Bahá’u’lláh
Das Tabernakel der Einheit
The Tabernacle of Unity – Bahá’u’lláh’s Responses to Mánikchí Ṣáḥib and other Writings
Bahá’u’lláhs Antwortschreiben an Mánikchí Ṣáḥib und andere Schriften
in:1Vom Anbeginn der Bahá’í-Offenbarung in einem unterirdischen Verlies in Teheran, in dem ihr Stifter 1852 gefangen lag, ist die Gemeinde Bahá’u’lláhs rasch über den gesellschaftlichen und religiösen Rahmen ihrer Anfangszeit hinausgewachsen. Unter den Ersten, die sich außerhalb der islamischen Gemeinde von ihrer Lehre angezogen fühlten und damit den Zustrom von Menschen aller Religionen und jeglicher Herkunft vorzeichneten, waren Zoroastrier aus Persien und Indien. An diese Gruppe richtete Bahá’u’lláh mehrere Tafeln, von denen einige hier erstmals in vollständiger, autorisierter Übersetzung vorgestellt werden.
in:2Herausragend unter diesen Werken ist die Tafel Bahá’u’lláhs an Mánikchí Ṣáḥib. Mánikchí Limjí Hataria (1813–1890), auch bekannt unter dem Namen Mánikchí (Manekjí) Ṣáḥib, wurde als Sohn zoroastrischer Eltern in Indien geboren. Als fähiger Diplomat und ergebener Anhänger der Religion seiner Ahnen wurde Mánikchí Ṣáḥib 1854 zum Emissär der Parsen Indiens ernannt, um seine Glaubensbrüder im Iran zu unterstüt
in:3Die erste Tafel, bekannt unter der Bezeichnung
in:4Wie man dem Inhalt der zweiten Tafel entnehmen kann, war Mánikchí Ṣáḥib mit dieser Antwort nicht ganz zufrieden; er hatte eine ausführlichere Erörterung bestimmter Fragen erwartet. Bahá’u’lláhs zweite Antwort ist Inhalt einer langen Tafel, die am 14. Sha‘bán 1299 (1. Juli 1882) unter dem Namen Seines Sekretärs Mírzá Áqá Ján offenbart wurde. Diese Tafel ist an den herausragenden Bahá’í-Gelehrten Mírzá Abu’l-Faḍl gerichtet, der zu dieser Zeit als Sekretär bei Mánikchí Ṣáḥib angestellt war; doch ihr größter Teil bezieht sich auf die Fragen des Letzteren. Bahá’u’lláh stellt zu Beginn fest, dass Mánikchí Ṣáḥib der Antwort »nicht die erforderliche Aufmerksamkeit« gewidmet habe, »sonst hätte er erkannt, dass darin nichts ausgelassen war«
in:5Diese Tafel ist insofern bemerkenswert, als sie eine Reihe von Fragen über die Lehren der abrahamitischen und nicht-abrahamitischen Religionen erörtert, wie sie von Mánikchí Ṣáḥib verstanden wurden; dazu gehören die Schöpfung, die Beziehung zwischen Glaube und Vernunft, die Erklärung der Unterschiede zwischen den Gesetzen der verschiedenen Religionen, ihre Exklusivitätsansprüche sowie ihr unterschiedlich starkes Bestreben, neue Anhänger zu gewinnen.
Bahá’u’lláhs Antworten betonen eher die gültigen Aspekte in den Aussagen der verschiedenen Lehren, als dass Er sie als unzulänglich und falsch ablehnte.
in:6In diesem Band sind neben diesen beiden größeren Werken auch der
in:7Ein Teil des
in:8Es ist zu hoffen, dass die Veröffentlichung dieses Bandes dazu beiträgt, dass das Grundprinzip der Einheit der Religionen besser verstanden wird und es denjenigen neuen Schwung verleiht, die sich bemühen, dieses Verständnis in einer Zeit zu fördern, die seiner täglich dringender bedarf.
Im Namen des einen wahren Gottes
1:1Gepriesen sei Er, der allsehende, urewige Gott, der aus einem Tropfen vom Meer Seiner Gnade das Firmament des Seins errichtete, es schmückte mit den Sternen des Wissens, und der dem Menschen Zutritt gewährt zum erhabenen Hof der Einsicht und des Verstehens. Dieser Tropfen, das Urwort Gottes, wird auch Wasser des Lebens genannt. Denn mit den Wassern des Wissens schenkt er denen Leben, die in der Wüste der Unwissenheit zugrunde gingen. Auch wird er das Urlicht genannt. Als dieses Licht aus der Sonne göttlichen Wissens erstrahlte, begann die Schöpfung sich zu regen. So zeigt sich das Wirken Seiner Gnade. Er ist der Unvergängliche, der Allweise, und Er ist der Wissende, der Freigebige. Erhaben ist Er über alle Worte. Unzugänglich ist Er für Auge und Verstand des Menschen, unerreichbar für sein Reden und Handeln. Alles Sein und Werden bezeugt die Wahrheit dieser Worte.
