‘Abdu’l-Bahá | Geheimnis göttlicher Kultur
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Wenn man durch die Nutzung der eigenen Wahrnehmungsfähigkeit Vergleiche zwischen den gegenwärtigen Verhältnissen und den durch Kollektiverfahrung gebildeten Schlussfolgerungen ziehen kann, wenn man dadurch Gegebenheiten, die heute erst als Möglichkeit vorhanden sind, als künftige Wirklichkeiten vorausschauen kann, wäre es dann unvernünftig, heute Maßnahmen zu ergreifen, die unsere künftige Sicherheit garantieren? Erscheint es kurzsichtig, unvorsichtig oder bedenklich, ist es eine Abkehr von dem, was recht und billig ist, wenn wir unsere Beziehungen zu Nachbarländern festigen, bindende Verträge mit den Großmächten eingehen, Freundschaft mit friedliebenden Regierungen pflegen, die Handelsbeziehungen mit den Nationen in Ost und West erweitern, unsere Bodenschätze erschließen und den Reichtum unseres Volkes mehren?
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Würde es für unsere Untertanen Verderben bedeuten, wenn die Provinz- und Bezirksgouverneure ihrer heutzutage absoluten Macht entbunden würden, durch die sie schalten und walten, wie es ihnen passt, wenn sie statt dessen auf Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit verpflichtet würden, wenn Todesurteile und Kerkerstrafen, die sie verhängen, der Bestätigung durch den Sháh und durch übergeordnete Gerichte in der Hauptstadt unterworfen würden, die den Fall zuvor gründlich prüfen, Art und Ausmaß des Verbrechens bestimmen und dann eine gerechtes Urteil abgeben müssten, vorbehaltlich der Erteilung eines Dekrets durch den Herrscher? Wenn Bestechung und Korruption, heute unter den wohlklingenden Namen Geschenke und Vergünstigungen bekannt, für alle Zeit ausgeschlossen sein würden, wäre das eine Bedrohung für die Grundmauern der Gerechtigkeit? Wäre es ein Zeichen krankhafter Denkweise, Soldaten, die doch lebendige Opfer für Volk und Staat sind, ständig bereit, dem Tod ins Auge zu schauen, aus ihrer heutzutage unvorstellbaren Not und Armut zu befreien, angemessene Vorkehrungen für ihre Ernährung, Kleidung und Unterbringung zu treffen und keine Mühe zu scheuen, ihre Offiziere in der Militärausbildung zu unterweisen und die Armee mit den modernsten Arten von Gewehren und anderen Waffen auszustatten?
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Wollte jemand einwenden, solche Reformen seien noch nie völlig durchgesetzt worden, dann müsste er dieser Frage unvoreingenommen nachgehen und feststellen, dass diese Schwachpunkte auf dem völligen Fehlen einer einheitlichen öffentlichen Meinung sowie auf dem Mangel an Einsatzbereitschaft, Entschlossenheit und Hingabe bei den Führern des Landes beruhen. Offensichtlich kann das Land nicht in angemessener Weise verwaltet werden, bevor das Volk erzogen und die öffentliche Meinung auf das Wesentliche richtig fokussiert ist, bevor Regierungsbeamte, selbst der unteren Grade, frei von den geringsten Spuren von Korruption sind. Erst wenn Disziplin, Ordnung und gute Regierungsführung eine Stufe erreichen, auf der es einem Bürger auch mit äußerster Anstrengung nicht gelänge, um Haaresbreite vom Pfade der Rechtschaffenheit abzuweichen – erst dann können die gewünschten Reformen als vollständig durchgeführt betrachtet werden.
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Überdies kann jede Einrichtung, auch wenn sie dem höchsten Wohl der Menschheit dient, missbraucht werden. Ihr richtiger oder falscher Gebrauch hängt davon ab, wie unterschiedlich stark Aufklärung, Fähigkeit, Glaube, Redlichkeit, Hingabe und edle Gesinnung bei den Führern der öffentlichen Meinung ausgeprägt sind.
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Der Sháh hat seinen Teil getan; die Ausführung der nützlichen Maßnahmen, die vorgeschlagen wurden, ist nun in die Hände derjenigen Personen gelegt, die in den Beratungsgremien arbeiten. Wenn diese Menschen sich als unbescholten und edelmütig erweisen, wenn sie sich vom Makel der Korruption freihalten, werden die Bestätigungen Gottes sie zu einer nie versiegenden Quelle des Segens für die Menschheit machen. Gott wird ihren Lippen und ihren Federn entströmen lassen, was dem ganzen Volk zum Segen gereicht, so dass jeder Winkel des edlen Írán von ihrer Gerechtigkeit und Redlichkeit erleuchtet wird und die Strahlen dieses Lichts die ganze Erde erfassen werden. »Dies wird Gott kein Schweres sein. «Qur’án 14:20 und 35:17.Q
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Andernfalls ist es klar, dass die Ergebnisse sich als nicht hinnehmbar erweisen werden, hat es sich doch in bestimmten fremden Ländern gezeigt, dass nach der Einführung von Parlamenten das Volk in Wirklichkeit entmutigt und verwirrt wurde und dass selbst gutgemeinte Reformen schlechte Wirkungen zur Folge hatten. Die Errichtung von Parlamenten, der Aufbau beratender Körperschaften ist in Wahrheit die Grundlage der Staatsführung; solche Einrichtungen müssen jedoch eine Reihe wesentlicher Anforderungen erfüllen. Erstens müssen ihre gewählten Mitglieder rechtschaffen, gottesfürchtig, edelgesinnt und unbestechlich sein. Zum anderen müssen sie die Gesetze Gottes in allen Einzelheiten kennen; sie müssen auch über die wichtigsten Rechtsgrundsätze Bescheid wissen, in den Regeln, die für den Umgang mit inneren Angelegenheiten und mit auswärtigen Beziehungen gelten, erfahren und in den nutzbringenden Künsten der Zivilisation geschult sein. Schließlich müssen sie sich mit ihren rechtmäßigen Einkünften zufrieden geben.
