‘Abdu’l-Bahá | ‘Abdu’l-Bahá in London
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1.2:17
Der große Apostel Paulus hat gesagt: ›Wenn wir mit offenem Angesicht wie in einem Spiegel die Herrlichkeit Gottes schauen, werden wir alle in dieses selbe Bild verwandelt, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, durch den Geist des Herrn.‹vgl. 2 Kor. 3:18 – Anm. d. Hrsg.Q
1.2:18
O Gott, o Vergeber! O Himmlischer Erzieher! Diese Versammlung ist mit der Erwähnung Deines heiligen Namens geschmückt. Deine Kinder wenden ihr Antlitz Deinem Königreiche zu, die Herzen werden beglückt und die Seelen erquickt.
1.2:19
Gnädiger Gott! Gib, dass wir unsere Verfehlungen bereuen! Nimm uns an in Deinem himmlischen Königreich und weise uns eine Stätte zu, wo es kein Irren gibt. Gib uns Frieden, gib uns Wissen und öffne vor uns die Tore Deines Himmels.
1.2:20
Du bist der Geber aller Gaben! Du bist der Vergebende! Du bist der Gnädige. Amen.«
Theosophische Gesellschaft: Einführung
1.3:1
Auf ausdrücklichen Wunsch der Vorsitzenden, Mrs. Annie Besant, besuchte ‘Abdu’l-Bahá am 30. September die Theosophische Gesellschaft in ihrem neuen Zentrum. Nachdem Mr. A. P. Sinnett kurz die Geschichte der Gesellschaft vorgetragen und freundliche Willkommensworte gesprochen hatte, erhob sich ‘Abdu’l-Bahá und hielt vor der zahlreichen Zuhörerschaft eine Rede über die unterscheidenden Merkmale der Bahá’í-Lehren, wobei Er die eifrige Suche der Gesellschaft nach Wahrheit mit herzlichen Worten würdigte.
Rede ‘Abdu’l-Bahás im Theosophischen Zentrum
1.3:1_3
30. September 1911
1.3:2
»Verehrte Versammlung, o Freunde der Wahrheit! Das natürliche Wesen des Feuers ist, zu brennen, das natürliche Wesen der Elektrizität, Licht zu spenden, das natürliche Wesen der Sonne, zu scheinen, und das natürliche Wesen der organischen Erde die Kraft, etwas wachsen zu lassen.
1.3:3
Eine Sache lässt sich nicht von ihren natürlichen, ihr Wesen ausmachenden Eigenschaften abtrennen.
1.3:4
Es liegt im natürlichen Wesen der Dinge auf dieser Erde, sich zu verändern. Deshalb beobachten wir um uns herum den Wechsel der Jahreszeiten. Jedem Frühling folgt ein Sommer und jedem Herbst ein Winter, jedem Tag eine Nacht und jedem Abend ein Morgen. Alle Ereignisse geschehen folgerichtig der Reihe nach.
1.3:5
So kam es, dass, als Hass und Feindschaft, Kampf, Gemetzel und große Herzenskälte diese Welt regierten und Finsternis über die Nationen hereinbrach, am Horizont Persiens Bahá’u’lláh wie ein heller Stern erschien und mit dem machtvollen Licht der Führung leuchtete, himmlischen Strahlenglanz spendete und die neue Lehre stiftete.
1.3:6
Er sprach von den höchsten Tugenden des Menschen. Er machte die Kräfte des Geistes offenbar und zeigte, wie sie sich in der Welt, die Er vorfand, in die Praxis umsetzen lassen.
1.3:7
Erstens: Er legt großen Nachdruck auf das Suchen nach Wahrheit. Dies ist von höchster Bedeutung, denn die Menschen lassen sich nur zu leicht von Traditionen leiten. Allein aus diesem Grund entstehen oft Feindschaft und Streit.
1.3:8
Das Offenbarwerden der Wahrheit jedoch macht das zuvor Dunkle plötzlich erkennbar und wird zur Ursache der Harmonie zwischen Glaubensrichtungen und Bekenntnissen, denn die Wahrheit kann nicht zweigeteilt sein! Das ist nicht möglich.
