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Erstes Prinzip: Suche nach Wahrheit41:0_65Paris, Avenue de Camoëns 4, 10. November 191141:1Das erste Prinzip der Lehre Bahá’u’lláhs ist:41:1_66Die Suche nach Wahrheit.41:2Wenn jemand auf der Suche nach Wahrheit Erfolg haben möchte, muss er als erstes sein Auge gegenüber allem überkommenen Aberglauben der Vergangenheit schließen.41:3Die Juden haben überkommenen Aberglauben, die Buddhisten und Zoroastrier sind nicht frei davon so wenig wie die Christen. Alle Religionen wurden nach und nach durch Überlieferung und Dogmen eingeengt.41:4Alle halten sich jeweils für die einzigen Hüter der Wahrheit und meinen, dass jede andere Religion aus Irrtümern bestehe. Sie selbst hätten Recht und alle übrigen Unrecht. Die Juden glauben, allein die Wahrheit zu besitzen und verdammen alle anderen Religionen. Die Christen behaupten, ihre Religion sei die einzig wahre und alle übrigen falsch. Genauso die Buddhisten und Mohammedaner: alle umgeben sich mit Grenzen. Wenn alle einander verdammen, wo sollen wir dann die Wahrheit suchen? Da alle einander widersprechen, können sie nicht alle wahr sein. Wenn alle vermeinen, dass ihre Religion alleinig wahr sei, so machen sie sich selber blind für die Wahrheit, die in den anderen ist. Ein Jude beispielsweise, der an die äußeren Bräuche der Religion Israels gebunden ist, gestattet sich nicht zu erkennen, dass die Wahrheit auch in jeder anderen Religion sein kann; alles muss in seiner eigenen enthalten sein!41:5Wir sollten uns daher von den äußeren religiösen Formen und Bräuchen lösen. Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass diese Formen und Bräuche, wie schön sie auch immer seien, nur Gewändern gleichen, in die das warme Herz und die lebendigen Glieder der göttlichen Wahrheit eingehüllt sind. Wir müssen die Vorurteile der Überlieferung fallen lassen, wenn wir die Wahrheit mit Erfolg im Kern von allen Religionen finden wollen. Wenn ein Zoroastrier glaubt, dass die Sonne Gott sei, wie vermag er sich dann mit anderen Religionen zu verbinden? Wie können die Götzendiener die Einheit Gottes fassen, wenn sie an ihre verschiedenen Götzen glauben?41:6Es ist daher klar, dass wir, um irgendwelche Fortschritte in der Suche nach Wahrheit zu erzielen, dem Aberglauben entsagen müssen. Würden alle Suchenden diesem Grundsatz folgen, so würden sie die Wahrheit klar zu schauen vermögen.41:7Wenn sich fünf Menschen zusammentun, um die Wahrheit zu erforschen, so müssen sie damit beginnen, dass sich jeder über seine einzelne besondere Lage hinwegsetzt und alle vorgefassten Meinungen fallen lässt. Um die Wahrheit zu finden, müssen wir von unseren Vorurteilen, unseren eigenen kleinlichen, alltäglichen Vorstellungen lassen; ein offener, empfänglicher Sinn ist nötig. Wenn unser Kelch vom Ich erfüllt ist, so ist in ihm kein Raum mehr für das Wasser des Lebens. Die Tatsache, dass wir meinen, selber im Recht zu sein und jeden anderen für im Unrecht halten, ist das größte aller Hindernisse auf dem Weg zur Einheit, und Einheit ist nötig, wenn wir zur Wahrheit kommen wollen, denn die Wahrheit ist nur eine.41:8Darum sollten wir gebieterisch den eigenen persönlichen Vorurteilen und dem Aberglauben entsagen, wenn wir ernstlich die Wahrheit zu erforschen wünschen. Wenn unser Verstand nicht zwischen Dogmen, Aberglauben und Vorurteilen auf der einen und der Wahrheit auf der anderen Seite unterscheidet, so können wir nicht zum Ziel gelangen. Suchen wir irgendetwas ernstlich, so werden wir uns überall danach umsehen. An diesen Grundsatz müssen wir uns in unserer Wahrheitssuche halten.41:9Die Wissenschaft muss angenommen werden. Keine Wahrheit kann einer anderen Wahrheit widersprechen. Das Licht ist gut, in welcher Lampe es auch brennen mag, eine Rose schön, in welchem Garten sie auch blühen mag. Ein Stern hat den gleichen Glanz, ob er aus dem Osten oder aus dem Westen scheint. Seid vorurteilsfrei, so werdet ihr die Sonne der Wahrheit lieben, an welchem Punkte des Horizontes sie auch aufgeht! Ihr werdet erkennen, dass das göttliche Licht der Wahrheit, wenn es in Jesus Christus schien, dann auch in Moses und in Buddha leuchtete. Der ernsthaft Suchende wird zu dieser Wahrheit finden. Das ist die Bedeutung der »Suche nach Wahrheit«.41:10Sie bedeutet auch, dass wir gewillt sein müssen, alles beiseite zu legen, was wir früher gelernt haben und was unsere Schritte auf dem Weg zur Wahrheit behindern könnte. Wir dürfen nicht davor zurückschrecken, nötigenfalls unsere Erziehung von vorne zu beginnen. Wir dürfen unser Auge nicht durch die Liebe zu irgendeiner Religion oder Person derartig blenden lassen, dass uns der Aberglaube in Fesseln schlägt. Wenn wir uns von allen diesen Banden lösen und mit ungebundenen Sinnen suchen, so werden wir auch fähig sein, ans Ziel zu gelangen.41:11»Suche die Wahrheit, und die Wahrheit wird dich frei machen.«Joh. 8:31 – Anm. d. Hrsg.
