutig im heiligen Text festgelegt. Ergänzende Gesetze bleiben jedoch dem Haus der Gerechtigkeit überlassen. Die Weisheit dieser Regelung liegt im Wandel der Zeit, denn Veränderung ist ein unabdingbares, wesentliches Merkmal dieser Welt, ein Attribut von Zeit und Raum. Dementsprechend wird das Haus der Gerechtigkeit verfahren …
in:10Darin liegt, kurz gesagt, die Weisheit, die Gesetze der Gesellschaft dem Haus der Gerechtigkeit zu übertragen. Auch im Islám war nicht jedes Gesetz ausdrücklich offenbart; nein, nicht der zehnte Teil eines Zehntels fand sich im Text. Obwohl alles Wesentliche genau festgelegt war, gab es Tausende von Bestimmungen, deren Details ungeregelt blieben. Diese wurden von den Theologen späterer Generationen nach den Grundsätzen der islámischen Jurisprudenz entwickelt. Dabei kamen einzelne Theologen zu Deduktionen aus dem offenbarten Gesetz, die mit de
in:11Das Universale Haus der Gerechtigkeit ist ausdrücklich befugt, das von ihm selbst gesetzte Recht zu ändern oder aufzuheben, wenn sich die Verhältnisse ändern. So erhält das Bahá’í-Recht ein wichtiges Element: es ist flexibel. Doch kann das Universale Haus der Gerechtigkeit keines der ausdrücklich im heiligen Text verfügten Gesetze außer Kraft setzen oder abändern.
in:12Die Gesellschaft, für die bestimmte Gesetze des Aqdas vorgesehen sind, wird erst allmählich entstehen. Bahá’u’lláh hat für die schrittweise Einführung des Bahá’í-Rechts Vorkehrungen getroffen:
in:13»Die Gesetze Gottes gleichen fürwahr dem Meer und die Menschenkinder den Fischen, verstünden sie es doch! Angewandt werden müssen sie jedoch mit Feingefühl und Klugheit … Da die meisten Menschen schwach und weit entfernt sind von der göttlichen Absicht, muss man in jeder Lage Takt und Klugheit walten lassen, auf dass nichts ge
in:14Das Prinzip der schrittweisen Einführung wurde 1935 in einem Brief im Auftrag Shoghi Effendis an einen Nationalen Geistigen Rat formuliert:
in:15»Die von Bahá’u’lláh im Kitáb-i-Aqdas offenbarten Gesetze sind überall, wo sie angewandt werden können und nicht in direktem Widerspruch zum staatlichen Recht stehen, für alle Gläubigen und alle Bahá’í-Institutionen des Ostens wie des Westens absolut verbindlich. Einige Gesetze … sollen von allen Gläubigen schon jetzt als anwendbar und lebensnotwendig betrachtet werden. Andere wurden im Vorgriff auf eine Gesellschaft formuliert, die dereinst aus den chaotischen Verhältnissen, die heute herrschen, erstehen wird … Was nicht im Aqdas verfügt ist, wie auch Details und zweitrangige Fragen, die sich aus der Anwendung der Gesetze Bahá’u’lláhs ergeben, wird durch das Universale Haus der Gerechtigkeit zu regeln sein. Was Bahá’u’lláh bestimmt hat, kann diese Körperschaft ergänzen, jedoch niemals außer Kraft setzen oder auch nur im geringsten abändern. Genausowenig hat der Hüter das Recht, Vorschriften dieses grundlegenden, geheiligten Buches zu lockern oder gar aufzuheben.«
in:16Die Zahl der Gesetze, die für die Bahá’í schon bindend sind, wird durch die Veröffentlichung der vorliegenden Übersetzung nicht erhöht. Zu gegebener Zeit wird die
in:17Im Allgemeinen sind die Gesetze des Kitáb-i-Aqdas kurz und bündig. Die Knappheit des Stils zeigt sich unter anderem darin, dass viele Gesetze so formuliert sind, als gälten sie nur für den Mann. Doch aus den Schriften des Hüters wird deutlich, dass, wo Bahá’u’lláh ein Gesetz für das Verhältnis von Mann und Frau gibt, dieses
in:18Auf die enge Verwandtschaft des Kitáb-i-Aqdas mit den Heiligen Büchern früherer göttlicher Offenbarungen wurde bereits hingewiesen. Besonders eng ist seine Beziehung zum Bayán, dem vom Báb offenbarten Buch der Ge
in:19»Nach Shoghi Effendis Auffassung sollte man besonderes Gewicht darauf legen, dass die Bahá’í-Offenbarung eine Einheit darstellt, die auch den Glauben des Báb einschließt … Die Religion des Báb sollte nicht von der Bahá’u’lláhs getrennt werden. Zwar wurde das Gesetz des Bayán durch das Gesetz des Aqdas aufgehoben und ersetzt, doch sollten wir angesichts der Tatsache, dass der Báb sich selbst als Vorläufer Bahá’u’lláhs verstand, beide Sendungen als Einheit betrachten: die vorausgehende Offenbarung war der Auftakt für die nachfolgende.
in:20Der Báb sagt, Seine Gesetze seien vorläufig und der Annahme durch die kommende Manifestation bedürftig. Dies ist der Grund, warum Bahá’u’lláh im Buch Aqdas einige Gesetze übernommen, andere abgeändert und viele aufgehoben hat.«
in:21Wie der Báb den Bayán um die Mitte Seiner prophetischen Amtszeit offenbart hat, so offenbarte auch Bahá’u’lláh das Kitáb-i-Aqdas um 1873, ungefähr zwanzig Jahre, nachdem Er im Síyáh-Chál von Ṭihrán die Ankündigung Seiner Offenbarung erhalten hatte. In einer Tafel bemerkt Er, Er habe das Aqdas nach seiner Offenbarung eine Zeitlang zurückgehalten, bevor es an die Gläubigen im Írán gesandt wurde. Wie Shoghi Effendi berichtet, hat
in:22»Bahá’u’lláh, nachdem Er das Grundgesetz Seiner Sendung im Kitáb-i-Aqdas formuliert hatte, … gegen Ende Seines prophetischen Amtes noch einige Vorschriften und Grundsätze offenbart, die zum Kern Seines Glaubens gehören. Er bekräftigte früher schon verkündete Wahrheiten, entwickelte und erläuterte einige Seiner Gesetze, of
in:23Zu diesen Werken gehören die
in:24Einige Jahre nach der Offenbarung des Kitáb-i-Aqdas ließ Bahá’u’lláh handgeschriebene Kopien davon an Bahá’í im Írán senden und dann im Jahr 1309 d. H. (1890–91 n. Chr.) gegen Ende Seines Lebens, den arabischen Originaltext in Bombay veröffentlichen.
in:25Noch ein Wort zum Sprachstil der englischen Übersetzung des Kitáb-i-Aqdas. Bahá’u’lláh verfügte über eine hohe Meisterschaft im Arabischen, das Er für solche Tafeln und Schriften verwandte, bei denen es auf die dieser Sprache eigene Präzision der Begriffe besonders ankam, um zentrale Grundsätze darzustellen. Über die Wahl der Sprache hinaus ist der Stil des Aqdas erhaben, das Gefühl ansprechend, ungemein bezwingend. Dies gilt vor allem für den, der mit der großen literarischen Tradition vertraut ist, in der das Werk entstand. Als Shoghi Effendi