1:2Somit steht fest: Das Wort ist die erste Gabe Gottes; und es ist der Verstand, der das Wort empfängt und in sich aufnimmt. Dieses Wort ist der erste Lehrer in der Schule des Seins und der
1:3Dein Brief hat Mich, der Ich den Zwängen des Irdischen unterworfen bin, im Gefängnis erreicht. Er brachte Freude, stärkte die Bande der Freundschaft und rief die Erinnerung an vergangene Tage wach. Preis sei dem Herrn der Welt, der uns die Gunst gewährte, uns in arabischen Landen
1:4Und nun zu deiner Frage über die heiligen Schriften. Der allwissende Arzt legt Seinen Finger an den Puls der Menschheit. Er erkennt die Krankheit und verschreibt in Seiner unfehlbaren Weisheit die Arznei. Jede Zeit hat ihre besonderen Nöte, jede Seele ihre eigene Sehnsucht. Für
1:5Wir sehen die Menschheit umgeben von endloser Drangsal auf ihrem Krankenlager dahinsiechen, verzweifelt und ohne Hoffnung. Von Selbstsucht Trunkene haben sich zwischen die Menschen und den allwissenden, nie irrenden Arzt gedrängt. Sieh, wie sie selbst und alle Menschen in ihren Plänen verfangen sind. Sie kennen weder die Ursache der Krankheit noch wissen sie um die Arznei. Sie halten das Gerade für krumm und wähnen, ihr Freund sei ihr Feind.
1:6Neigt euer Ohr der süßen Weise dieses Gefangenen. Steht auf und erhebt eure Stimme, auf dass die Schlafenden erwachen. Sprich: O ihr, die ihr wie tot seid! Die Hand göttlicher Güte reicht euch das Wasser des Lebens. Eilt herbei und trinkt euch satt! Wer an diesem Tag wiedergeboren wird, soll niemals sterben; wer aber nicht erweckt wird, der wird niemals leben.
1:7Du hast auch nach den Sprachen gefragt. Beide sind zu rühmen, Arabisch wie Persisch. Eine Sprache soll vermitteln, was der Sprecher meint, und
1:8Mein Freund! In den Tagen, da das Urwort unter den Menschen erschien, erkannte manch himmlische Seele die vertraute Stimme des Geliebten und folgte ihr nach. Andere aber sahen, dass die Taten einiger sich von ihren Worten unterschieden, und so blieben sie den Strahlen der Sonne göttlichen Wissens fern.
1:9Sprich: O Kinder des Staubs! Der Heilige spricht: Was dich an diesem glorreichen Tag von Sünden heiligt und dir Frieden und Ruhe schenkt, ist der Gerade Pfad,
1:10Das erste Wort des Allweisen lautet: O Kinder des Staubs! Wendet euer Antlitz ab vom Dunkel der Entfremdung und kehrt euch dem strahlenden Licht der Sonne der Eintracht zu. Dies wird, mehr als alles andere, den Völkern zum Wohl gereichen. O Freund! Nie grünte am Baum der Worte ein schöneres Blatt, keine glänzendere Perle findet sich im Ozean des Wissens.
1:11O Kinder des Verstehens! Wenn schon das Augenlid, so zart es ist, das Auge hindern kann, die Dinge der Welt zu sehen, was mag erst geschehen, wenn der Schleier der Begehrlichkeit auf das Auge des Herzens fällt? Sprich: O Menschen! Gier und Neid verfinstern das Licht der Seele, so wie Wolken das Licht der Sonne. Wer immer dies mit offenem Ohr hört, wird die Flügel der Loslösung ausbreiten und sich mühelos emporschwingen zu den Höhen wahren Verstehens.
1:12Als Dunkelheit die Welt umhüllte, da wogte das Meer göttlicher Freigebigkeit, und das Licht erstrahlte, auf dass die Taten der Menschen offen gelegt würden. Dies, wahrlich, ist das Licht, das
1:13O Menschen! Auf Worte müssen Taten folgen, denn Taten sind der Beweis für die Wahrheit der Worte. Worte ohne Taten können niemals den Durst des Dürstenden stillen, noch eröffnen sie dem Blinden die Tore des Sehens. Der Herr himmlischer Weisheit spricht: Ein hartes Wort ist wie der Hieb eines Schwerts, ein freundliches Wort hingegen ist wie Milch; es führt die Menschenkinder zur Erkenntnis und erhöht ihren Rang.