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Man sollte nicht glauben, dass es Menschen dieser Art nicht gäbe. Durch Gottes Gnade und Seine Erwählten, durch große Anstrengungen hingebungsvoller und geheiligter Seelen lässt sich jede Schwierigkeit leicht beheben, und jedes noch so vielschichtige Problem erweist sich als einfacher denn ein Augenzwinkern.
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Wenn jedoch die Mitglieder derartiger beratender Körperschaften von minderwertigem Charakter, unwissend, über die Gesetze der Staatsführung und der Verwaltung nicht unterrichtet, wenn sie dumm, niedrig gesinnt, gleichgültig, müßig und eigennützig sind, ist es nutzlos, derartige Einrichtungen ins Leben zu rufen. Während in der Vergangenheit ein armer Mann, der zu seinem Recht kommen wollte, nur einen Einzelnen zu bestechen hatte, müsste er jetzt alle Hoffnung auf Gerechtigkeit aufgeben oder aber die gesamte Mitgliederzahl zufriedenstellen.
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Eine eingehende Untersuchung wird belegen, dass der Grund für Unterdrückung und Unrecht, für Unehrlichkeit, Regelwidrigkeit und Missstände hauptsächlich darin besteht, dass es dem Volk an religiöser Gläubigkeit und an Erziehung mangelt. Wenn das Volk echt religiös, gebildet und geschult ist und eine Schwierigkeit sich zeigt, kann es sich an die örtlichen Behörden wenden; trifft es dort nicht auf Gerechtigkeit und kann es nicht seine angemessenen Ansprüche durchsetzen, stellt es vielmehr fest, dass die örtliche Verwaltung im Widerspruch zu Gottes Wohlgefallen und zur Rechtlichkeit des Königs steht, dann kann das Volk seinen Fall der höheren Gerichtsinstanz vortragen und die Abweichung der örtlichen Behörden von dem geistigen Gesetz darstellen. Das Gericht kann sich die Akten der Behörden über den Fall kommen lassen und auf diese Weise wird der Gerechtigkeit Genüge getan. Zurzeit fehlen jedoch dem größten Teil der Bevölkerung aus Mangel an Schulbildung sogar die Worte, um ihr Anliegen vorzubringen.
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Und nun zu denen, die hier und da als Staatsführer angesehen werden. Wir stehen erst am Anfang des neuen Verwaltungsprozesses, und diese Staatsführer sind selbst noch nicht ausreichend ausgebildet, um die Freuden bei der Ausübung von Gerechtigkeit erlebt und das Hochgefühl bei der Förderung von Rechtssicherheit gekostet zu haben; sie haben noch nicht von den Quellen eines reinen Gewissens und einer aufrechten Absicht getrunken. Sie haben noch nicht richtig erkannt, dass des Menschen höchste Ehre und wahres Glück in der Selbstachtung liegt, in hohen Entschlüssen und edlen Vorsätzen, in der Unversehrtheit und Sittlichkeit der Person, in der Reinheit des Denkens. Stattdessen bilden sie sich ein, ihre Größe läge darin, mit allen zu Gebote stehenden Mitteln weltliche Güter anzuhäufen.
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Jeder Mensch sollte innehalten, nachdenken und gerecht urteilen: Sein Herr hat ihn aus unermesslicher Gnade zu einem menschlichen Wesen gemacht und mit den Worten geehrt: »Wahrlich, Wir schufen den Menschen in schönster Gestalt.«Qur’án 95:4.Q Er hat Seine Barmherzigkeit aus der Dämmerung der Einheit aufsteigen und über dem Menschen strahlen lassen, bis dieser zum Brunnquell des Wortes Gottes, zum Offenbarungsort himmlischer Geheimnisse wurde. Am Morgen der Schöpfung wurde er mit den Eigenschaften der Vollkommenheit und mit heiliger Anmut übersät. Wie kann er dieses makellose Gewand mit dem Schmutz selbstischer Begierden besudeln, wie kann er diese ewige Ehre gegen Schande tauschen? »Wähnst du dich eine schwache Form, wo doch das Weltall in dir zusammengefaltet liegt?«Imám ‘Alí, Ḥadíth.Q
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Wäre es nicht unser Anliegen, uns kurz zu fassen und unser Hauptthema zu entwickeln, würden wir hier eine Zusammenfassung von Themen in Bezug auf die Göttliche Welt und die Wirklichkeit des Menschen, seine hohe Stufe und den alles überragenden Wert der menschlichen Rasse geben. Aber lassen wir dies für eine andere Gelegenheit!