1.3:9
Zweitens: Bahá’u’lláh lehrte die Einheit der Menschheit, das bedeutet, dass alle Menschenkinder unter der Barmherzigkeit Gottes, des Herrn, stehen. Sie sind die Söhne eines Gottes, sie werden von Gott erzogen. Er setzt jedem einzelnen Gottesdiener die Krone des Menschseins aufs Haupt. Deshalb müssen alle Nationen und Völker einander als Brüder betrachten. Sie sind die Zweige, Blätter, Blüten und Früchte eines Baumes. Sie sind Perlen aus einer Muschel. Jedoch brauchen die Menschenkinder Erziehung und Kultur, und sie müssen poliert werden, bis sie strahlen und glänzen.
1.3:10
Beide, Männer und Frauen, sollten die gleiche Erziehung erhalten und als gleichwertig betrachtet werden.
1.3:11
Rassische, vaterländische, religiöse und Klassenvorurteile waren und sind die Ursache für den Niedergang der Menschheit.
1.3:12
Drittens: Nach der Lehre Bahá’u’lláhs ist Religion das wichtigste Fundament für Liebe und Einheit und die Ursache für Harmonie. Wird eine Religion zum Anlass für Hass und Missklang, wäre es besser, es gäbe sie gar nicht. Ohne eine solche Religion zu sein, wäre besser, als mit ihr zu leben.
1.3:13
Viertens: Religion und Wissenschaft sind eng miteinander verflochten und können nicht getrennt werden. Sie sind die beiden Flügel, mit denen die Menschheit fliegen muss. Ein Flügel genügt nicht. Jede Religion, die sich nicht mit Wissenschaft befasst, ist bloße Tradition und geht am Wesentlichen vorbei. Deshalb sind für ein erfülltes religiöses Leben Wissenschaft, Bildung und Kultur absolute Notwendigkeiten.
1.3:14
Fünftens: Die Wirklichkeit der Religionen Gottes ist eine gemeinsame, denn es gibt nur eine einzige Wirklichkeit; es kann nicht zwei Wirklichkeiten geben. Alle Propheten stimmen in ihrer Botschaft felsenfest überein. Sie sind wie die Sonne: Sie gehen zu den verschiedenen Jahreszeiten an unterschiedlichen Punkten des Horizontes auf. Darum verkündete jeder Prophet früherer Zeitalter die Frohbotschaft einer kommenden Zeit, und jede neue Zeit hat die Vergangenheit anerkannt.
1.3:15
Sechstens: Gleichheit und Brüderlichkeit müssen unter allen Gliedern der menschlichen Gemeinschaft herrschen. Das entspricht der Gerechtigkeit. Die allgemeinen Menschenrechte müssen geschützt und festgeschrieben werden.
1.3:16
Alle Menschen müssen gleich behandelt werden. Dies ist im Wesen des Menschen angelegt.
1.3:17
Siebtens: Die Lebensbedingungen der Menschen müssen so gestaltet werden, dass die Armut verschwindet und jeder seiner Stellung und seinem Rang entsprechend soweit wie möglich sorgenfrei leben kann. Wenn der Adel und andere hochrangige Personen angenehme Verhältnisse genießen, sollen auch die Mittellosen in der Lage sein, ihr tägliches Brot zu erwerben und nicht an den Rand des Verhungerns getrieben werden.
1.3:18
Achtens: Bahá’u’lláh verhieß den Größten Frieden. Alle Nationen und Völker werden unter dem Schatten des Zeltes des großen Friedens und der Harmonie zusammenkommen. Das bedeutet, dass durch allgemeine Wahl ein Oberster Gerichtshof geschaffen werden muss, der die Aufgabe hat, Differenzen und Konflikte zwischen den Mächten beizulegen, so dass Kontroversen nicht mehr zu Kriegen führen.
1.3:19
Neuntens: Bahá’u’lláh lehrte, dass die Herzen den besonderen Segen des Heiligen Geistes auf sich ziehen müssen, so dass eine geistige Kultur entstehen kann, denn materielle Zivilisation genügt den Bedürfnissen der Menschheit nicht und kann ihr Glück nicht bewirken. Materielle Zivilisation ist wie der Körper und geistige Zivilisation wie die Seele. Ein Körper kann ohne Seele nicht leben.
