‘Abdu’l-Bahá | Ansprachen in Paris
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33:20
Niemand wirft Steine in einen fruchtlosen Baum. Niemand versucht, eine lichtlose Lampe zu löschen.
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Blicket auf vergangene Zeiten! Hatten etwa Pharaos Verleumdungen eine Wirkung? Er gab an, dass Moses ein Mörder sei, dass er einen Menschen erschlagen habe und hingerichtet zu werden verdiene. Er erklärte auch, dass Moses und Aaron Zwietracht säten, dass sie versuchten, die Religion Ägyptens zu vernichten und deswegen zu töten seien. Diese Worte des Pharao waren umsonst gesprochen. Mose Licht erstrahlte dennoch. Der Glanz des Gottesgesetzes hat die Welt umfasst.
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Die Pharisäer sagten von Christus, Er habe den Sabbat gebrochen, das Gesetz Mose herausgefordert und gedroht, den Tempel und die Heilige Stadt Jerusalem zu zerstören, weshalb Er die Kreuzigung verdiene. Wir aber wissen, dass alle diese verleumderischen Angriffe nicht die Verbreitung des Evangeliums verhindern konnten.
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Die Sonne Christi leuchtete hell am Himmel, und der Odem des Heiligen Geistes wehte über die ganze Erde.
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Und ich sage euch, dass keine Verleumdung imstande ist, den Sieg über Gottes Licht zu erringen. Sie kann nur dazu führen, dass ihm allgemeinere Anerkennung zuteil wird. Wenn eine Sache keine Bedeutung hat, wer würde sich dann wohl die Mühe machen, gegen sie zu kämpfen?
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Doch je größer eine Sache ist, desto stärker erheben sich die Feinde in wachsender Zahl, um ihren Sturz zu versuchen. Je heller das Licht, desto dunkler der Schatten. Es ist an uns, gemäß der Lehre Bahá’u’lláhs mit Demut und Festigkeit zu handeln.
Kein wirkliches Glück und kein Fortschritt ohne Geistigkeit
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21. November 1911
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Wildheit und Rohheit sind Eigenschaften der Tiere, die Menschen aber sollten die Eigenschaften der Liebe und der Zuneigung zeigen. Gott sandte alle Seine Propheten mit dem einen Ziel in die Welt, Liebe und Wohlwollen in die Menschenherzen zu säen, und für dieses große Ziel waren sie willens, zu leiden und zu sterben. Alle heiligen Bücher wurden geschrieben, um die Menschen auf den Weg der Liebe und der Eintracht zu geleiten, und dennoch und trotz allem haben wir mitten unter uns das traurige Schauspiel des Krieges und des Blutvergießens.
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Durchblättern wir die Seiten der früheren und der heutigen Geschichte, so sehen wir die dunkle Erde von Menschenblut gerötet. Die Menschen töten einander wie wilde Wölfe und vergessen das Gesetz der Liebe und der Toleranz.
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Dieses leuchtende Zeitalter ist gekommen und hat eine wunderbare Zivilisation und materiellen Fortschritt gebracht. Der Intellekt der Menschen ist gewachsen, ihr Empfindungsvermögen stärker geworden, aber ach, trotz allem wird alle Tage neues Blut vergossen. Blickt auf den gegenwärtigen türkisch-italienischen Krieg. Betrachtet einen Augenblick lang das Schicksal dieser unglücklichen Menschen! Wie viele wurden während dieser traurigen Zeit getötet, wie viele Heimstätten vernichtet, Gattinnen verlassen und Kinder zu Waisen! Und was ist der Gewinn aus all dieser Angst und diesem Herzeleid? Nur ein Stückchen Erde.
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Dies alles zeigt, dass materieller Fortschritt allein den Menschen nicht zu erheben vermag. Im Gegenteil: Je mehr er in materiellem Fortschritt versinkt, desto trüber wird seine Geistigkeit werden.
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In vergangenen Zeiten war der Fortschritt auf der materiellen Ebene weniger schnell, und auch das Blut floss in geringerem Maße. Die alte Kriegsführung kannte keine Geschütze, keine Feuerwaffen und keinen Sprengstoff, keine Granaten, Torpedoboote, Schlachtschiffe oder Unterseeboote. Doch durch die materielle Zivilisation besitzen wir nun alle diese Erfindungen, und der Krieg entwickelt sich vom Schlimmen zum noch Schlimmeren. Europa wurde zu einem riesigen Waffenarsenal voller Sprengstoff, und sofern Gott nicht dessen Entzündung verhindert, wird sie die ganze Welt erfassen.