Q So werden wir die Wahrheit in allen Religionen erblicken, denn die Wahrheit ist in allen, und die Wahrheit ist nur eine!Zweites Prinzip: Die Einheit der Menschheit42:0_6711. November 191142:1Gestern sprach ich über das erste Prinzip der Lehre Bahá’u’lláhs, »Die Suche nach Wahrheit«, und darüber, wie notwendig es für den Menschen ist, dass er alles beiseite legt, was im Grunde auf Aberglauben beruht, sowie auch jede Überlieferung, die seine Augen gegenüber der in allen Religionen vorhandenen Wahrheit blind zu machen vermöchte. Während er eine Religionsform liebt und an ihr hängt, darf er sich nicht gestatten, dass er alle übrigen verabscheut. Es ist erforderlich, dass er in allen Religionen nach Wahrheit sucht, und wenn sein Suchen ernst ist, wird er gewiss erfolgreich sein.42:2Die erste Entdeckung, die wir in unserer »Suche nach Wahrheit« machen, führt uns zum zweiten Prinzip, welches die »Einheit der Menschheit« ist. Alle Menschen sind Diener des einen Gottes. E i n Gott herrscht über alle Nationen der Welt und hat an all Seinen Kindern Freude. Alle Menschen gehören zu einer Familie. Die Krone der Menschheit ruht auf dem Haupte eines jeden Menschen.42:3In den Augen des Schöpfers sind alle Seine Kinder gleich. Seine Güte ergießt sich über alle. Er begünstigt weder das eine noch das andere Land. Sie alle sind in gleicher Weise Seine Geschöpfe. Da dies so ist, warum dann sollten wir Trennungslinien ziehen, die eine Rasse von der anderen scheiden? Warum dann sollten wir Schranken des Aberglaubens und der Überlieferung errichten, die Uneinigkeit und Hass unter die Menschen bringen?42:4Der einzige Unterschied zwischen den Gliedern der menschlichen Familie liegt in ihrer Stufe. Einige sind wie unwissende Kinder, die erzogen werden müssen, bis sie die Reife erlangen. Andere sind wie Kranke und müssen zart und sorgfältig behandelt werden. Keines von ihnen ist schlecht oder böse. Wir dürfen uns nicht von diesen armen Kindern abgestoßen fühlen. Wir müssen sie mit großer Güte behandeln, die Unwissenden belehren und die Kranken zärtlich hegen.42:5Bedenkt: die Einheit ist nötig für das Dasein. Liebe ist die wahre Ursache des Lebens, während Trennung Tod bringt. In der Welt der materiellen Schöpfung z. B. verdanken alle Dinge ihr gegenwärtiges Leben der Einheit. Die Urstoffe, aus denen das Holz, das Mineral oder der Stein bestehen, werden durch das Gesetz der Anziehung zusammengehalten. Hörte dieses Gesetz nur einen Augenblick lang auf zu wirken, so würden diese Elemente ihren Zusammenhalt verlieren, sie würden auseinanderfallen, und der Gegenstand in dieser besonderen Form würde nicht mehr bestehen. Das Gesetz der Anziehung hat gewisse Urstoffe in der Form dieser schönen Blume zusammengebracht; wird aber jene Anziehung aus diesem Mittelpunkt zurückgezogen, so wird die Blume zerfallen und ihr Bestand als Blume enden.42:6So ist es auch mit dem großen Körper der Menschheit. Das wunderbare Gesetz der Anziehung, des Einklangs und der Einheit hält diese wundersame Schöpfung zusammen.42:7Wie es mit dem Ganzen ist, so ist es auch mit den Teilen: Gleichviel ob Blume oder menschlicher Körper, wenn das Prinzip der Anziehung ihnen entzogen wird, so sterben Blume wie Mensch. Es ist darum klar, dass Anziehung, Einklang und Liebe Ursache des Lebens sind, wogegen Abstoßung, Zwietracht, Hass und Trennung Tod