1:14Die Zunge der Weisheit spricht: Wer Mich nicht hat, der hat nichts. Entsagt allem und sucht nur Mich. Ich bin die Sonne der Erkenntnis, das Meer des Wissens. Ich schenke den Verzagten neue Kraft und erwecke die Toten. Ich bin das Licht der Führung, das den Weg erhellt. Ich bin der königliche Falke auf dem Arm des Allmächtigen. Ich entfalte die schlaffen Flügel jedes ermatteten Vogels und lehre ihn, wieder zu fliegen.
1:15Der wahre Freund spricht: Der Pfad zur Freiheit liegt offen vor euch – eilet herbei! Reich strömt der Quell der Weisheit – trinkt euch daran satt. Sprich: O Freunde! Das Tabernakel der Eintracht ist errichtet; betrachtet einander nicht als Fremde. Ihr seid die Früchte eines Baumes, die Blätter eines Zweiges. Wahrlich, Ich sage: Alles, was Unwissenheit mindert und das Wissen mehrt, findet Anerkennung vor dem Herrn der Schöpfung, heute und immerdar. Sprich: O ihr Menschen! Wandelt im Schatten der Gerechtigkeit und der Wahrhaftigkeit und sucht Obdach im Königszelt der Einzigkeit.
1:16Sprich: O ihr, die ihr Augen habt zu sehen! Die Vergangenheit ist der Spiegel der Zukunft. Schaut hinein und lernt daraus, auf dass ihr den Freund erkennt und Ihm kein Leid bereitet. Als die erlesenste Frucht am Baum des Wissens gilt heute, was dem Wohl der Menschheit dient und ihre Belange schützt.
1:17Sprich: Die Zunge wurde erschaffen, Zeugnis abzulegen von Meiner Wahrheit; besudelt sie nicht mit Falschheit. Das Herz ist die Schatzkammer Meines Geheimnisses; überlasst es nicht der Gier. Gebe Gott, dass wir an diesem strahlenden Morgen, da das Licht der Sonne göttlichen Wis
1:18O Freund! Hörende Ohren sind selten, und so blieb die Feder für einige Zeit stumm. Wahrlich, es kam so weit, dass Schweigen angebrachter schien als Reden. Sprich: O ihr Menschen! Wir sprechen stets in rechtem Maß, auf dass das Neugeborene gedeihe und der zarte Sprössling grüne. Milch muss in verträglichen Mengen gereicht werden, damit die Kinder der Welt die Stufe der Reife erlangen und am Hof der Eintracht wohnen.
1:19O Freund! Wir fanden fruchtbaren Boden und legten dort hinein den Samen wahren Verstehens. Nun lasst uns sehen, was die Strahlen der Sonne daraus machen – ob sie die Samenkörner vertrocknen lassen oder zum Wachsen bringen. Sprich: Durch die unbezwingbare Macht Gottes, des Allwissenden, des Unvergleichlichen, ist an diesem Tag die Sonne göttlicher Erkenntnis hinter dem Schleier des Geistes hervorgetreten. Die Vögel auf den Feldern sind trunken vom Wein der Erkenntnis und jubilieren im Gedenken des Freundes. Wohl dem, der kommt und zu Ihm findet! …
2:1Nun zu dem, was du über den gelehrten Ṣáḥib – Gott sei mit ihm – schreibst. Seine Haltung liegt offen zutage, und zeigt sich auch in seinem Schreiben. Was seine Fragen betrifft, so schien es zunächst nicht ratsam, auf jede einzeln einzugehen. Denn dies hätte dem Gebot der Klugheit und den gängigen Vorstellungen widersprochen. Gleichwohl sind in dem, was aus dem Himmel göttlicher Gunst für ihn offenbart wurde, die Antworten in trefflicher Prägnanz und Klarheit enthalten. Doch die Antwort, so scheint es, fand nicht die erforderliche Aufmerksamkeit. Sonst hätte er erkannt, dass darin nichts ausgelassen war, und ausgerufen: »Das sind fürwahr klare, schlüssige Worte!« So lauteten seine Fragen:
2:2Erstens: »Die Propheten von Mahábád waren zusammen mit Zarathustra achtundzwanzig an der Zahl. Jeder von ihnen erhöhte den Glauben der anderen. Sie alle legten bei ihrem Erscheinen Zeugnis für die Wahrheit der früheren Religionen ab und bestritten niemals ihre Gültigkeit. Ein jeder verkündete: ›Wir sind Empfänger von Gottes Offenbarung, und übermitteln sie Seinen Dienern.‹ Einige der Hindu-Propheten verkündeten hingegen: ›Wir sind Gott Selbst, und die gesamte
2:3Zunächst: In einer Hinsicht unterscheiden sich die göttlichen Boten voneinander. Denke beispielsweise an Moses: Er brachte ein Buch und erließ Gesetze, und eine Vielzahl von Propheten nach Ihm waren damit beauftragt, Seinem Gesetz Geltung zu verschaffen, da es der damaligen Zeit entsprach. Die Bücher und Chroniken, die die Thora ergänzen, geben beredtes Zeugnis davon.