‘Abdu’l-Bahá | Sendbriefe an die Zentralorganisation für einen dauernden Frieden
weiter nach oben ...
Anhang zum 1. Schreiben[Während des ersten Weltkrieges schrieb ‘Abdu’l-Bahá das folgende Sendschreiben, das dem Brief an die Zentralorganisation für einen dauernden Frieden im Haag beigefügt war.] Entnommen aus ‘Abdu’l-Bahá, in: Briefe und Botschaften, Bahá’í Verlag 1998, Kap. 1.Q
2:0_2
Während des Krieges wurde vor einiger Zeit ein Brief über die Lehren Bahá’u’lláhs verfasst und es mag angebracht sein, ihn diesem Schreiben beizufügen.
2:0_3
O Völker der Erde! Die Sonne der Wahrheit ist aufgegangen, um die ganze Welt zu erleuchten und die Gesellschaft der Menschen zu vergeistigen. Lobenswert sind die Ergebnisse und Früchte, reichhaltig die heiligen Beweise, die aus dieser Gnade fließen. Dies bedeutet echte Barmherzigkeit und reinste Großmut, Licht für die Welt und alle ihre Völker, Harmonie und Brüderlichkeit, Liebe und Solidarität; ja es bedeutet Mitleid und Einigkeit und das Ende von Entfremdung, es bedeutet, eins zu sein mit allen auf Erden in vollkommener Würde und Freiheit.
2:1
Die Gesegnete Schönheit spricht: »Ihr seid alle die Früchte eines Baumes und die Blätter eines Zweiges.«vgl. Bahá’u’lláh, Tabernakel der Einheit 1:15, 2:36, Botschaften aus ‘Akká 11:5 – Anm. d. Hrsg.Q Er hat diese Welt des Seins mit einem einzigen Baum verglichen und alle ihre Völker mit dessen Blättern, Blüten und Früchten. Der Zweig muss zum Blühen kommen, Blatt und Frucht müssen wachsen; das Gedeihen von Blatt und Blüte und die Süße der Frucht hängen von der innigen Verbundenheit aller Teile des Weltenbaumes ab.
2:2
Deshalb müssen alle Menschen sich gegenseitig äußerst wirksam unterstützen, alle müssen nach dem ewigen Leben trachten; und aus demselben Grunde müssen die, die Gott lieben, in dieser Welt des Zufalls zu Gnadengaben und Segnungen werden, die durch den milden König der sichtbaren und unsichtbaren Reiche ausgestrahlt wurden. Sie sollten ihren Blick läutern und die ganze Menschheit als Blätter, Blüten und Früchte am Baume des Seins erkennen. Sie sollten zu allen Zeiten danach trachten, eine gute Tat für einen Mitmenschen zu tun und ihm Liebe, Beachtung und fürsorgliche Hilfe zu erweisen. Niemanden sollten sie als ihren Feind betrachten noch jemandem etwas Böses wünschen, sondern in jedem Menschen den Freund sehen, den Fremden als Vertrauten, den Unbekannten als Weggefährten betrachten, frei von Vorurteil und ohne Grenzen.
2:3
Heute ist der ein Begünstigter an der Schwelle des Herrn, der den Becher der Treue weiterreicht, der den Edelstein der Freigebigkeit sogar seinen Feinden gewährt und selbst seinem gestrauchelten Unterdrücker eine helfende Hand reicht. Er ist selbst seinem erbittertsten Feind ein liebevoller Freund. Dies sind die Lehren der Gesegneten Schönheit, dies die Ratschläge des Größten Namens.
2:4
O ihr geliebten Freunde! In der Welt herrscht Krieg, das Menschengeschlecht liegt in Wehen und tödlichem Kampf. Die finstere Nacht des Hasses hat die Überhand gewonnen, das Licht der Vertrauenswürdigkeit ist erloschen. Die Völker und Geschlechter der Erde haben ihre Klauen geschärft und stürzen sich im Kampf aufeinander. Die Menschheit zerstört ihre eigenen Lebensgrundlagen. Tausende von Familien sind ihrer Habe beraubt und irren umher, und jedes Jahr sieht man Tausende und Abertausende von Menschen sich auf staubigen Schlachtfeldern in ihrem Blute wälzen. Die Zelte des Lebens und der Freude sind abgebrochen. Generäle üben sich in ihrer Feldherrnkunst, rühmen sich des Blutes, das sie vergießen, und wetteifern miteinander im Anstacheln zu Gewalttaten. »Mit diesem Schwert«, sagt einer von ihnen, »habe ich ein Volk enthauptet!« Und ein anderer sagt: »Ich stürzte eine Nation zu Boden!« Und ein weiterer: »Ich habe eine Regierung zu Fall gebracht!« Solcher Dinge rühmen sich die Menschen, auf solche Dinge sind sie stolz! Liebe – Rechtschaffenheit – überall werden sie gerügt, und Eintracht und Hingabe an die Wahrheit werden verachtet.