1.3:20
Dies ist eine kurze Zusammenfassung der Lehren Bahá’u’lláhs. Um dies zu lehren, musste Bahá’u’lláh große Schwierigkeiten und Bedrängnis auf sich nehmen. Er war zeitlebens ein Gefangener und musste schwere Verfolgung erdulden. Aber in der Feste‘Akká (Anm. d. Übers.).A errichtete Er einen Palast des Geistes, und aus der Dunkelheit Seines Kerkers sandte Er ein großes Licht in die Welt.
1.3:21
Die Bahá’í haben den sehnlichen Wunsch, diese Lehren überall in die Tat umzusetzen, und sie streben mit Herz und Seele danach, ihr Leben diesem Ziel zu widmen, bis das himmlische Licht die ganze Menschenwelt erleuchtet.
1.3:22
Ich bin sehr glücklich, dass ich bei dieser Versammlung zu Ihnen sprechen durfte, und hoffe, dass dieses mein ernstes Anliegen Ihnen annehmbar erscheint.
1.3:23
Ich bete für Sie um Erfolg in Ihren Bestrebungen und dass Ihnen die Gnadengaben des Reiches Gottes zuteilwerden mögen.«
Abschiedsempfang: Einführung
1.4:1
Am Abend des Sankt-Michaels-Tages gab man für ‘Abdu’l-Bahá im großen Saal des Passmore Edwards’ Settlement einen großen Empfang. Der Raum war mit Vertretern aller Berufssparten, manche von weit her angereist, bis auf den letzten Platz besetzt.
1.4:2
Auf der Tribüne war ‘Abdu’l-Bahá von Männern verschiedenster Denkrichtungen umringt, die ihre Sympathie für die Arbeit und den Auftrag ihres ehrenwerten Besuchers bekunden wollten. Den Vorsitz führte Professor Michael E. Sadler.
1.4:3
Die Veranstaltung begann mit dem Vaterunser, von allen Anwesenden gemeinsam gesprochen. Darauf folgte das Gebet Bahá’u’lláhs um Einheit sowie ein Gebet aus dem fünften Jahrhundert, das Papst GelasiusGelasius I., Pontifikat 492–496 (Anm. d. Übers.).A zugeschrieben wird. Professor Sadler sprach dann Worte, die allen Zuhörern im Gedächtnis bleiben werden. In seiner Ansprache zitierte er aus einem Gebet für die ganze Menschheit, welches ein tief gläubiger Bahá’í ‘Abdu’l-Bahá ein Jahr zuvor in Ägypten vorgelegt hatte, das ‘Abdu’l-Bahá dann vervollständigte und den Menschen aller Glaubensrichtungen in Ost und West ans Herz legte.
1.4:4
Dem Vorsitzenden folgten Sir Richard Stapley, Mr. Eric Hammond, Mr. Claude Montefiore, Mrs. Stannard aus Ägypten und einige andere. Als ‘Abdu’l-Bahá den Saal verließ, drängten sich auf dem Bürgersteig die Armen aus der Umgebung, um Ihn zu sehen. Ein lahmes Mädchen auf Krücken, das Ihn sehnsüchtig anschaute, wurde extra zu Ihm hingeführt.
Abschiedstreffen für ‘Abdu’l-Bahá
1.4:4_4
29. September 1911
1.4:5
Auf Einladung von Mrs. Thornburgh-Cropper fanden sich am letzten Freitagabend im großen Saal des Passmore Edwards’ Settlement, Tavistock Place, etwa vierhundertsechzig Damen und Herren der Gesellschaft ein, um ‘Abdu’l-Bahá ‘Abbás am Vorabend Seiner Abreise nach Paris Lebewohl zu sagen. Seit Seiner Ankunft in London am Abend des 4. September verbrachte Er vier glückliche, ereignisreiche Wochen in unserer Mitte. Abgesehen von einem Kurzbesuch in Bristol letzte Woche weilte Er in Cadogan Gardens 97. Seine Zeit wurde vorwiegend von Gesprächen mit Menschen in Anspruch genommen, die Ihn gerne treffen wollten. Darunter waren nicht wenige, deren Namen in diesem Land in aller Munde sind, und einige reisten von weit her an, um Ihm persönlich zu begegnen.
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