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Die höchste Stufe und die oberste Ebene, den vornehmsten und erhabensten Rang in der ganzen Schöpfung – ob sichtbar oder unsichtbar, ob Alpha oder Omega – nehmen die Propheten Gottes ein, obwohl sie größtenteils dem äußeren Anschein nach nichts als ihre Armut ihr eigen nannten. Desgleichen ist den Heiligen und denen, die der Schwelle Gottes am nächsten sind, unaussprechliche Herrlichkeit vorbehalten, obwohl sich ihresgleichen niemals, und sei es auch nur für einen Augenblick, um irdischen Gewinn kümmerten. Dann kommt die Stufe jener gerechten Könige, deren Ruf als Beschützer des Volkes und als Wahrer göttlicher Gerechtigkeit die Welt erfüllte und deren Namen als machtvolle Verfechter der Rechte des Volkes in der ganzen Schöpfung widerhallten. Solche Könige vergeuden keinen Gedanken darauf, riesige Reichtümer für sich anzusammeln; sie sehen vielmehr ihren eigenen Reichtum in der Förderung des Wohlstands ihrer Untertanen. Für sie sind die königlichen Schatzkammern gefüllt, wenn jeder einzelne Bürger in Wohlstand und Behagen lebt. Sie sind nicht stolz auf Gold und Silber, sondern auf ihre aufgeklärte Gesinnung und ihre Entschlossenheit, das Beste für die Allgemeinheit zu erreichen.
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Als Rangnächste folgen jene hervorragenden und ehrenhaften Minister und Vertreter des Staates, die den Willen Gottes über ihren eigenen stellen und deren fachliche Kompetenz und Weisheit bei der Verwaltung ihrer Ämter die Staatskunst zu neuen Gipfeln der Vollkommenheit führt. Sie strahlen in der Welt der Gebildeten wie Leuchten des Wissens; ihre Gedanken, ihr Verhalten und ihre Taten beweisen, wie sehr ihnen das Vaterland und sein Fortschritt am Herzen liegen. Mit bescheidenen Bezügen zufrieden, widmen sie ihre Tage und Nächte der Erfüllung ihrer wichtigen Aufgaben und dem Ersinnen von Methoden, um den Fortschritt des Volkes sicherzustellen. Durch den Einfluss ihres weisen Rates und durch ihr gesundes Urteil haben sie eh und je ihre Regierung zu einem nachahmenswerten Beispiel für alle anderen Regierungen der Welt werden lassen. Ihre Hauptstadt ward zum Brennpunkt großer weltweiter Unternehmungen; sie selbst gewannen an Würde, erlangten in hohem Maß persönliche Berühmtheit und erklommen die höchsten Höhen an Wertschätzung und an Charaktereigenschaften.
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Dann folgen jene berühmten, erfahrenen Gelehrten, die über edle Eigenschaften und umfassendes Wissen verfügen, sich fest an die Gottesfurcht halten und auf den Wegen des Heils bleiben. Im Spiegel ihres Geistes werden Formen transzendenter Wahrheiten reflektiert, und die Lampe ihrer inneren Schau empfängt ihr Licht von der Sonne universalen Wissens. Tag und Nacht stehen sie im Dienste gründlicher Forschungen auf solchen Wissensgebieten, die von Nutzen für die Menschheit sind, und widmen sich der Ausbildung befähigter Studenten. Würde man alle Schätze der Könige ihnen anbieten, so wären sie, da sie so hohe Ansprüche vertreten, nicht mit einem einzigen Tropfen aus den Wassern des Wissens zu vergleichen, und Berge von Gold und Silber könnten nicht die Freude an einer erfolgreichen Lösung eines schwierigen Problems aufwiegen. Alle Freuden, die abseits ihrer Arbeit liegen, sind in ihren Augen nur Kindertand, und die beschwerliche Last unnötiger Besitztümer ist nur für Unwissende und kleine Geister gut. Zufrieden gleich den Vögeln, sind sie für eine Handvoll Samen dankbar, und der Gesang ihres Wissens entzückt den Geist der Weltweisen.
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Schließlich trifft man unter dem Volk kluge Führer und im ganzen Lande einflussreiche Persönlichkeiten an, die als Pfeiler den Staatsbau tragen. Ihr Rang, ihre Position und ihr Erfolg hängen davon ab, ob sie dem Volk wohlgesinnt sind und ob sie sich bemühen, solche Mittel herauszufinden, die die Nation in ihrer Entwicklung fördern und den Reichtum und das Wohlergehen der Bürger steigern.