bewirken.42:8Wir haben gesehen, dass alles, was Spaltung in die Welt des Daseins bringt, den Tod verursacht. In gleicher Weise wirkt das nämliche Gesetz in der Welt des Geistes.42:9Darum sollte jeder Diener des einen Gottes dem Gesetz der Liebe folgen und jederlei Hass, Uneinigkeit und Streit vermeiden. Wenn wir die Natur betrachten, so finden wir, dass sich die sanftmütigeren Tiere zu Rudeln und Herden zusammenschließen, während die wilden, reißenden Geschöpfe wie der Löwe, der Tiger und der Wolf ihr Leben im Dickicht der Wälder fern der Zivilisation verbringen. Zwei Wölfe oder zwei Löwen vermögen in Freundschaft miteinander zu leben, tausend Lämmer jedoch vermögen den gleichen Pferch zu teilen und Scharen von Rotwild eine Herde zu bilden. Zwei Adler können am gleichen Platze horsten, doch tausend Rehe sich in einem Raume sammeln.42:10Der Mensch sollte zumindest zu den sanftmütigeren Tieren zählen; doch wenn er ergrimmt, wird er noch grausamer und heimtückischer als die wildesten Geschöpfe der Tierwelt!42:11Heute hat Bahá’u’lláh die »Einheit der Menschheit« verkündet. Alle Völker und Nationen gehören einer Familie an, sind Kinder eines Vaters und sollten zueinander wie Brüder und Schwestern sein. Ich hoffe, dass ihr euch bemühen werdet, diese Lehren zu leben und zu verbreiten.42:12Bahá’u’lláh hat uns gelehrt, auch unsere Feinde zu lieben und zu ihnen wie Freunde zu sein. Wenn alle Menschen diesem Prinzip gehorchten, so würde dadurch die größte Einigkeit und Einsicht in den Menschenherzen begründet werden.Drittes Prinzip: Religion sollte Liebe und Zuneigung hervorrufen43:1(»Dass Religion zu Liebe und Zuneigung führen sollte« S. 40:13–14 – Anm. d. Hrsg.
Q, wurde bereits in vielen der in diesem Buche aufgezeichneten Reden sowie bei der Erklärung verschiedener anderer Prinzipien stark betont.)Viertes Prinzip: Die Anerkennung der Beziehung zwischen Religion und Wissenschaft44:0_68Paris, Avenue de Camoëns 4, 12. November 191144:0_69‘Abdu’l-Bahá sprach:44:1Ich habe zu euch über einige Prinzipien Bahá’u’lláhs und zwar über die Suche nach Wahrheit und die Einheit des Menschengeschlechtes gesprochen. Ich will nun das vierte Prinzip, die Anerkennung der Beziehung zwischen Religion und Wissenschaft, erklären.44:2Es gibt keinen Widerspruch zwischen wahrer Religion und Wissenschaft. Wenn eine Religion im Gegensatz zur Wissenschaft steht, wird sie zu reinem Aberglauben; das Gegenteil vom Wissen ist die Unwissenheit.44:3Wie kann ein Mensch etwas für eine Tatsache halten, das die Wissenschaft als unmöglich bewiesen hat? Glaubt er entgegen Seiner Vernunft, so ist dies eher unwissender Aberglaube als Glaube. Die wahren Prinzipien aller Religionen stimmen mit den Lehren der Wissenschaft überein.44:4Die Einheit Gottes ist logisch, und dieser Gedanke steht nicht im Widerspruch zu den Forschungsergebnissen der Wissenschaft.44:5Alle Religionen lehren uns, das Gute zu tun, großmütig, aufrichtig, wahrhaftig, gesetzestreu und ehrlich zu sein. Dies alles ist vernünftig und logischerweise der einzige Weg, auf dem die Menschheit vorwärts kommen kann.44:6Alle religiösen Gesetze entsprechen der Vernunft und sind den Menschen angemessen, für welche sie geschaffen wurden, sowie dem Zeitalter, in dem ihnen gehorcht werden muss.44:7Die Religion umfasst zwei Hauptteile:
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