2:5
Der Glaube der Gesegneten Schönheit ruft die Menschheit auf zu Sicherheit und Liebe, zu Freundschaft und Frieden. Er hat seine Stiftshütte auf den Höhen der Erde errichtet und lässt seinen Ruf an alle Völker ergehen. Seid euch daher des Wertes dieses kostbaren Glaubens bewusst, o ihr, die ihr Gott liebt. Gehorcht seinen Geboten, wandelt auf seinen Wegen, die gerade sind, und weist die Menschheit darauf hin. Erhebt eure Stimme und singt das Lied des Königreiches. Verbreitet die Lehren und Gebote des liebenden Herrn in allen Landen, auf dass diese Welt in eine andere verwandelt und diese dunkle Erde mit Licht überflutet werde und der tote Leib der Menschheit auferstehe und lebe, auf dass jede Seele nach Unsterblichkeit trachte durch den heiligen Odem Gottes.
2:6
Bald werden eure schnell dahinfliegenden Tage vergangen sein, und Ruf und Reichtum, Bequemlichkeit und Freude, die dieser Schutthaufen von Welt bereitet hat, werden spurlos verschwunden sein. Ruft deshalb die Menschheit vor Gott und ladet sie ein, dem Beispiel der himmlischen Heerscharen zu folgen. Seid der Waise ein liebevoller Vater, eine Zuflucht dem Hilflosen, ein Schatz dem Armen, dem Kranken Heilung. Seid jedem Opfer der Unterdrückung ein Helfer, ein Beschützer dem Beladenen. Denkt zu allen Zeiten daran, wie ihr jedem Glied der Menschheit einen Dienst erweisen könnt. Schenkt Abneigung und Zurückweisung, Geringschätzung, Feindseligkeit und Ungerechtigkeit keine Beachtung: Tut das Gegenteil. Seid aufrichtig freundlich, nicht nur dem Anschein nach. Jeder der Geliebten Gottes sollte seine Aufmerksamkeit auf das Folgende richten: des Herrn Segen für die Menschen, des Herrn Gnade zu sein. Er sollte jedem, dem er begegnet, einen guten Dienst erweisen und ihm von Nutzen sein. Er sollte jedermanns Charakter veredeln und den Gedanken der Menschen eine neue Richtung geben. So wird das Licht der göttlichen Führung leuchten und der Segen Gottes die ganze Menschheit umfangen, denn Liebe ist Licht, wo immer sie wohnt, und Hass ist Finsternis, wo immer er nistet. O Freunde Gottes! Möge das verborgene Mysterium offenbart und das geheime Wesen aller Dinge enthüllt werden. Strebet danach, das Dunkel auf immer und ewig zu bannen.
An den Überbringer des 2. Schreibens‘Abdu’l-Bahá , in: Briefe und Botschaften, Bahá’í Verlag 1998, Kap. 228.Q
3:0_4
O Diener an der Schwelle Bahá’u’lláhs!Mírzá Aḥmad Khán Yazdání (1891–1977), der Überbringer von ‘Abdu’l-Bahás Brief an die Zentralorganisation für einen dauernden Frieden im Haag.A
3:1
Dein Brief vom 14. Juni 1920 ist angekommen. Ein Brief von einigen Mitgliedern des Friedensausschusses ging ebenfalls zu; ihnen wurde eine Antwort erteilt. Händige sie ihnen aus.
3:2
Es ist klar, dass dieses Treffen nicht das ist, wofür es gehalten wird, ist es doch außerstande, die Angelegenheiten so zu ordnen, wie es richtig und nötig wäre. Wie dem auch sei: Die Sache, um die man sich bemüht, ist von höchster Wichtigkeit. Das Treffen im Haag sollte so viel Macht und Einfluss haben, dass sein Wort auf die Regierungen und Nationen wirkt. Weise die verehrten dort versammelten Mitglieder darauf hin, dass die vor dem Krieg abgehaltene Haager Konferenz den Zaren von Russland zum Präsidenten hatte und dass ihre Mitglieder Männer von höchstem Rang waren. Dennoch hat das diesen schrecklichen Krieg nicht verhindert. Wie wird es weitergehen? In der Zukunft wird mit Sicherheit ein weiterer Krieg ausbrechen, schrecklicher als der letzte. Wahrlich, daran gibt es keinerlei Zweifel. Was kann das Treffen im Haag ausrichten?