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Stellt euch vor, ein Mensch sei in seinem Land eine einflussreiche Persönlichkeit, er sei strebsam, weise, reinen Herzens, bekannt für seine angeborenen Fähigkeiten, seine Intelligenz und seinen natürlichen Scharfsinn; außerdem sei er ein wichtiges Mitglied der Staates: Worin kann ein solcher Mensch Ehre und bleibendes Glück, Rang und Ansehen in dieser und der kommenden Welt sehen? Etwa nicht darin, dass er gewissenhaft der Wahrheit und Rechtschaffenheit Beachtung schenkt, dass er entschlossen und hingebungsvoll nach dem Wohlgefallen Gottes trachtet, dass er danach strebt, die Gunst des Herrschers zu erlangen und die Anerkennung des Volkes zu verdienen? Oder vielleicht eher darin, dass er wegen der Freude an nächtlichen Festgelagen und Ausschweifungen seinem Land schadet und bei Tageslicht seinem Volk das Herz bricht, so dass er von Gott verstoßen, von seinem König vertrieben, von seinem Volk verunglimpft und mit der verdienten Verachtung gestraft wird? Bei Gott, die modernden Gebeine auf den Friedhöfen sind besser als solche Menschen! Welchen Wert haben sie, die niemals von der himmlischen Speise wahrer menschlicher Tugenden gekostet und nie von den kristallklaren Wassern jener Gnadengaben getrunken haben, die zum Reich des Menschen gehören?
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Zweifellos ist mit der Einführung von Parlamenten beabsichtigt, für Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit Sorge zu tragen; alles hängt jedoch von den Anstrengungen der gewählten Abgeordneten ab. Wenn ihre Absicht rein ist, wird es zu wünschenswerten Ergebnissen und zu unerwarteten Verbesserungen kommen; andernfalls ist alles sinnlos. Das Land wird zum Erliegen kommen, und die öffentliche Ordnung wird sich verschlechtern. »Wie ich sehe, kommen tausend Bauleute nicht gegen einen Störenfried an. Was aber soll geschehen, wenn einem Baumeister tausend Störenfriede auf dem Fuße folgen?«
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Im Vorangegangenen wurde zumindest darzulegen versucht, dass Glück und Größe, Rang und Stufe, Freude und Frieden eines Menschen nie auf seinem persönlichen Reichtum beruhen, vielmehr auf seinem hervorragenden Charakter, seinem hehren Entschluss, seiner umfassenden Bildung und seiner Fähigkeit, schwierige Probleme zu lösen. Wie klar ist doch gesagt worden: »Was ich auf dem Körper trage, ist keinen Pfennig wert, wollte man es verkaufen; aber darunter schlägt ein Herz, das – gegen alle Herzen der Welt aufgewogen – größer und edler wäre.«
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Nach Ansicht des Verfassers sollte die Wahl von nichtständigen Mitgliedern beratender Körperschaften in souveränen Staaten vom Willen und der Wahl des Volkes abhängen; denn Abgeordnete, die gewählt werden, sind eher geneigt, Gerechtigkeit walten zu lassen, damit ihr Ruf keinen Schaden leide und sie nicht vor der Öffentlichkeit in Ungnade fallen.
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Man sollte nicht glauben, mit den vorstehenden Bemerkungen wollte der Verfasser Reichtum verurteilen oder Armut empfehlen. Reichtum ist allen Lobes wert, wenn er durch eigene Anstrengungen des Menschen und durch die Gnade Gottes auf den Gebieten des Handels, der Landwirtschaft, der Kunst oder Industrie erworben und für menschenfreundliche Zwecke ausgegeben wird. Vor allen Dingen gäbe es, wenn ein vernünftiger und ideenreicher Mensch Maßnahmen in die Wege leiten würde, um das Einkommen der Volksmassen allgemein zu heben, kein wichtigeres Vorhaben als dieses, und in den Augen Gottes würde dies als die größte Errungenschaft gelten, denn solch ein Wohltäter würde die Bedürfnisse einer großen Menge stillen und ihr Sicherheit und Wohlfahrt verschaffen. Reichtum ist in höchstem Maße lobenswert, sofern die ganze Bevölkerung reich ist. Wenn jedoch nur einige wenige übermäßige Reichtümer besitzen und alle übrigen verarmt sind, wenn keine Frucht, kein Nutzen aus dem Reichtum erwächst, dann bedeutet dieser nur eine Belastung für den Besitzer. Wird der Reichtum andererseits dazu verwendet, Wissen zu fördern, Grund- und andere Schulen zu eröffnen, Kunst und Industrie anzuregen, Waisen und Arme zu erziehen – kurz gesagt, ist er dem Wohle der Gesellschaft gewidmet –, dann ragt sein Besitzer vor Gott und den Menschen als der Vortrefflichste unter allen, die auf Erden wohnen, hervor und wird zum Volke des Paradieses gezählt.