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Ich möchte euch klar machen, dass materieller und geistiger Fortschritt zwei sehr verschiedene Dinge sind, und dass nur dann, wenn der materielle Fortschritt mit Geistigkeit Hand in Hand geht, wirklicher Fortschritt kommen und der größte Friede in der Welt regieren kann. Würden alle Menschen den heiligen Ratschlägen und den Lehren der Propheten folgen, alle Herzen durch das göttliche Licht erleuchtet werden und die Menschen in Wirklichkeit religiös sein, so würden wir bald den Frieden auf Erden und das Reich Gottes unter den Menschen sehen. Wir mögen die Gesetze Gottes mit der Seele und den materiellen Fortschritt mit dem Körper vergleichen. Erführe der Körper keine Belehbung durch die Seele, so könnte er nicht länger bestehen. Es ist mein ernstes Gebet, dass die Geistigkeit fortgesetzt wachsen und immer mehr in der Welt zunehmen möge, damit die Sitten erleuchtet und Friede und Eintracht aufgerichtet werden.
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Krieg und Gewalt und die damit verbundenen Grausamkeiten sind Gott ein Gräuel und tragen ihre Strafe in sich, denn der Gott der Liebe ist auch ein Gott der Gerechtigkeit, und jeder Mensch muss unvermeidlich ernten, was er gesät hat. Lasset uns trachten, die Gebote des Höchsten zu verstehen und unser Leben nach Seinem Geheiß zu ordnen. Wahre Glückseligkeit hängt von geistigem Wohl ab und davon, dass wir das Herz stets offen halten, um die göttliche Güte zu empfangen.
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Wenn das Herz sich von den Segnungen abkehrt, die Gott uns darreicht, wie vermöchte es dann auf Glück zu hoffen? Wenn es seine Hoffnung und sein Vertrauen nicht in Gottes Erbarmen setzt, wo könnte es dann wohl Ruhe finden? O bauet auf Gott, denn Seine Güte ist ewig, und auf Seine Segnungen, denn sie sind herrlich! O setzet euren Glauben in den Allmächtigen, denn Er irrt nicht und Seine Gunst währt ewiglich! Seine Sonne gibt dauernd Licht, und die Wolken Seines Erbarmens sind erfüllt vom Wasser des Mitleids, mit dem Er die Herzen aller benetzt, die Ihm vertrauen. Die Schwingen Seines erfrischenden Windes tragen den verdorrten Seelen der Menschen ständig Heilung zu. Ist es wohl weise, sich von einem so liebreichen Vater, der Seine Segnungen über uns ausgießt, abzuwenden, um lieber Sklave des Stofflichen zu sein?
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Gott hat uns in Seiner grenzenlosen Güte zu so viel Ehre erhoben und uns zu Meistern über die stoffliche Welt gemacht, sollten wir da zu ihrem Sklaven werden? Nein, lasst uns vielmehr unser Geburtsrecht geltend machen und uns bemühen, dass wir das Leben der geistigen Söhne Gottes leben. Die herrliche Sonne der Wahrheit hat sich wieder einmal im Osten erhoben. Vom fernen Horizonte Persiens her verbreitet sich ihr Glanz über nah und fern und zerstreut die dichten Wolken des Aberglaubens. Das Licht der Einheit der Menschheit hat begonnen, die Welt zu erleuchten, und bald wird das Banner der göttlichen Eintracht und der Übereinstimmung der Völker hoch am Himmel flattern. Ja, der Windhauch des Heiligen Geistes wird die gesamte Welt mit Leben erfüllen.
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O Völker und Nationen! Erhebet euch, arbeitet und seid glücklich! Versammelt euch unter dem Zelt der Einheit der Menschheit!
Schmerz und Sorge
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22. November 1911
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In dieser Welt beeinflussen uns zwei Gefühle: Freude und Schmerz.
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Die Freude verleiht uns Schwingen. In Zeiten der Freude ist unsere Kraft belebter, unser Intellekt geschärfter und unser Begriffsvermögen weniger getrübt. Es fällt uns offenbar leichter, uns mit der Welt zu messen und unser Eignungsgebiet herauszufinden. Wenn aber Traurigkeit bei uns einkehrt, werden wir schwach, die Kraft verlässt uns, unser Fassungsvermögen wird trüb und unsere Intelligenz umschleiert. Die Gegebenheiten des Lebens scheinen sich unserem Griff zu entziehen, die Augen des Geistes können die geistigen Geheimnisse nicht mehr entdecken, und selbst das Leben scheint uns zu verlassen.
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Kein menschliches Wesen bleibt von diesen beiden Einflüssen unberührt, doch alle Sorge und aller Kummer, denen wir begegnen, kommen aus der Welt des Stoffes, die geistige Welt hingegen schenkt nur Freude.
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Leiden wir, so ist es das Ergebnis stofflicher Dinge, und alle Heimsuchungen und Störungen kommen aus dieser Welt der Täuschung.