3:3
Aber die von Bahá’u’lláh niedergelegten Grundsätze verbreiten sich Tag für Tag. Übergib ihnen die Antwort auf ihren Brief, zeige ihnen die größte Liebe und Güte; dann überlasse sie ihren eigenen Angelegenheiten. Auf jeden Fall solltest du ihr Wohlwollen erlangen, und wenn sie zustimmen, kannst du meinen ausführlichen Lehrbrief, der bereits ins Englische übersetzt ist, drucken lassen und verbreiten.
3:4
Was die Esperantisten betrifft, so pflege mit ihnen Umgang. Wann immer du unter ihnen jemanden aufnahmebereit findest, überbringe ihm den Duft des Lebens. Sprich bei allen Treffen über die Lehren Bahá’u’lláhs; denn das führt heutzutage in den westlichen Ländern zum Erfolg. Und wenn sie Fragen stellen über deinen Glauben an Bahá’u’lláh, so antworte, dass wir Ihn als der Welt höchsten Lehrer und Erzieher in diesem Zeitalter betrachten. Stelle sodann klar heraus und erkläre im Einzelnen, dass diese Lehren über den Weltfrieden und andere Themen durch Bahá’u’lláhs Feder schon vor fünfzig Jahren offenbart wurden, dass sie bereits in Persien und Indien veröffentlicht und über die ganze Welt verbreitet sind. Anfangs standen alle der Idee des Weltfriedens skeptisch gegenüber und betrachteten sie als Unmöglichkeit. Sprich des Weiteren über Bahá’u’lláhs Größe, über die Ereignisse in Persien und der Türkei, über Bahá’u’lláhs erstaunlichen Einfluss, über den Inhalt Seiner an alle Herrscher gerichteten Sendschreiben und über deren Erfüllung. Sprich auch über die Verbreitung der Bahá’í-Sache. Arbeite mit dem Ausschuss für den Weltfrieden im Haag so eng wie möglich zusammen und erweise ihnen alle Höflichkeit.
3:5
Es zeigt sich, dass die Esperantisten aufnahmebereit sind; du kennst ihre Sprache und bist darin bewandert. Setze dich auch mit den Esperantisten in Deutschland und anderswo in Verbindung. Das Schrifttum, das du verbreitest, sollte sich ausschließlich mit den Lehren beschäftigen. Die Verbreitung anderer Schriften ist derzeit nicht ratsam. Es ist meine Hoffnung, dass die göttlichen Bestätigungen dich ständig unterstützen…
3:6
Sei nicht traurig über die Gleichgültigkeit und Kälte der Haager Versammlung. Setze dein Vertrauen in Gott. Wir hoffen, dass die Esperanto-Sprache in Zukunft machtvoll auf das Volk wirkt. Du hast jetzt den Samen gesät. Sicherlich wird er wachsen. Sein Wachstum hängt von Gott ab.
Das zweite Schreiben‘Abdu’l-Bahá, in: Star of West vol. 11 No 17 p. 288.Q
4:0_5
4:0_6
An die ehrenwerte Zentralorganisation für den Weltfrieden
4:1
Mit großer Freude habe ich Ihre freundliche Antwort auf meinen Brief vom 12. Juni 1920 erhalten. Gottlob zeigte sie deutlich, dass Ihre Beweggründe und Absichten mit unseren übereinstimmen. Sie zeigte auch eine geistige Empfänglichkeit, als Ausdruck aufrichtiger Liebe.
4:2
Wir Bahá’í empfinden große Zuneigung gegenüber dieser ehrenwerten Versammlung. Daher haben wir als Zeichen der starken Verbundenheit zwei ehrenwerte PersonenMírzá Aḥmad Khán Yazdání (1891–1977) und Mírzá ‘Alí-Muḥammad Ibn-i-Aṣdaq (gest. 1928).A zu dieser hoch geschätzten Versammlung entsandt. Die heutzutage wichtigste Frage in den Belangen der Menschheit ist die des Weltfriedens, der das größte Mittel ist, das zum Leben selbst und zum Glück der Menschheit beiträgt. Ohne diese strahlendste Wirklichkeit ist es der Menschheit unmöglich, zu wahrem Wohlergehen und Können zu gelangen. Nein, vielmehr würden täglich neues Unglück und weitere Tragödien über sie kommen.