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Nun zu jenen, die die Meinung vertreten, die Einführung von Reformen und Einrichtung machtvoller Institutionen stünde im Widerspruch zum Wohlgefallen Gottes, würden gegen die Gesetze des Göttlichen Gesetzgebers verstoßen und gegen die religiösen Grundsätze und das Lebensvorbild des Propheten. Lasst sie überlegen, wie weit solches zutreffen könnte. Laufen Reformen dem religiösen Gesetz zuwider, weil sie von Ausländern übernommen werden und sie uns dazu bringen, so zu sein, wie sie sind nach dem Wort: »Wer ein Volk nachahmt, gehört ihm an«? Zunächst beziehen sich diese Angelegenheiten auf den zeitlichen, äußerlichen Rahmen der Zivilisation, die Förderung von Wissenschaften, die Begleiterscheinungen des Fortschritts im Berufsleben und in den Künsten sowie die ordnungsgemäße Amtsführung der Regierung. Sie haben absolut nichts zu tun mit Fragen des Geistes und den vielfältigen Wahrheiten religiöser Lehre. Wenn eingewandt würde, vom Ausland etwas zu übernehmen, selbst wenn es materielle Angelegenheiten betrifft, sei unzulässig, würde eine solche Behauptung nur die Unwissenheit und Unvernunft ihrer Befürworter beweisen. Haben sie den berühmten ḤadíthHeilige Überlieferung, belegter Ausspruch des Propheten Muḥammad.A vergessen: »Suchet nach Wissen, selbst bis nach China«? Sicherlich gehörten die Chinesen in den Augen Gottes zu den am meisten beklagenswerten Menschen, weil sie Götzenbilder anbeteten und des allwissenden Herrn nicht gedachten. Die Europäer sind wenigstens ein »Volk des Buches«Vgl. Qur’án, mehrere Dutzend Stellen – Anm. d. Hrsg.Q und glauben an Gott; darauf wird ausdrücklich in dem heiligen Vers Bezug genommen: »Du wirst sicherlich jene den Gläubigen liebreich am nächsten finden, die sagen ›Wir sind Christen‹«Qur’án 5:82.Q. Es ist deshalb durchaus zulässig und in der Tat vorzuziehen, von christlichen Ländern Wissen zu erwerben. Wie könnte die Suche nach Wissen unter den Heiden vor Gott annehmbar sein und die Suche unter dem »Volk des Buches« Ihm missfallen?
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In der ›Grabenschlacht‹Ghazwatu’l-Ḥandaq‹. Angriff einer von dem Stamm der Quraysh organisierten Allianz auf Medina, im Jahre 627 n. Chr. – Anm. des Hrsg.A verschaffte sich Abú-Sufyán die Hilfe der Baní-Kinánih, der Baní-Qaḥṭán und der jüdischen Baní Qurayzah; er erhob sich mit allen Stämmen der Quraysh, um das Göttliche Licht, das in der Lampe von Yathrib (Medina) flammte, zu löschen. In jenen Tagen heulten die Stürme der Prüfungen und Schicksalsschläge aus jeder Richtung, wie geschrieben steht: »Wähnen die Menschen, in Ruhe gelassen und nicht geprüft zu werden, wenn sie nur sagen ›Wir glauben‹?«Qur’án 29:2.Q Die Gläubigen waren gering an Zahl, der Feind griff mit Macht an und versuchte, die neu erschienene Sonne der Wahrheit durch den Staub der Unterdrückung und der Gewaltherrschaft auszulöschen. Da trat der Perser Salmán vor den Propheten, den Aufgangsort der Offenbarung, den Brennpunkt der unendlichen Strahlen göttlicher Gnade, und sagte, dass man in Persien zum Schutz vor einem eindringenden Feind Festungsgräben oder Schanzen um das Land anlegte und dies habe sich als eine höchst wirksame Vorsichtsmaßnahme gegen plötzliche Überfälle erwiesen. Hat nun daraufhin jener Brunnquell umfassender Weisheit, jenes Bergwerk göttlicher Erkenntnis erwidert, solche Verteidigungsanlagen seien ein Brauch götzendienerischer, feueranbetender Magierzoroastrischer Priester – Anm.des Hrsg.A und könnte deshalb von den Gläubigen des einen wahren Gottes schwerlich übernommen werden? Oder hat Er nicht vielmehr sofort Seinen Anhängern befohlen, so rasch wie möglich einen Graben auszuheben? Gemeinsam mit ihnen nahm Er selbst in Seiner eigenen gesegneten Person die Werkzeuge in die Hand und machte sich an die Arbeit.
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In den Büchern der verschiedenen islámischen Rechtsschulen und in den Schriften führender Gelehrter und Historiker ist zudem berichtet, dass heilige Gesetze offenbart wurden, die teilweise den Bräuchen aus den Tagen der UnwissenheitJáhilíyyih: die heidnische Zeit in Arabien vor dem Auftreten Muḥammads.A entsprachen – und dies, nachdem das Licht der Welt über dem Ḥijáz aufgegangen war, die ganze Menschheit mit Seinem Strahlenglanz überflutet und durch die Offenbarung eines neuen, göttlichen Gesetzes, neuer Grundsätze und neuer Einrichtungen eine grundlegende Veränderung in der ganzen Welt geschaffen hatte. So achtete Muḥammad zum Beispiel die Monate des GottesfriedensDie heidnischen Araber beachteten einen gesonderten und drei zusammenhängende Monate religiöser Waffenruhe, während derer Pilgerfahrten nach Mecca, Jahrmärkte, poetische Wettbewerbe und ähnliche Ereignisse stattfanden..A, Er behielt das Verbot des Schweinefleisches, den Mondkalender sowie die Monatsnamen bei und dergleichen mehr. Es gibt eine beträchtliche Zahl solcher Gesetze, die einzeln in den Texten aufgeführt sind:
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»In den Tagen der Unwissenheit hielt sich das Volk an viele Bräuche, die das Gesetz des Islám später bestätigte. Sie heirateten keine Mutter und deren Tochter gleichzeitig; der schimpflichste Akt war in ihren Augen, zwei Schwestern zu heiraten. Ein Mann, der die Frau seines Vaters heiratete, wurde verspottet und als seines Vaters Nebenbuhler gebrandmarkt. Sie hatten den Brauch, zu dem Haus in Mekka zu pilgern und dort Besuchsriten zu verrichten, indem sie Pilgerkleider anlegten, das Haus feierlich umschritten, zwischen den Hügeln hin und her liefen, an den Halteplätzen warteten und Steine warfen. Weiter war es ihre Gewohnheit, in dreijährigen Abständen einen Schaltmonat in den Kalender einzufügen, nach dem Geschlechtsverkehr Waschungen zu verrichten, den Mund zu spülen, Wasser durch die Nasenlöcher einzuziehen, das Haar zu scheiteln, Zahnstocher zu benutzen, die Nägel zu schneiden und die Haare der Achselhöhlen auszurupfen. Desgleichen pflegten sie einem Dieb die rechte Hand abzuhacken.«
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Kann man, Gott bewahre, aus der Tatsache, dass einige göttliche Gesetze den Bräuchen aus den Tagen der Unwissenheit, den Sitten eines von allen Nationen verachteten Volkes ähneln, den Schluss ziehen, diese göttlichen Gesetze seien fehlerhaft? Oder kann man sich, Gott behüte, vorstellen, der Allmächtige Herr sei geneigt gewesen, den Ansichten der Heiden zu folgen? Die göttliche Weisheit nimmt viele Formen an. Wäre es Muḥammad nicht möglich gewesen, ein Gesetz zu offenbaren, das keinerlei Ähnlichkeit mit den Bräuchen, die in den Tagen der Unwissenheit üblich waren, gehabt hätte? Nein, Seine vollkommene Weisheit hatte zum Ziel, das Volk aus den Ketten des Fanatismus zu befreien, die es an Händen und Füßen fesselten, und genau denjenigen Einwendungen zuvorzukommen, die heutzutage den einfachen, ratlosen Seelen den Verstand verwirren und das Bewusstsein trüben.
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Manche, die über die Bedeutung des Wortes Gottes und die Inhalte der überlieferten und niedergeschriebenen Geschichte nicht ausreichend informiert sind, werden behaupten, jene Bräuche aus den Tagen der Unwissenheit seien Gesetze gewesen, die Seine Heiligkeit Abraham gegeben und die die Götzendiener beibehalten hätten. In diesem Zusammenhang werden sie den Qur’án-Vers anführen: »Folget der Religion Abrahams, der gesund im Glauben war.«Qur’án 16:123.Q. Es ist jedoch eine Tatsache, die in den Schriften aller islámischen Rechtsschulen belegt ist, dass die Monate des Gottesfriedens, der Mondkalender und das Abschlagen der rechten Hand als Strafe für Diebstahl keine Gesetze waren, die Teil des Gesetzes Abrahams waren. Jedenfalls sind die fünf Bücher Mose, die die Gesetze Abrahams enthalten, noch vorhanden und heute allgemein zugänglich. Lasst sie darauf verweisen. Sie werden dann natürlich darauf bestehen zu behaupten, die Thora sei verfälscht worden, und zum Beweis den Qur’án-Vers zitieren: »Sie verkehren den Text des Wortes Gottes.«Qur’án 4:46 und 5:13.Q Es ist jedoch bekannt, wo solche Verfälschungen stattfanden; in kritischen Texten und Kommentaren ist dies aufgezeichnet.vgl. Bahá’u’lláh, Das Buch der Gewissheit 92, Hofheim 2004.A Wollten wir dieses Thema ausführlicher behandeln, müssten wir unsere eigentliche Absicht hintanstellen.
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Manchen Berichten zufolge wurde die Menschheit angewiesen, verschiedene gute Eigenschaften und Verhaltensweisen von den wilden Tieren zu übernehmen und von diesen etwas dazuzulernen. Wenn es statthaft ist, Tugenden dummer Tiere nachzuahmen, so ist es sicherlich viel eher erlaubt, Wissenschaften und Techniken von fremden Völkern zu übernehmen, die wenigstens der menschlichen Rasse angehören und sich durch Urteilsvermögen und die Macht der Sprache auszeichnen. Und wenn behauptet wird, solche löblichen Eigenschaften seien den Tieren angeboren, welchen Beweis können sie dann anführen, dass diese wesentlichen Grundsätze der Kultur, dieses Wissen und diese Wissenschaften, die unter anderen Völkern geläufig sind, nicht auch ›angeboren‹ seien? Gibt es einen Schöpfer außer Gott? Sprich: Gepriesen sei Gott!