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So mag zum Beispiel ein Kaufmann sein Geschäft verlieren und Niedergeschlagenheit daraus folgen. Ein Arbeiter wird entlassen und sieht dem Hunger entgegen. Ein Bauer hat eine schlechte Ernte, und sein Gemüt wird angstvoll. Ein Mann baut sich ein Haus, das völlig niederbrennt, er ist ganz plötzlich obdachlos, zugrunde gerichtet und verzweifelt.
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Diese Beispiele alle sollen euch zeigen, dass die Prüfungen, die jeden unserer Schritte umlagern, alle unsere Sorgen, Leiden, Schmach und Kummer aus der Welt des Stoffes kommen, wogegen das geistige Reich nie Traurigkeit verursacht. Ein Mensch, der mit seinen Gedanken in diesem Reiche lebt, kennt dauernde Freude. Die Übel, die das Erbe alles Fleisches sind, berühren ihn nicht, sie streifen sein Leben nur an der Oberfläche, während die Tiefen ruhig und gelassen sind.
35:7
Die Menschheit ist heute niedergedrückt von Mühsal, Sorge und Kummer. Niemand kann sich ihnen entziehen. Die Welt ist nass von Tränen, doch steht das Heilmittel, Gott Lob, vor der Türe. Lasset uns unsere Herzen abwenden von der Welt des Stoffes und in der Welt des Geistes leben. Sie allein kann Freiheit geben. Sind wir von Schwierigkeiten umringt, so brauchen wir nur Gott zu rufen, und Seine große Barmherzigkeit wird uns helfen.
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Wenn Sorgen und Missgeschick zu uns kommen, so lasst uns unser Angesicht zum Königreich wenden, und himmlischer Trost wird fließen.
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Wenn wir krank und in Not sind, lasst uns um Gottes Heilung flehen, und Er wird unser Beten erhören.
35:10
Wenn unsere Gedanken mit der Bitternis dieser Welt erfüllt sind, lasst uns unsere Augen auf die Süße von Gottes Mitleid richten, und Er wird himmlische Ruhe senden. Wenn wir auch in der stofflichen Welt gefangen sind, so kann sich doch unser Geist in die Himmel erheben, und wir werden tatsächlich frei sein.
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Wenn sich unsere Tage dem Ende nähern, lasst uns der ewigen Welten gedenken, und wir werden voller Freude sein.
35:12
Überall um euch seht ihr die Beweise für die Unzulänglichkeit der stofflichen Dinge und dass Freude, Labsal, Friede und Trost nicht in den vergänglichen Dingen der Welt zu finden sind. Ist es daher nicht töricht, uns zu weigern, diese Schätze dort zu suchen, wo wir sie finden können? Die Tore des geistigen Königreiches sind für alle offen, und außerhalb derselben ist völliges Dunkel.
35:13
Danket Gott, dass ihr, die ihr hier versammelt seid, davon wisst, denn in allen Sorgen des Lebens vermögt ihr höchsten Trost zu erhalten. Wenn eure Erdentage gezählt sind, so wisst ihr, dass euch ewiges Leben erwartet. Wenn euch materielle Angst in eine dunkle Wolke hüllt, wird geistiger Glanz euren Weg erhellen. Wahrlich, wessen Sinn vom Geist des Höchsten erleuchtet ist, der hat die erhabenste Tröstung.
35:14
Ich war vierzig Jahre lang im Gefängnis – ein bloßes Jahr schon wäre unmöglich zu ertragen gewesen – niemand hat jene Gefangenschaft länger als ein Jahr überlebt. Aber Gott sei Dank, während jener ganzen vierzig Jahre war ich überaus glücklich. Jeden Tag, wenn ich erwachte, war es, als ob ich gute Botschaften hörte, und jede Nacht erfüllte mich mit unendlicher Freude. Geistigkeit war mein Trost und Hinwendung zu Gott meine größte Freude. Glaubt ihr wohl, ich hätte anders vermocht, jene vierzig Jahre in Gefangenschaft zu leben?
35:15
Darum ist Geistigkeit die größte unter den Gaben Gottes, und »ewiges Leben« heißt, ›sich zu Gott zu wenden‹. Möchtet ihr, einzeln und insgesamt, mit jedem Tag an Geistigkeit gewinnen, möchtet ihr in allem Guten Stärkung finden, möchte der göttliche Trost euch immer mehr helfen, euch Gottes Heiliger Geist erlösen und die Kraft des himmlischen Königreiches unter euch leben und wirken.
35:16
Das ist mein ernstlicher Wunsch, und ich flehe zu Gott, euch diese Gunst zu gewähren.
Die vollkommenen menschlichen Empfindungen und Tugenden
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23. November 1911
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‘Abdu’l-Bahá sprach:
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Ihr solltet alle sehr glücklich und Gott für das große Vorrecht dankbar sein, das euch zuteil ward.
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