4:3
Durch den letzten schrecklichen Krieg wurde deutlich, dass modernes Kriegsgerät die Belastbarkeit der Menschheit übersteigt. Die Zukunft kann jedoch nicht mit der Vergangenheit verglichen werden, da Kriegsgerät und Kriegsführung in der Vergangenheit sehr einfach waren, während die modernen Waffen in kurzer Zeit die ganze Menschheit ausrotten können und somit die Belastbarkeit der Menschheit übersteigen.
4:4
In diesem Zeitalter gleicht der Weltfriede der Sonne, die Ursache des Lebens aller Wesen ist. Er ist daher von vorrangiger Bedeutung und jedem einzelnen obliegt es, auf dieses bedeutendste Ergebnis hinzuwirken. Mit einem gemeinsamen Ziel werden wir, damit meine ich Sie und uns, mit aller Kraft voranstreben, und Eigentum, Leben und Familie (auf diesem Pfad) opfern.
4:5
Wie Sie zweifellos gehört haben, haben in Persien Tausende (Bahá’í) ihr Leben auf diesem Pfad geopfert und Tausende von Häusern wurden zerstört. Ungeachtet dessen haben wir nicht resigniert. Bis jetzt streben wir weiter voran und strengen uns jeden Tag aufs Neue an. Warum? Weil Liebe zum Frieden nicht lediglich dem Verstand entspringt, sondern auch einer Überzeugung, die auf Glauben beruht, denn sie gehört zu den ewigen Wahrheiten Gottes. Daher setzen wir all unsere Kräfte ein und lassen Eigeninteressen, Ruhe, Bequemlichkeit und selbst die Sorge um unsere eigenen Alltagsgeschäfte beiseite, weil wir diesen edlen Beweggrund als das Fundament der Religionen Gottes betrachten. Es ist ein Dienst für das Königreich Gottes. Es trägt dazu bei, ewiges Leben zu erreichen und ist das wichtigste Mittel, um in das Reich des Barmherzigen zu gelangen.
4:6
Der Vorzug des Weltfriedens ist heute für die Menschheit klar erwiesen und die Nachteile des Krieges stellt desgleichen niemand in Frage. Aber bei dieser Frage ist Wissen allein nicht genug. Eine führende Macht ist nötig, damit Weltfriede errichtet werden kann. Sie sollten erwägen, die Hilfe einer führenden geistigen Macht zu bemühen, so dass dieses hohe Ideal aus dem Bereich der reinen Vorstellung heraus zur Verwirklichung gebracht werden kann. Ganz offensichtlich kann man dieses größte angestrebte Ziel nicht durch gewöhnliche Gefühle erreichen. Es bedarf vielmehr einer starken geistigen Gesinnung, um es von der Möglichkeit zur Wirklichkeit zu führen.
4:7
Fast alle Menschen auf Erden wissen, dass ein liebenswürdiger Charakter lobenswert und wünschenswert und dass ein schlechter Charakter verachtenswert und abstoßend ist. Ebenso wissen sie, dass Gerechtigkeit und Fairness angemessen und wünschenswert, Grausamkeit und Tyrannei jedoch abscheulich und abstoßend sind. Ungeachtet dessen mangelt es mit wenigen Ausnahmen allen Menschen an einem lobenswerten Charakter und an Gerechtigkeit.
4:8
Daher bedürfen sie einer spirituellen Kraft und erhabenerer Gefühle, um ihren Charakter zu verbessern. Es ist unsere feste Überzeugung, dass die führende Kraft, die dieses große Problem löst, die Macht des Wortes Gottes und die Bestätigungen des Heiligen Geistes sind.
4:9
Wir fühlen uns Ihnen in Liebe und Einheit eng verbunden. Mit Herz und Seele sehnen wir uns nach dem Tag, da das Festzelt der Einheit der Menschheit in der Welt aufgeschlagen sein wird und das Banner des Weltfriedens über alle Horizonte weht. Daher muss die Einheit der Menschheit verwirklicht werden, damit das Gebäude des Weltfriedens errichtet werden kann.
4:10
Diese ehrenwerte Versammlung, die das Wohl der Menschheit wünscht, wird von allen Bahá’í hoch geschätzt. Daher entrichten wir Ihnen unsere hochachtungsvollen Grüße und bitten Sie, uns stetig über den Fortschritt der Sache des Weltfriedens in Europa zu informieren. Lassen Sie uns in einen engen Austausch treten.
4:11
(Gezeichnet) ‘Abdu’l-Bahá
4:12
(Übersetzt ins Englische von ‘Azízu’lláh Khán S. Bahádur, Haifa, Berg Karmel, Palästina, den 12. Juli 1920)
weiter nach unten ...