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Die gelehrtesten und gebildetsten Geistlichen, die namhaftesten Gelehrten haben gründlich diejenigen Wissenszweige studiert, deren Wurzel und Ursprung die griechischen Philosophen wie Aristoteles und andere waren, und haben die Erforschung der griechischen Texte von Wissenschaften wie der Medizin und Zweigen der Mathematik einschließlich Algebra»Wenn wir mit dem Wort ›Algebra‹ denjenigen Zweig der Mathematik bezeichnen, der uns lehrt, wie wir die Gleichung x2 + 5 x = 14, auf diese Weise niedergeschrieben, lösen, dann beginnt diese Wissenschaft im 17. Jahrhundert. Wenn wir es zulassen, dass die Gleichung mit anderen, weniger geeigneten Symbolen geschrieben wird, beginnt Algebra bereits im 3. Jahrhundert. Wenn wir eine Beschreibung in Worten und eine Lösung für einfache Fälle positiver Wurzeln mit Hilfe geometrischer Figuren einbeziehen, war unsere Wissenschaft schon Euklid und anderen aus der Alexandrinischen Schule um 300 v. Chr. bekannt. Wenn wir mehr oder weniger wissenschaftliche Schätzungen bei der Annäherung an eine Lösung zulassen, lässt sich sagen, dass Algebra schon 2000 Jahre v. Chr. bekannt war und wahrscheinlich bereits viel früher die Aufmerksamkeit der intellektuellen Klasse auf sich zog … Der Name ›Algebra‹ ist rein zufällig. Als Mohammed ibn Mûsâ al-Khowârizmî … um 825 in Baghdad schrieb, gab er einem seiner Werke den Titel Al-jebr w’al-muqâbalah. Dieser Titel wird manchmal in ›Wiedereinsetzung und Gleichung‹ übersetzt, aber die Bedeutung war selbst den späteren arabischen Schriftstellern nicht klar.« (Encyclopaedia Britannica, 1952, Stichwort: Algebra).A und Arithmetik als besonders verdienstvolle Errungenschaft geschätzt. Alle bedeutenden Geistlichen studieren und lehren die Wissenschaft der Logik, obwohl sie als deren Begründer einen Sabäer ansehen. Die meisten von ihnen bestehen darauf, dass auf die Meinungen, Ableitungen und Schlussfolgerungen eines Gelehrten kein sicherer Verlass sei, wenn er zwar eine Reihe von Wissenschaften beherrsche, in der Logik jedoch keine gründlichen Kenntnisse habe.
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Es ist nun klar und unwiderleglich dargestellt worden, dass Grundsätze und Verfahrensweisen kultivierten Lebens aus fremden Ländern zu übernehmen und wissenschaftliche Kenntnisse und Techniken aus dem Ausland zu erwerben – mit anderen Worten: alles, was zum allgemeinen Wohl beiträgt – uneingeschränkt zulässig ist. Dies wurde dargelegt, damit sich die öffentliche Aufmerksamkeit auf eine Angelegenheit von so umfassendem Nutzen fokussiere, damit sich das Volk mit ganzer Kraft erhebe, dies zu fördern, bis mit Gottes Hilfe dieses geheiligte Land in kurzer Zeit zur ersten Nation unter allen anderen Nationen werde.
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O ihr, die ihr weise seid! Erwäget sorgfältig: Kann man eine gewöhnliche Waffe mit einem Martini-Henry-Gewehr oder einer Krupp-Kanone vergleichen? Wollte jemand behaupten, unsere alten Feuerwaffen seien gut genug für uns und es sei sinnlos, Waffen einzuführen, die im Ausland erfunden wurden – würde da auch nur ein Kind ihm zuhören? Oder sollte jemand sagen: »Wir haben immer unsere Waren von Land zu Land auf dem Rücken der Tiere befördert: Warum brauchen wir Dampfmaschinen? Warum sollten wir anderen Völkern versuchen nachzueifern?«, könnte ein intelligenter Mensch eine solche Feststellung hinnehmen? Nein, bei dem einen Gott! Es sei denn, er wollte sich auf Grund eines geheimen Motivs oder aus Feindseligkeit weigern, offenkundige Tatsachen anzuerkennen.
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Fremde Nationen zögern nicht, Ideen voneinander zu übernehmen, obwohl sie höchste Fachkenntnis in Wissenschaft, Kunst und Industrie erworben haben. Wie kann man da zulassen, dass Persien, ein Land in tiefster Not, zurückgeblieben und aufgegeben hinterherhinkt?
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Jene bedeutenden Geistlichen und Gelehrten, die auf dem geraden Pfad wandeln, mit den Geheimnissen göttlicher Weisheit und den inneren Zusammenhängen der Heiligen Bücher wohlvertraut sind, die das Juwel der Gottesfurcht in ihren Herzen tragen und deren strahlende Angesichter vom heilbringenden Licht erleuchtet sind – diese Geistlichen und Gelehrten achten auf die gegenwärtige Bedürfnisse, sie verstehen die Erfordernisse der Moderne und verwenden sicherlich ihre ganze Kraft darauf, Bildung und Kultur voranzutragen. »Sind jene, die wissen, gleich denen, die nicht wissen? … Oder ist die Finsternis gleich dem Licht?«Qur’án 39:9 und 13:16.Q
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Die geistig Gebildeten sind Lampen der Führung unter den Nationen und Sterne des Glücks, die am Horizont der Menschheit strahlen. Sie sind Springbrunnen des Lebens für solche, die dem Tode von Unwissenheit und Unkenntnis verfallen sind, und reine Quellen der Vollkommenheit für jene, die dürstend durch die Wüsten ihrer Fehler und Irrtümer wandern. Dämmerorte der Zeichen göttlicher Einheit sind sie und Eingeweihte in die Geheimnisse des ruhmreichen Qur’án. Sie sind erfahrene Ärzte für den kranken Körper der Welt und das sichere Heilmittel gegen das Gift, das die menschliche Gesellschaft verdorben hat. Sie sind es, die als starke Feste die Menschheit beschützen, sie sind der unbezwingbare Zufluchtsort für die Bedrängten, Bekümmerten und Gequälten und für die Opfer der Unwissenheit. »Wissen ist ein Licht, das Gott ins Herz wirft, wem immer Er will.«
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Für alles hat Gott ein Zeichen und Sinnbild geschaffen, hat Er Maßstäbe und Prüfsteine aufgestellt, durch die es erkannt werden kann. Die geistig Gebildeten müssen sich durch innere wie äußere Vollkommenheiten auszeichnen; sie müssen einen guten Charakter, ein aufgeklärtes Wesen, reine Absichten und ebenso Verstandeskraft, Scharfsinn und Urteilsvermögen, Verschwiegenheit und Weitsicht besitzen, ferner müssen sie besonnen, ehrfürchtig und aufrichtig gottesfürchtig sein. Denn eine Kerze, die nicht brennt, so dick und groß sie auch sein mag, ist nicht besser als eine trockene Palme oder ein Haufen abgestorbenes Holz.
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»Die Maid mag schmollen oder mit mir spielen. Grausame Schönheit, groll nur, sei kokett! Jedoch der Hässlichen steht Scheu nicht an, und Schmerz in blindem Aug’ tut doppelt weh.«Jaláli’d-Dín-i-Rúmí, Mathnaví, I:1906–1907.Q
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Eine autorisierte Überlieferung besagt: »Wer zu den GebildetenDas arabische Wort ‘Ulamá läßt sich auch als ›Gelehrte‹, ›Wissenschaftler‹ or ›religiöse Autoritäten‹ übersetzen.A gehört, muss sich selbst bewahren, seinen Glauben verteidigen, seinen Leidenschaften widerstehen und die Gebote seines Herrn befolgen. Sodann ist es die Pflicht des Volkes, sich an sein Beispiel zu halten.« Da diese erlauchten und heiligen Worte alle Voraussetzungen wahren Wissens veranschaulichen, ist eine kurze Erläuterung ihres Sinns angebracht. Wem es auch immer an diesen göttlichen Fähigkeiten fehlt, wer diese unabdingbaren Erfordernisse nicht in seiner Lebensführung an den Tag legt, sollte nicht als ein Gebildeter angesehen werden und ist nicht wert, den Gläubigen als Vorbild zu dienen.
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Das erste dieser Erfordernisse ist, sich selbst zu bewahren. Offensichtlich bedeutet dies nicht, dass man sich vor Unglück und materiellen Prüfungen schützt; denn alle Propheten und Heiligen waren den bittersten Trübsalen, welche die Welt zu bieten hat, ausgesetzt und dienten der Menschheit zur Zielscheibe für jede Art an Grausamkeit und Angriffslust. Sie opferten ihr Leben für das Wohlergehen des Volkes, und aus ganzem Herzen eilten sie der Stätte ihres Martyriums entgegen. Durch ihre innere und äußere Vollkommenheit schmückten sie die Menschenwelt mit neuen Gewändern vortrefflicher Eigenschaften, angeborener wie erworbener. Sich selbst zu bewahren bedeutet vor allem, die Attribute geistiger und materieller Vollkommenheit zu erwerben.
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Das erste Attribut der Vollkommenheit besteht in der Bildung und in den kulturellen Erkenntnissen des Geistes. Diese hohe Stufe ist erreicht, wenn der Mensch umfassende Kenntnis besitzt von den vielschichtigen und transzendenten Wahrheiten, die Gott zugehören, den Grundwahrheiten der politisch-religiösen Gesetze des Qur’án, dem Inhalt der heiligen Schriften anderer Bekenntnisse sowie von Satzungen und Verfahren, die zum Fortschritt und zur Kultur dieses hervorragenden Landes beitragen können. Darüber hinaus sollte ein solcher Mensch über anderer Länder Gesetze und Grundsätze, Sitten, Lebensumstände und Gepflogenheiten sowie über die materiellen und sittlichen Verdienste, die deren Staatskunst kennzeichnen, Bescheid wissen; er sollte auf allen nutzbringenden Wissensgebieten seiner Zeit höchst bewandert sein und die geschichtlichen Aufzeichnungen vergangener Regierungen und Völker studieren. Denn wenn ein gebildeter Mensch nicht die heiligen Schriften und das gesamte Gebiet der Religions- und Naturwissenschaften, des religiösen Rechts, der Staatskunst, des vielfältigen Wissens der Zeit und der großen geschichtlichen Ereignisse kennt, kann es leicht sein, dass er einem Ernstfall nicht gewachsen ist, und das wäre unvereinbar mit dem notwendigen Erfordernis umfassenden Wissens.
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Wenn zum Beispiel ein islámischer Gelehrter mit einem Christen ein Gespräch führt und die herrlichen Melodien des Evangeliums nicht kennt, wird es ihm nicht möglich sein, den Christen zu überzeugen; wie viele Wahrheiten aus dem Qur’án er auch anführt, er wird tauben Ohren predigen. Sollte der Christ jedoch bemerken, dass der Muslim über die Grundwahrheiten des Christentums besser Bescheid weiß als die christlichen Theologen und dass er den Sinn der Schriften tiefer erfasst hat als jene, dann wird er den Ausführungen des Muslims gern zustimmen; tatsächlich bleibt ihm dann keine andere Wahl.
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